Mythen und Realitäten einer gefeierten Institution
Im Jubiläumsjahr wird das Label "100 Jahre Bauhaus" auf vieles geklebt, egal ob es passt oder nicht: Adolf Stock hat sich die Kunstschule genauer angesehen – und die nicht ganz einfache Geschichte ihrer Rezeption.
"Wir wollten auf alle Fälle von Weimar, Dessau und Berlin ausstrahlen, wir wollten nicht, dass es an diesen drei Orten nur begangen wird. Wir wollten das zu einem großen Jubiläum machen, zu einem deutschlandweiten, und das wollten wir im Zusammenhang, das Bauhaus, in der Moderne eingruppiert sehen. Also wir wollten jetzt nicht allein und nur das Bauhaus herausheben, sondern wir wollten das Bauhaus in seiner Zeit reflektiert sehen."
So fasst Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus-Archivs in Berlin, das schon im Jahr 2012 vorgelegte Konzept für das Jubiläumsjahr zusammen. Das Konzept war gut gemeint, aber das Ergebnis ist desaströs. Alles, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, wird im Jubiläumsjahr als Bauhaus vermarktet. Überall – ob es passt oder nicht – wird das Label "100 Jahre Bauhaus" draufgepappt. Um Touristen anzulocken.
Gefragt oder ungefragt steigt jeder, der will, in den Ring. Der Architekturhistoriker Harald Bodenschatz hat im Vorfeld noch eine andere Sorge. Er erwartet von den Feierlichkeiten eine "eindimensionale Hagiografie", also die Heiligsprechung einer Institution, die es so, genau genommen, gar nicht gab.
Umzug von Weimar nach Dessau und Berlin
Das historische Bauhaus existierte 14 Jahre. 14 schwierige Jahre. Claudia Perren, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, fasst diese Jahre so zusammen:
"Zweimal geschlossen, einmal in Weimar, dann in Dessau, und dann final in Berlin. Ich meine, das hat natürlich auch Kraft gekostet, sich immer wieder aufzurichten, immer wieder was zu wagen, also das stelle ich mir unglaublich schwierig vor, dass es aber dann doch so viele kreative Energie entfaltet hat und so viel produziert hat in der Zeit, das ist eigentlich sehr bewundernswert, und ich glaube, daraus kann man auch viel lernen."
Sechs Jahre blieb das Bauhaus in Weimar, bis es von der rechtsnationalen Regierung vertrieben wurde. Nach ein paar erfolgreichen Jahren in Dessau geriet die Schule erneut unter politischen Druck. Die dritte und letzte Station war Berlin, wo sich das Bauhaus im Sommer 1933 selbst auflöste, nachdem klar geworden war, dass es im Nationalsozialismus für das Bauhaus keine Zukunft gab.
Ist es erlaubt, das gesellschaftspolitische Desaster umstandslos in eine kulturhistorische Erfolgsgeschichte umzuschreiben? Annemarie Jaeggi vom Berliner Bauhaus-Archiv differenziert:
"Das Bauhaus ist, obwohl es nur kurz existierte, vielleicht sehr viel facettenreicher, als man es gerne so verallgemeinernd darstellt. Das Bauhaus strebt in den Strömungen der Avantgarde, die es damals gab, über Deutschland hinaus in vielen anderen europäischen Ländern, auch als ein Teil eines neuen Aufbruchs, eines durchaus reformerisch, wenn nicht sogar revolutionär die Welt ändern wollenden Aufbruchs."
Widersprüchlich und ohne klare Linie
Das historische Bauhaus war widersprüchlich und heterogen. Es gibt keine klare Linie. Hellmut Seemann, Leiter der Klassik Stiftung Weimar, bemüht sich um Klarheit. Dabei hat er vor allem das frühe Bauhaus im Blick, als die Schule noch in Weimar war:
"Da sind ja Positionen noch in einem Topf, ich sag immer, Stammzellenforschung kann da stattfinden, was alles so in der Moderne mit webt und wabert, und dann differenziert sich das mehr und mehr heraus. Und das finde ich interessant, weil in der Rezeption des Bauhauses gern getan wird, als ob das Bauhaus erst in Dessau beginnt. Das finde ich besonders interessant, wenn eine Epoche ihren eigenen Ursprung als nicht mehr adäquat und dem eigenen Selbstbewusstsein entsprechend verdrängt."
