"Für Kabarettisten war Strauß ein Glücksfall"
Hans Well von der früheren bayerischen Musikgruppe Biermösl Blosn ist überzeugt: Die CSU von heute hätte gern wieder einen Vorsitzenden wie Franz Josef Strauß. Spätere CSU-Politiker seien im Vergleich "Witzfiguren" gewesen.
Der Musiker Hans Well sieht die CSU als hierarchisch aufgestellte Partei - von jeher: Sie lechze immer nach jemandem, der ihr sage, wo es langgeht - so wie früher Franz Joseph Strauß: "Das ist unterm Seehofer im Moment natürlich schwierig, weil der selber nicht weiß, wo es langgeht. Der widerspricht sich ja permanent."
Allerdings: Auch Strauß habe im Privaten oft anders gehandelt als in der Öffentlichkeit: So habe er nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zehn Zentimeter seiner Gartenerde abtragen lassen - aber in einem Bierzelt für die Atomkraft geworben: "Der Strauß hat es geschafft, dass er in kürzester Zeit das Bierzelt gedreht hat. Die Leute waren begeistert von der Atomkraft nach fünf Minuten."
Spätere CSU-Politiker bezeichnet Well als "Witzfiguren im Vergleich zum Strauß". Besonders für Kabarettisten, aber auch für die Biermösl Blosn sei der frühere bayerische Ministerpräsident ein "Glücksfall" gewesen: "Es haben ganz viele Generationen davon gelebt." Freilich: Für die Gesellschaft damals sei er kein Glücksfall gewesen. Die CSU unter Strauß habe sich des Staates bemächtigt und sei in Bereiche eingesickert, die sie überhaupt nichts angingen, etwa den Bayerischen Rundfunk.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: In Rott am Inn laufen die letzten Vorbereitungen, denn in Rott am Inn findet morgen die offizielle Gedenkfeier der CSU statt. In Rott am Inn hat Franz Josef Strauß geheiratet, und dort wurde er auch beigesetzt. Geboren wurde Strauß vor 100 Jahren in München, und geprägt hat er deutsche Politik:
O-Töne Franz Josef Strauß:
Ich sehe das schon seit längerer Zeit. Wenn Sie schon kein Hirn haben, dann halten Sie das Maul wenigstens!
Wir lassen uns aber nicht einen Maulkorb umhängen und unter einen Teppich kehren, auf den wir dann treten sollen.
Ja, genau das ist ein dümmliches Argument, Herr Wehner! Die These, "Der Geist steht links", ist nichts anderes als die permanente Wiederholung einer Dummheit.
Ich bin ein überzeugter Anhänger des Rechtsstaats. Aber die großen Lumpen muss man schwerer aufs Hirn hauen, als man die kleinen Leute verfolgt.
Die einen machen die Probleme, und wir in Bayern lösen die Probleme.
Welty: Markige Sätze eines Mannes, der auch von politischen Gegnern als Charakter beschrieben wird, der Verteidigungsminister war, CSU-Vorsitzender, Kanzlerkandidat und natürlich bayerischer Ministerpräsident. Und zu den Strauß-Kritikern gehörte auch immer Hans Well, der seinerseits die bayerische Blasmusik vom Kopf auf die Füße stellte als Teil der Biermösl Blosn. Grüß Gott, Herr Well!
Hans Well: Guten Morgen!
Welty: Volksmusik mit satirischen Texten, das war das Kerngeschäft der Biermösl Blosn, die sich gerne und auch ausdauernd immer wieder an CSU und Strauß gerieben haben. Worüber haben Sie sich besonders gern aufgeregt?
Well: Das waren natürlich so große Themen im Umweltbereich, das war also dieser Rhein-Main-Donau-Kanal, der durchgezogen wurde von der CSU. Und die CSU war lange Zeit Franz Josef Strauß. Und das war die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, wo er wirklich gegen Teile der Bevölkerung, also einen Großteil der Bevölkerung wirklich mit Polizeistaatsmethoden versucht hat, das Ganze durchzudrücken. Und erst durch seinen Tod ist das Ganze ja dann im Endeffekt beerdigt worden, also mit ihm, mit dem Strauß.
Und das waren – vor allem war die Auseinandersetzung, was uns betrifft, war sehr einseitig, weil wir natürlich – ich habe einmal einen Text gemacht, "Gott mit dir, du Land der Baywa", also in Anlehnung an die Nationalhymne, auf "die bayerische", in Anführungszeichen, "Gott mit dir, du Land der Bayern". Das hat sich beschäftigt mit dem Wandel in der Landwirtschaft. Die Baywa ist so ein Agrarchemiegroßhändler, damals noch viel stärker gewesen als jetzt, eher Bauhandel. Und daraufhin sind wir als Biermösl Blosn so knappe 20 Jahre aus dem Sender geflogen. Das heißt, der Bayerische Rundfunk war ein Staatssender, das war der CSU-Sender, und die CSU, wie gesagt, war Strauß.
