Ein Dichter, der nie Dichter werden wollte
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Ernst Herbeck lebte 45 Jahre in der Psychiatrie. Dort erkannte ein Arzt seinen innovativen Umgang mit Sprache: Aus Herbeck wurde zufällig ein anerkannter Lyriker. Gedichte in seinem Stil finde man heute bei Twitter, sagt der Autor Clemens J. Setz.
Zum 100. Geburtstag des Dichters Ernst Herbeck sagt der österreichische Schriftsteller Clemens J. Setz: Kein anderer Dichter habe ihn so lange und dauerhaft interessiert wie Herbeck. Dessen Zeilen, schrieb Setz einmal, würden ihn verlässlich "zu Tränen rühren". Herbeck sei immer gleich mysteriös, immer gleich unauflösbar und zugleich überhaupt nicht rätselhaft, sondern sehr direkt und klar.
Sprachlich innovativ
Herbeck lebte 45 Jahre lang in einer Psychiatrie. Sein behandelnder Psychiater, Leo Navratil, habe mit seinen Patienten therapeutische Schreibübungen gemacht, erzählt Setz. Der Arzt habe ein Thema vorgegeben, beispielsweise "die Farbe Rot", oder habe gesagt "schreib' über den Herbst". Damit habe er eine Form der Kommunikation erzeugen wollen. Bei Herbeck fielen die Antworten auf das Thema so ungewöhnlich aus, und waren sprachlich so innovativ, dass er sie dann veröffentlichte.
"Herbeck war ein Dichter, der nie Dichter werden wollte", sagt Setz. Dennoch wurde Herbeck 1978 in die Grazer Autorenversammlung aufgenommen, andere Autoren zitierten ihn und Herbeck wurde viel gelesen. Er hat für seine Texte viel Anerkennung erfahren.
Gedichte bei Twitter
"Gedichte, wie sie Herbeck schrieb, findet man heute am ehesten bei Twitter", sagt Setz. "Jemand bei Twitter denkt nicht 'Ich mache Lyrik. Ich mache Lyrik'." Den Twitterer Luni (@LunaticAbsturz) halte er für den begabtesten deutschen Lyriker im Moment, da er von der Sprache her der Innovativste sei.
"Der macht was völlig Eigenständiges. Und natürlich wird er, wie alle Dichter, die innovativ und elektrisierend sind, die einen punkigen, groovigen Sound haben, auch ignoriert. Es wird einige Jahrzehnte dauern und dann wird er wiederentdeckt werden", meint Setz.
(nis)