Die Bauhaus-Moderne verbindet sich vor allem mit der Industriestadt Dessau. Hier hatte die Schule ihre goldenen Jahre. Die wichtigsten Bauhaus-Bauten und unverwüstliche Design-Ikonen stammen aus der Dessauer Zeit.
1932 zog das Bauhaus dann nach Berlin. Nur ein knappes Jahr konnte der letzte Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe das Bauhaus als Privatschule weiterführen.
Trauriges Ende in einer leerstehenden Telefonfabrik
Während in Weimar und Dessau die historischen Bauhaus-Bauten auf der UNESCO Welterbeliste stehen, sind in Berlin kaum noch Bauhaus-Spuren zu finden. Der Originalschauplatz in Berlin-Steglitz ist ein gespenstischer Ort, den Annemarie Jaeggi in all seiner Tristesse beschreibt:
"Der Schauplatz war damals eine leerstehende Telefonfabrik. Diese Telefonfabrik stand leer, weil ja damals eine wirklich absolute Notsituation herrschte, mit ungefähr sechs Millionen Arbeitslosen, eine extrem schwierige wirtschaftliche Krisensituation. Und dieses Gebäude ist im Zweiten Weltkrieg getroffen worden bei der Bombardierung und ist abgerissen worden nach dem Zweiten Weltkrieg."
Auf dem Grundstück, auf dem das historische Bauhaus sein trauriges Ende fand, steht heute ein Supermarkt. Nur an einem Nachgebäude findet sich eine verschmutzte Gedenktafel hinter einem schäbigen Zaun.
Dem tristen Ende folgte eine grandiose Wiederauferstehung. Demnächst wird es in Weimar, Dessau und Berlin gleich drei neue Bauhaus-Museen geben. Die Häuser in Weimar und Dessau werden im Jubiläumsjahr fertig. Berlin muss sich noch etwas gedulden, frühestens 2022 soll der Erweiterungsbau am Landwehrkanal bezugsfertig sein.
Gleich drei neue Bauhaus-Museen? Claudia Perren, Direktorin der Stiftung Bauhaus Dessau, begründet weshalb:
"Es hat natürlich mit den Sammlungen zu tun, denn unsere Sammlungsgeschichten sind ja auch nicht zusammengelegt, und das hat auch einen Grund. Also Weimar hat ja die von Gropius selbst zusammengestellte Sammlung, bevor er dann nach Dessau umzog, von daher hat das natürlich eine Wertigkeit in sich. Dann das Bauhaus-Archiv in Berlin, die waren im Prinzip nach dem Zweiten Weltkrieg die ersten, von Westdeutschland, damals von Darmstadt aus noch, die überhaupt wieder Bauhaus sammelten, das ist die westdeutsche Sammlungsgeschichte. Und die Stiftung Bauhaus Dessau oder die Vorgängerinstitution, die haben auch in der DDR in den 70er-Jahren erst wieder angefangen, Bauhaus zu sammeln."
Woher kommt der Bauhaus-Mythos?
Was ist das Bauhaus? Max Bill, Künstler, Architekt und Designer, war von 1927 bis 1929 Schüler am Dessauer Bauhaus. Im Dezember 1994, einen Tag, bevor er auf dem Flughafen Berlin-Tegel unerwartet starb, hat er noch einmal über den Mythos Bauhaus nachgedacht.
Seine Überlegung zielt auf die Substanz einer Institution, die weltweit Karriere machte:
"Ich habe mir das auch überlegt, woher dieses Bauhaus, das immer noch existiert, herkommt. Und da muss ich sagen: die Idee ist eigentlich der Name. Wenn das nicht 'Bauhaus' heißen würde, dann wäre das schon lang verrottet. Bauhaus war ein idealer Name, und man konnte alles machen damit."
Ein Statement, das Ulrike Bestgen, zuständig für das Bauhaus-Museum in Weimar, beeindruckt und nachdenklich macht.
"Das ist sehr klug, das ist wirklich sehr klug. Und wenn man mal Definitionen zusammenstellt, so wird man ja feststellen, dass es die eine Definition – zum Beispiel von Walter Gropius – nicht gibt. Das ist ein gewisser Kunstgriff, um dem Ganzen ja auch so einen Raum zu geben, dass da hineingedeutet werden kann."