Bayern als nie versiegende Quelle der Inspiration
Welty: Wenn ich sage, sich gern aufregen, dann legt das ja den Schluss nahe, dass Sie auch ein bisschen dankbar darüber waren, dass es so jemanden wie Strauß gegeben hat. Weil er war eben auch Inspiration. Ist das so?
Well: Na ja, Bayern ist diesbezüglich natürlich eine nie versiegende Quelle, es gibt ja einen Dobrindt – aber natürlich, die Qualität von Strauß war schon...
Welty: ... einen Söder – man kann da noch ein paar nennen, glaube ich, oder?
Well: Ja, ja. Man kann da – diesen Kasper in Gebirgsschützenuniform, Stoiber, der da an der Seite vom Strauß war, als Adlatus und Generalsekretär – aber das waren natürlich Witzfiguren im Vergleich zum Strauß. Der war schon wirklich ein Kaliber.
Welty: Über diese künstlerisch-politische Beziehung hinaus hat Ihre Beziehung zu Strauß ja durchaus auch eine private Komponente, denn Sie sind mit seinen Kindern, also mit den Jungs, zur Schule gegangen. Inwieweit hat das Ihren Blick auf die Person Strauß geprägt?
Well: Ich habe gewusst, es war bekannt, dass nach Tschernobyl der Strauß, die Familie Strauß, und das war halt der Franz Josef, der hat angeordnet, dass im Garten der Wohnung, die da in Nymphenburg war, dass der abgetragen wurde, zehn Zentimeter Erde ist entfernt worden. Und ich habe einmal profitiert sogar von der Familie Strauß, also von der Marianne Strauß, weil die war im Elternbeirat der Schule.
Und ich bin ja – als Kind einer 15-köpfigen Familie waren die Mittel nicht da für die Abiturfahrt, und ich habe dann einen Zuschuss gekriegt von 50 Mark, den die Marianne Strauß bewilligt hat, und ich bin dann, ich habe dann mitfahren dürfen nach Griechenland. Aber an der Schule war auch noch der Gauweiler, und das war ja wirklich, kann man sagen, der Ziehsohn, nicht der leibhaftige Sohn, aber der Ziehsohn vom Strauß. Und der war Schulsprecher damals, also war fünf Klassen über mir.
Welty: Hat man da schon erkannt, was aus dem mal wird?
Well: Aus dem Gauweiler? Ja, ja, der war natürlich, der war damals schon ziemlich stramm, sagen wir mal, nicht-links, und war damals schon, also hat schon ganz genau gewusst, wie es entlang-, wie es hochgeht auf der Karriereleiter der CSU.
Die CSU ist als Staatspartei in alle Bereiche eingesickert
Welty: Nicht wenige sind der Auffassung, dass ein Charakter, eine Type wie Strauß oder auch Peter Gauweiler heute in der Politik fehlen. Teilen Sie diese Auffassung?
Well: Sie haben ja schon vorher angesprochen, für Kabarettisten war das natürlich ein – war der Strauß wirklich ein Glücksfall. Es haben ganz viele Generationen, haben davon gelebt, mit diesem Stiernacken, haben auf der Bühne bloß dieses leicht nachmachen müssen. Der Helmut Schleich, bayerischer Kabarettist bis jetzt auch noch, der bestreitet Großteile seines Programms mit Franz Josef Strauß, indem er als Franz Josef Strauß aus dem Jenseits praktisch der CSU die Leviten liest. Das hat natürlich schon den Grund gehabt, dass dies einfach natürlich Typen waren, an denen man sich gut reiben hat können.
Aber ein Glücksfall für die Gesellschaft damals waren die natürlich überhaupt nicht. Also, Strauß – wenn man dran denkt, dass hier eine Schülerin in Regensburg, die eine "Stoppt Strauß!"-Plakette getragen hat, dass die des Gymnasiums verwiesen worden ist, das muss man sich einmal vorstellen, das ist schon unglaublich. Und das ist so nur möglich gewesen durch diese starke Person Strauß und die CSU, die er an seiner Seite gehabt hat, und die CSU hat sich damals des Staates bemächtigt gehabt. Das war eine Staatspartei, die ist eingesickert in alle Bereiche, in viele Bereiche, die sie überhaupt nichts angegangen hat, zum Beispiel also eben in den Bayerischen Rundfunk, der eigentlich ein unabhängiger, freier Sender war, und der das natürlich überhaupt nicht war.
Welty: Würden Sie sagen, das hat sich inzwischen verändert, die CSU ist sozusagen zurückgedrängt worden aus Teilen der Gesellschaft?
