Der Autor, der Stolpersteine schrieb
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Wolfgang Borchert starb bereits mit 26 Jahren. Hinter dem frühen Tod und seinem Kriegsheimkehrerdrama "Draußen vor der Tür" verschwinde Borcherts komische und lebenslustige Seite, sagt der Literaturwissenschaftler Konstantin Ulmer.
In diesem Jahr, am 20. Mai 2021, wäre der Schriftsteller Wolfgang Borchert hundert Jahre alt geworden. Bereits mit 26 Jahren starb er an den Folgen einer Lebererkrankung. Seine Geburtsstadt Hamburg widmet ihm nun ein Festival, und in der Staats- und Universitätsbibliothek der Stadt informiert die Ausstellung "Dissonanzen" über Leben und Werk des Schriftstellers.
"Sein Leben war kurz und voller Widersprüche", sagt der Kurator der Ausstellung, der Literaturwissenschaftler Konstantin Ulmer. Fast alles, was man von Borchert kenne, habe dieser in den anderthalb Jahren vor seinem Tod geschrieben.
Borchert konnte auch komisch sein
Bekannt ist Borchert vor allem für sein Drama "Draußen vor der Tür" über den deutschen Kriegsheimkehrer Beckmann, das zunächst als Hörspiel im Februar 1947 ausgestrahlt wurde. Ulmer ist allerdings der Meinung, dass die Kurzprosa des Schriftstellers viel wichtiger und vielfältiger ist: In ihr stecke auch unglaublich viel Fröhliches, Komisches und Hoffnung. "Auch dafür sollte man ihn heute noch lesen."
Zweimal war der Pazifist Borchert im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront im Einsatz, schoss sich den Mittelfinger der linken Hand weg – vermutlich eine Selbstverstümmelung – und kehrte schwer lädiert nach Hamburg zurück. "Aber er konnte immerhin ankommen", betont Ulmer. "Im Gegensatz zu seinem Protagonisten Beckmann, der ja nicht ankommen konnte, der zurückkam, aber in eine total kaputte Gesellschaft kam, in der keine Heimkehr mehr möglich war."
Ein lebenslustiger Schauspieler
Weniger bekannt als sein Kriegsheimkehrerdrama: Borchert arbeitete für eine kurze Zeit in seinem Leben auch als Schauspieler. Bis zur Einberufung durch die Wehrmacht sei er mit einer Wanderbühne mit leichten Komödien durch die Provinz getourt und habe das Vagabundenleben genossen, erzählt Ulmer. Der Kurator betont, dass Borchert auch ein lebenslustiger Mensch gewesen sei:
"Das Bild des tragisch-traurigen Autors gibt es nicht nur wegen seines frühen Tods, sondern auch, weil er immer mit diesem Drama in Verbindung gebracht wird, mit diesem lebensmüden Protagonisten Beckmann sogar identifiziert wird."
Mehr Anstand durch die Borchert-Lektüre
Wolfgang Borcherts Texte seien in gewisser Weise Stolpersteine, ein Anlass, um sich einzufühlen und darüber zu reden, "was passiert ist und was passieren kann, wenn man Faschisten und Nationalisten die Macht überlässt. Und das ist ein verdammt aktuelles Thema in einer Zeit, in der Bundestagsabgeordnete den Holocaust als Fliegenschiss in der deutschen Geschichte bezeichnen."
Wer Borchert lese, habe im besten Fall danach etwas mehr Anstand, Empathie und auch Wissen, meint der Literaturwissenschaftler. "Mal ganz davon abgesehen, dass Borchert einfach auch großartige Texte geschrieben hat, die viel Spaß machen."
(jfr)