Bleibt die spannende Frage, wie dieser Freiraum von den heutigen Bauhaus-Verwaltern ausgefüllt wird. In Dessau kann man Claudia Perren danach fragen. Was bedeutet für sie Bauhaus?
"Das Bauhaus für mich ist in allererster Linie eine Schule und der Mut in einer Zeit, in der es auch sehr notwendig war nach dem Ersten Weltkrieg, eine ganz neue Art von Pädagogik sich zu trauen, zu etablieren, die neue Gestaltungsmöglichkeiten für eine neue Gesellschaft bieten sollte."
Unterscheidung zwischen dem Bauhaus und seiner Rezeption
Ja, das Bauhaus war mutig. Aber reicht diese moralisch indifferente Tugend aus, um den existenziellen Kern der Schule zu beschreiben? Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, argumentiert so:
"Ich unterscheide scharf zwischen dem Bauhaus und der Rezeption des Bauhauses. Also für mich ist eigentlich auch alles, was im engeren Sinne in der Nachfolge des Bauhauses steht, also ob Sie das Black Mountain College in Amerika nennen würden als Stichwort oder ob Sie in Tel Aviv, die Weiße Stadt, nennen würden, das ist alles nicht Bauhaus, sondern das ist Bauhaus-Rezeption und Bauhaus-Folge. Ich finde schon, man sollte diesen Begriff erst mal dieser Schule vorbehalten, die eben 14 Jahre existiert hat."
Nach dieser Definition ist das Bauhaus-Archiv in Berlin Rezeptionsgeschichte pur.
"Ich glaube, wenn Sie zehn verschiedene Leute fragen, was ist das Bauhaus, dann kriegen Sie auch zehn verschiedene Antworten. Das Bauhaus war eine Schule, und in der Vergangenheitsform eine Schule, die 1933 unter dem Druck der Nationalsozialisten geschlossen wurde und nicht mehr eröffnet wurde. Für mich ist das auch eine historisch abgeschlossene Geschichte", argumentiert Annemarie Jaeggi. Aber zum Hundertjährigen wird nicht eine abgeschlossene Geschichte gefeiert:
"Nicht nur zurückzugucken, in die 14 Jahre zwischen 1919 und 1933, in denen das Bauhaus existierte, sondern die Frage zu stellen: Was ist denn in diesen 100 Jahren passiert? Wie ist Bauhaus weiter transportiert worden? Ist daraus vielleicht etwas anderes geworden? Gibt es Ideen, die bis heute unter Umständen weiterleben?"
Offenes Konzept lädt zum Missbrauch ein
Das offene Konzept mit den unzähligen Fragen öffnet dem Missbrauch Tür und Tor. Das Bauhaus wird zum Selbstbedienungsladen. Pünktlich zum Jubiläum darf sich jeder ein gefälliges Bauhaus zimmern.
In Celle wird eine Siedlung aus den 20er-Jahren zu Bauhaus-Architektur, Gebaut von Otto Haesler, einem Architekten, der nie am Bauhaus gewesen ist. Egal. Zum Jubiläum erscheint in Celle ein "Bauhaus-Magazin". Und der Geschäftsführer der örtlichen Tourismus und Marketing GmbH verkündet stolz:
"Im touristischen Kontext bietet das Bauhaus-Jubiläum für Celle ungeahnte Möglichkeiten und die Chance, Celle voranzubringen und in ein internationales Rampenlicht zu stellen. Genau diese Gunst der Stunde wollen wir nutzen, um Celle als kulturhistorisch relevanten Ort vorzustellen."
Mit dem offenen Jubiläumskonzept aber gerät das Verhältnis zwischen Bauhaus und Moderne aus den Fugen. Es wird häufig der Eindruck erweckt, Bauhaus und Moderne seien ein Synonym. Ein Problem, das Annemarie Jaeggi schon länger aufgefallen ist:
"Ich möchte es wirklich inzwischen als kurios darstellen, wie die unterschiedlichsten Menschen das Bauhaus sehen. Es gibt diese unglaublich verallgemeinerte Sicht, das Bauhaus sei gleich die Moderne oder stehe stellvertretend für die Moderne, und deswegen ist das Bauhaus dann auch schuld an allen Verfehlungen der Moderne. Oder das Bauhaus wird glorifiziert, weil es eben stellvertretend für eine gut empfundene, positiv empfundene Moderne dasteht."