Well: Aus Teilen schon. Die Gesellschaft insgesamt hat sich bestimmt verändert. Die CSU in ihrem Staatsverständnis zu großen Teilen nicht. Man muss bloß einmal dran denken, wie der Seehofer im ZDF gesagt hat, beim ZDF-Interview – "Das können Sie jetzt senden." Ich glaube, die CSU sitzt da immer noch im ZDF-Beirat oder im Verwaltungsbeirat oder so – Rundfunkrat, so heißt es. Und man merkt immer wieder natürlich auch im Bayerischen Rundfunk, dass es da massiv einen Einfluss dieser Partei gibt. Das wird natürlich immer so sein, solange Parteien sich da irgendwie, solange die in diesen Sendern stark vertreten sind. Und die CSU ist natürlich nach wie vor, hat die absolute Mehrheit in Bayern. Und das merkt man, das ist klar.
Seehofer widerspricht sich permanent
Welty: Glauben Sie, dass die CSU heute mit einem Vorsitzenden wie Strauß gut zurechtkäme? Oder hat sich da so eine Partei auch weiterentwickelt?
Well: Ich glaube, die CSU ist immer eine Partei, die hierarchisch, und war immer eine Partei, die hierarchisch gedacht hat und aufgestellt war. Insofern lechzt diese Partei immer nach jemand, der ihr sagt, wo es lang geht. Und das ist unter dem Seehofer im Moment natürlich schwierig, weil der selber nicht weiß, wo es langgeht. Der widerspricht sich ja permanent, also jeden Tag. Wenn der in der Frühe aufsteht mit einer bestimmten Meinung, dann ist die am Abend wieder ganz, dann hat sich die fünfmal umgedreht.
Welty: Das nennt man dann Flexibilität, oder?
Well: Das nennt sich dann – er sagt, er reagiert flexibel. Aber das ist natürlich jedem CSU-ler bewusst, der irgendwie eine Erinnerung an Strauß hat, dass das – der war auch ein Zauderer, das war schon klar. Wenn man so ein bisschen, wenn man zurückdenkt, der Strauß - also im privaten Bereich hat der immer wieder... dass er unglaublich zögerlich war und manchmal überhaupt nicht gewusst hat, wie und ob er das so oder so entscheiden soll. Aber nach außen hin war er absolut gestanden.
Also ich kann mich erinnern, zum Beispiel ein Erlebnis einmal in Fürstenfeldbruck, da sind Gerhard Polt und Gisela Schneeberger und Christian Müller und ich, wir sind da hingegangen, weil wir gerade irgendwie ein Stück gemacht haben für die Kammerspiele, wir haben das immer geschrieben mit dem Dieter Hildebrandt, damals so Revuen fürs Theater. Und nach Tschernobyl sind wir da hingegangen, ein, zwei Wochen oder so war es später, da hat der Strauß in einem Bierzelt in Fürstenfeldbruck gesprochen. Und wir waren alle der Meinung, also wirklich, jetzt ist er total verunsichert und jetzt weiß er überhaupt nicht mehr recht – weil Franz Josef Strauß, das muss man vielleicht dazusagen, war ja absolut ein Förderer der Atomkraft, und er wollte Atomwaffen für Deutschland auch haben –
Strauß hat in kürzester Zeit das Bierzelt gedreht
Welty: War ja auch mal Atomminister.
Well: Genau, war Atomminister. Und dann ist der Strauß auf die Bühne, und ich habe ja schon vorher erzählt, in seinem Garten hat er zehn Zentimeter Erde abtragen lassen. Und dann ist der auf die Bühne, und von der Landjugend, also der Nachwuchsorganisation des Bauernverbands sind Jugendliche auf- und abgegangen mit Anti-Atomkraft-Banderolen und so weiter und haben dagegen protestiert, gegen Atomkraft. Und der Strauß hat was wirklich Phänomenales geschafft.
Der hat innerhalb von fünf Minuten dieses Bierzelt, das absolut skeptisch war gegenüber Atomkraft inzwischen, weil Tschernobyl natürlich doch ein Schock war, in erster Linie auch für eine bäuerliche Gesellschaft, die ja vom Grund und Boden lebt und die ja ihre Produkte verkaufen will weiterhin – Milch und so weiter, das war halt damals verstrahlt. Und der Strauß hat das geschafft, dass er in kürzester Zeit das Bierzelt gedreht hat. Die Leute waren begeistert von der Atomkraft nach fünf Minuten wieder.
Welty: So schnell kann es gehen. 100 Jahre Franz Josef Strauß. Eine tatsächlich kritische Würdigung mit dem bayerischen Vollblutmusiker Hans Well. Ich danke dafür. Und Hans Well und seine Wellbappn, die haben eine neue CD vorbereitet, die am 15. Oktober erscheint. Und schon im September ist er auf Tour, zum Beispiel am 12. In Vöcklabruck und am 18. in Eichstätten.
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