100. Geburtstag von Autor Augusto Roa Bastos

Magischer Realismus aus Paraguay

Der Schriftsteller Augusto Roa Bastos erhält am 9. Februar 1989 im Konsulat in Barcelona (Spanien) von der Botschafterin Lilia Romero seinen paraguayischen Paß. Er war 42 Jahren im Exil und kann wieder in seine Heimat Paraguay reisen.
Der Schriftsteller Augusto Roa Bastos 1989 in Barcelona. © picture-alliance / dpa / Rafael_Perez_Rozas
Von Peter B. Schumann |
Augusto Roa Bastos ist der bedeutendste Autor Paraguays – und gleichzeitig einer der wichtigsten Vertreter der lateinamerikanischen Literatur. In seinem Diktatorenroman "Ich, der Allmächtige" erzählte er die Geschichte seines Heimatlandes aus der Sicht eines Exekutors der Gewalt.
"Dieses Paraguay ist ein so unbekanntes Land, dass es mir manchmal wie ein Wunderland erschienen ist, das von Romanschriftstellern erfunden wurde, die etwas Magisches Wirklichkeit werden lassen."
So Augusto Roa Bastos, der in diesem kleinen Land im südlichen Zipfel Amerikas am 13. Juni 1917 geboren wurde. Der Vater hatte gerade als Importkaufmann durch die wirtschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs Pleite gemacht und versuchte als Leiter einer Zuckerfabrik einen Neustart. Dort, in der Wildnis des Gran Chaco, im Provinznest Iturbe wuchs er auf. Eine Indigena, die im Haus angestellt war, brachte ihm Guaraní bei, das Idiom der Ureinwohner, die zweite Landessprache neben dem Spanischen. Sie führte ihn auch in die Mythen und Legenden ihrer Kultur ein, die in seinem Werk literarische Gestalt annehmen sollten.

Geprägt vom Schrecken des Krieges

1927 wurde er in die Hauptstadt Asunción geschickt, wo ein Onkel Bischof war und er eine ordentliche Schulausbildung in einem Jesuiten-Kolleg absolvierte. In den 1930er-Jahren nahm er als 15-Jähriger aus Abenteuerlust am Chacokrieg zwischen Bolivien und Paraguay teil. Eine prägende Erfahrung.
"Das war ein schrecklicher Krieg aus rein wirtschaftlichen, materiellen Gründen. Der Kampf ums Erdöl verursachte insgesamt 100.000 Tote in unseren beiden kleinen Ländern. Ich kam allerdings nicht bis an die Front, was ich vorhatte, sondern musste, weil ich noch nicht alt genug war, in der Nachhut Sanitätsdienst leisten. Das heißt: Ich war im Krieg und war doch nicht im Krieg."
Die Schrecken, die er als Sanitäter in diesem vom Shell-Konzern auf der einen und von der Standard Oil auf der anderen Seite finanzierten Feldzug erlebte, verarbeitete er 1960 in seinem ersten Roman "Hijo del Hombre" ("Menschensohn"). Darin nahm er in einem weiten Bogen durch die Vergangenheit Paraguays leidenschaftlich Stellung für das Leiden der armen Bevölkerung. Es ist der vielstimmige Lebensbericht eines jungen Offiziers, der als Ich-Erzähler durch ein gutes Dutzend von Episoden führt. Das Buch markiert den literarischen Durchbruch des inzwischen 43-Jährigen und den Beginn seiner produktivsten Phase, in der er mehrere Romane, diverse Drehbücher und zahlreiche Kurzgeschichten schrieb.

Aus dem argentinischen Exil nach Spanien

Augusto Roa Bastos lebte damals im argentinischen Exil. 1947 war er aus politischen Gründen nach Buenos Aires geflohen, weil man ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt hatte. Wegen seiner kritischen Meinung entzog ihm später der deutsch-stämmige Diktator Alfredo Stroessner auch noch die Staatsbürgerschaft.
"Das war eine sehr wichtige Zeit. Das Exil war für mich wie eine Universität. Durch die gewaltsame Ausbürgerung habe ich mein Land viel klarer gesehen als in der Zeit, in der ich es ständig vor Augen hatte. Der größte Teil meines Werkes ist in diesen 30 Jahren meines Aufenthaltes in Argentinien entstanden."
Von dort vertrieb ihn 1976 die argentinische Militärdiktatur. Er folgte einer Einladung nach Frankreich. Kurz zuvor vollendete er sein Hauptwerk "Yo, el supremo" ("Ich, der Allmächtige"), eines der wichtigsten Bücher der lateinamerikanischen Literatur, vergleichbar den großen Diktator-Romanen von Gabriel García Márquez, Miguel Angel Asturias oder Alejo Carpentier. Hier wechselte Augusto Roa Bastos die Perspektive und schilderte die Welt nicht mehr aus der Sicht der Leidenden, sondern aus der eines Exekutors der Gewalt.

Vertreter des magischen Realismus

Der omnipotente Gaspar de Francia, der im 19. Jahrhundert tatsächlich herrschte, zeigt sich zunächst als Beschützer seiner Untertanen, denen er die Freiheit bringt, bis er sie ihnen durch sein Schreckensregime wieder entzieht. Daraus gestaltet der Autor kein konventionelles Historiendrama, sondern eine Polyphonie von erzählerischen Stimmen, literarischen Materialien und zeitlichen Ebenen.
Mit diesem Roman hat sich Augusto Roa Bastos als einer der großen Vertreter des oft missverstandenen magischen Realismus bewiesen. Bei ihm dominiert allerdings nicht das Wunderbar-Wirkliche, sondern das Albtraumhafte, die schier unglaubliche Eskalation eines zynischen Allmachtsanspruchs, der uns heute noch sehr aktuell erscheint. Darin liegt die bleibende Gültigkeit dieses Meisterwerks, mit dem Augusto Roa Bastos das kleine Paraguay für immer in die Landkarte der lateinamerikanischen Literatur einschrieb.
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