Ein Kanzlerporträt als Politikum
Am 23. Dezember wäre Helmut Schmidt 100 Jahre alt geworden. Anlass, auf eine umstrittene Entscheidung zurückzuschauen: Schmidt beauftragte den DDR-Maler Bernhard Heisig mit dem Kanzlerporträt. Mit welchen Folgen, erklärt die Kunstexpertin Kristina Volke.
Ute Welty: 2018 ist für Hamburg ein bedeutendes Jahr, das zu Ende geht mit einem runden Geburtstag, den das Geburtstagskind leider nicht mehr feiern kann. Hamburg würdigt in diesen Tagen Helmut Schmidt. Wir lassen ein Stück Geschichte heute Revue passieren im Hinblick auf das Schmidt-Porträt, das in der Kanzlergalerie hängt.
In Hamburg geboren, in Hamburg gestorben, dazwischen Innensenator, Bundesminister und Kanzler. Morgen wäre Helmut Schmidt 100 Jahre alt geworden – ein Datum, dessen die Hansestadt seit Wochen gedenkt. Schmidt selbst hatte Bernhard Heisig beauftragt, um das Porträt für die Kanzlergalerie zu malen, ausgerechnet ein Staatsmaler der DDR, und über diese umstrittene Entscheidung hat Kristina Volke ein Buch geschrieben. Sie ist Referentin des Kurators für Kunst im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Frau Volke!
Kristina Volke: Guten Morgen!
Welty: Was muss man über Heise wissen, damit die Tragweite dieser Entscheidung, die Schmidt getroffen hat, tatsächlich greifbar wird?
Volke: Man muss sich zunächst mal in die Zeit zurückversetzen. Wir reden über Mitte der 80er-Jahre, es ist Kohl-Regierung, Mauerzeit, die deutsch-deutschen Beziehungen stehen nicht zum Besten. Und der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt entscheidet sich ausgerechnet für einen Leipziger Maler, also aus der DDR, und einen, dem der Ruf eines Staatskünstlers vorauseilte, der also in der Bundesrepublik bei zahlreichen Interviews auch gerne als selbstbewusster Künstler aus der DDR auftrat.
Welty: Das heißt, diese künstlerische Entscheidung beinhaltete auch ein politisches Risiko?
Volke: Ein politisches Risiko auf jeden Fall, deswegen hat Schmidt auch versucht, diese Entscheidung lange geheim zu halten, vor allem vor der Presse, vor der westdeutschen. Aber man darf nicht vergessen, es war wirklich eine Entscheidung für den Künstler Bernhard Heisig, der Schmidt sehr entsprochen haben muss.
Welty: Inwieweit?
Volke: Heisig war Leipziger Künstler und damit realistischer Maler, der sich unmittelbar an die Formensprache des Expressionismus anknüpfte – das war Schmidts Lieblingskunst. Er kannte ja die Maler von Worpswede und hatte im Kanzleramt gezeigt, dass die Künstler des Expressionismus wirklich seiner Idee entsprechen, wie Kunst sein könne und wie auch gesellschaftswirksam sie sein kann. Heisig hat sich sozusagen in dieser Schule verortet und hat in seinen Bildern deutsche Geschichte verarbeitet, und das hat die beiden auch wirklich ein Stück weit seelenverwandt gemacht.
War das Schmidt-Porträt ein Erfolg der DDR?
Welty: Wodurch unterscheidet sich Schmidts Porträt von anderen in der Kanzlergalerie?
Volke: Das ist, wenn man sie nicht vor Augen hat, relativ schwer zu erklären. Ich glaube, dass Schmidts Porträt tatsächlich eins der dichtesten ist. Es ist ungeheuer präsent und viel weniger Repräsentationsbildnis als viele andere, die dort hängen, vor allem natürlich die Vorgänger von Schmidts Porträt.
Welty: Muss man dieses Porträt dann nicht aber auch interpretieren als einen Erfolg der DDR?
Volke: Ja. Ich hab mich die ganze Zeit gefragt, warum die DDR das nicht zu maßloser Propaganda auch benutzt hat, warum nicht die DDR-Medien davon berichtet haben: Jetzt hängt im Kanzleramt das Porträt von Schmidt, gemalt von unserem Bernhard Heisig. Hat aber so nicht funktioniert.