Einem Missverständnis auf der Spur
Annemarie Jaeggi grübelt seit vielen Jahren, wie es dazu kommen konnte. Auch Claudia Perren kennt das Phänomen, und auch sie hat keine Ahnung, was da wirklich passiert:
"Also man meint eigentlich die Moderne und sagt aber Bauhaus. Warum das so einfach ist, ist mir bis heute auch nicht so ganz klar. Was man aber feststellen kann und sollte, ist, dass das Bauhaus damals in einem globalen Netzwerk der Moderne agiert hat. Also es war Teil der Moderne, aber es war natürlich damals in keinster Weise stilprägend oder bestimmend über allen, sondern es war ein ganz kleiner Teil, der auch nicht wirklich so war, wie er heute als Stil dargestellt wird."
Einen möglichen Hinweis auf das Missverständnis gibt die Ausstellung "The International Style", die der Architekt Philip Johnson 1932 am New Yorker Museum of Modern Art kuratieren konnte.
Philip Johnson machte aus dem politisch engagierten Bauhaus einen abstrakten, von allen gesellschaftlichen Umständen losgelösten Stil. Ein fundamentaler Angriff auf das Selbstverständnis des Bauhauses.
Hellmut Seemann betont einen anderen Aspekt. Für ihn ist die Moderne ein Epochenbegriff, der gar keine Missdeutungen zulässt:
"Es gibt Menschen, die haben einen sehr normativen Modernebegriff, das sind also die Menschen, die sagen: Alles, was im schwierigen 20. Jahrhundert gut war, muss Moderne gewesen sein, und das andere eben dann Gegenmoderne oder Reaktion oder politischer Konservativismus oder was auch immer. Und dann gibt es andere, die sagen: Moderne ist ein Epochenbegriff, der keine Normativität in sich tragen kann, denn Epochen sind Epochen und sind nicht etwas, was man gut oder schlecht finden kann."
Die Weimarer Vorgeschichte
Steht das Bauhaus am Beginn der Moderne? An eine Stunde Null, an einen voraussetzungslosen Bauhaus-Beginn, glaubt heute keiner mehr.
Hellmut Seemann: "Wir können heute ganz deutlich sehen, dass das Bauhaus mitnichten nach Weimar gefallen ist wie ein Kartoffelsack, der in 4000 Meter Höhe aus dem Flugzeug geworfen wurde und zufällig niedergegangen ist. Sondern die Vorgeschichte des Bauhauses ist im Grunde genommen nur in Weimar zu erzählen und hochwichtig für das, was dann das Bauhaus in Weimar gewesen ist, und was tatsächlich das Bauhaus-Bild in Dessau und später dann auch noch ein bisschen in Berlin geprägt hat."
Weimar erinnert vor allem an Henry van der Velde, der am 1. April 1908 die "Großherzoglich-Sächsische Kunstgewerbeschule" gegründet hat, aus der das Bauhaus hervorgehen sollte, und man ist stolz auf die älteste Bauhaus-Sammlung, denn als die Schule 1925 nach Dessau zog, überließ Walter Gropius dem Weimarer Schlossmuseum 168 Bauhaus-Objekte, erklärt Hellmut Seemann:
"Ich weiß gar nicht, ob man je kapiert hat, wie symbolisch das ist. Da hat er wirklich eine Flaschenpost hier in Weimar gelegt. Er wusste, dass das keinen interessiert, und wie durch ein Wunder bleibt bei allen Stürmen der entarteten Kunst – die ja in Weimar schon sehr viel früher losgehen als später im nationalsozialistischen Reich, dass hier erste Dinge eingezogen werden und dem Publikum nicht mehr gezeigt werden dürfen. Diese Sammlung kommt nie in den Blick. Die bleibt immer liegen.
Und das liegt vermutlich daran, dass sie den Menschen, die damals Verfügungsgewalt hatten, einfach gar nicht bekannt war. Und deswegen ist sie erhalten geblieben in dieser Form. Und diese wird nun das erste Mal umfassend gezeigt. Man sieht die Dokumentation, die Gropius von seiner Schule, die er hier sechs Jahre geleitet hat, in Weimar."