Das Ganze war auch ein Deal zwischen Honecker und Schmidt. Schmidt hat sich im Prinzip hinter den Kulissen für die Deutschlandpolitik stark gemacht und hat auch die Wogen zwischen Bonn und Berlin geglättet, dafür durfte er relativ ohne Aufsehen und vor allem ohne Propaganda sich malen lassen. Die DDR hat darüber tatsächlich kein einziges Mal berichtet. Man findet nicht einen Zeitungsbericht über dieses Kanzlerporträt Bernhard Heisigs, man kann allerdings davon ausgehen, dass die DDR-Bevölkerung die "Tagesschau", in der darüber berichtet wurde am Tag der Einweihung, natürlich gesehen hat.
Wie wenig die Staatssicherheit wusste
Welty: Ihre Recherche hat ja auch einbezogen die Unterlagen der DDR-Staatssicherheit, die Schmidt überwacht hat und auch die Treffen von Schmidt und Heisig. Was hat Sie bei dieser Recherche überrascht?
Volke: Bei der Recherche hat mich vor allem überrascht, wie wenig die Staatssicherheit tatsächlich wusste. Ich musste oft lachen, weil man das Gefühl hatte, dass die Staatssicherheit vor allem hinterherhinkt und am Ende das in die Akten und Vermerke schreibt, was sie irgendwie im Nachhinein mehr oder weniger erfahren hat.
Also, sie war keinesfalls Herrin des Vorgangs und hat es auch nicht steuern können, sie hat es nur beobachten können von diesen Beobachtungsprotokollen, auch Fotografien, wie zum Beispiel Loki im Zoo war, im Leipziger Zoo, während Helmut sich bei Heisig im Atelier porträtieren ließ. Die findet man im Buch, die sind ein interessantes Zeitdokument, entzaubern aber auch ein bisschen diese Vorstellung von der allmächtigen Staatssicherheit – die hatte offensichtlich auch Grenzen.
Schmidt machte mit Kunstprojekten Politik
Welty: Die Akte Kohl muss ja zum Beispiel auch eine Autogrammkarte enthalten haben, also ein Gegenstand der völlig selbstverständlich war und gar nichts Aufregendes und gar nichts Besonderes. Inwieweit war Helmut Schmidt die Kanzlergalerie besonders wichtig, die ist ja auch auf seine Initiative zurückgegangen?
Volke: Genau. Die Kanzlergalerie war im Prinzip die dritte von seinen großen Kunstprojekten, die ich in so eine Reihe gestellt habe, weil er mit Kunstsymbolen Politik gemacht hat, und zwar in Themen, die ihm besonders wichtig waren, die er aber als Politiker und Kanzler nie wirklich thematisieren konnte. Das eine war die Ausstattung des Kanzleramts mit Kunst der Expressionisten, ein großer Akt der Wiedergutmachung, das andere war die Aufstellung von Henry Moores Skulptur vor dem Kanzleramt, eine Geste der Internationalität und ein Bekenntnis zu Europa, und die Einrichtung der Kanzlergalerie '76, die im Prinzip die vorhandenen Kanzlerbildnisse zusammenfasste und neue initiierte.
Ihm ging es darum, der Bonner Republik eine eigene Genealogie und Geschichte zu verleihen, weil sie ja als geschichtslos galt, und es ist natürlich eine alte Würdeformel, die generell Europa über Jahrtausende bestimmt und auch an das Bildgedächtnis der Deutschen anknüpft.
Wer wird Angela Merkel malen?
Welty: Wen können Sie sich vorstellen als den nächsten Maler, die nächste Malerin? Angela Merkel muss ja auch eine Entscheidung dann jetzt irgendwann mal treffen.
Volke: Ja, noch nicht, sie wird ja erst nach Ende ihrer Amtszeit gefragt. Ich glaube, es wird eine Malerin aus der ehemaligen DDR. Ich hoffe, dass das so wird, aber ich bin gespannt, ich bin selbst sehr gespannt.
Welty: Porträts deutscher Politik und deutscher Geschichte, darüber habe ich gesprochen mit Kristina Volke, Referentin des Kurators für Kunst im Deutschen Bundestag. Ich danke Ihnen sehr für den Besuch in Studio 9!
Volke: Ich danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.