Dessau und der DDR-Zugang zum Bauhaus
In Dessau steht die DDR-Geschichte im Vordergrund und die damit verbundene Wertschätzung des zweiten Bauhausdirektors Hannes Meyer. Claudia Perren will sich diesem Zeitraum intensiv widmen:
"Für unsere Sammlung ist sehr prägnant, dass sie eigentlich erst über Hannes Meyer diesen Zugang zum Bauhaus gefunden hat, also das war dann in der Ideologie noch machbar, während ja Gropius und Mies sozusagen zur kapitalistischen Seite gehörten. Das sind ganz verschiedene Geschichten, die die Sammlung prägen und wie die Dinge ausgestellt werden."
Weimar, Dessau, Berlin: Die drei neuen Bauhaus-Museen werden maßgeblichen Einfluss darauf haben, welche Erzählung in den kommenden Jahren das offizielle Bauhaus-Bild prägen wird.
In Weimar und Dessau wurden zunächst Standortfragen diskutiert. Dabei kam es in Dessau zu einem heftigen Streit. 2014 haben die Stadt Dessau und das Kultusministerium von Sachsen-Anhalt beschlossen, das neue Museum am Rand der Innenstadt zu bauen. Gegen den Willen von Philipp Oswalt, der den Museumsneubau nicht im Stadtpark, sondern in der Nähe des Bauhaus-Ensembles haben wollte.
Das war ein Grund, weshalb der Vorgänger von Claudia Perren seinen Posten räumen musste:
"Für mich ist der Standort Stadtpark der viel logischere für die Stadt Dessau, weil die Bauhaus-Bauten, wir haben ja deren 15, eigentlich schon immer über die ganze Stadt verstreut waren. Dass es eigentlich so eine Art Scharnierfunktion für uns gibt, mitten in der Stadt, und wir nicht so eine Art Bauhausinsel haben."
Neues Weimarer Museum an einem mutigen Ort
Auch in Weimar wurde der Standort diskutiert. Und es bleibt ein mutiger Entschluss, das neue Museum zwischen Bahnhof und Altstadt an einem kleinen Hang zu bauen, einer Landaufschüttung, die in den 30er-Jahren beim Bau des nationalsozialistischen Gauforums entstanden ist.
Hellmut Seemann erinnert sich an die Diskussion:
"Es war der Wunsch der Stadt, das Museum in dieser Umgebung zu positionieren, damit hat die Stadtgesellschaft, die Communitas, eigentlich etwas ganz Richtiges erkannt: Wir haben ja ein Problem. Wir haben einen großen innerstädtischen Bereich, wo niemand hingeht. Und dort hat sich die Klassik-Stiftung davon überzeugen lassen, dass genau dort der Ort ist, wo das Bauhaus hingehört. Politisch, von der Topographie der Politik her, gehört das sogenannte Gauforum, das dann in den 30er-Jahren dort entstanden ist, absolut in denselben Epochenzusammenhang, in den auch das Bauhaus gehört."
Das neue Museum soll im April 2019 eröffnet werden. Der Entwurf stammt von dem Berliner Architektenduo Heike Hanada und Benedict Tonon. Ein Bau, der sich dem Bauhaus nicht anbiedert, auch deshalb nicht, weil es in den Weimarer Jahren noch gar keine Bauhaus-Architektur gab. Ein Kubus mit fünf Ebenen, die in offenen Räumen ineinander übergehen:
"Das macht die Architektin in einer Radikalität, dass ich bis heute noch nicht weiß, ob die Leute das akzeptieren werden. Aber ich werde immer positiver in meiner Einschätzung, weil, mit wem auch immer ich da durchgehe, und wem auch immer ich das Haus erkläre, die sagen irgendwann, und wenn es auch bei manchen erst im zweiten Obergeschoss ist, irgendwann sagen die: Wow, was für ein Gebäude."
Ein Turm für das Berliner Bauhaus-Archiv
Nach endlosem Hin und Her bekommt auch das Berliner Bauhaus-Archiv ein neues Museum als Erweiterungsbau. Nach dem Willen von Walter Gropius sollte das Bauhaus-Archiv auf keinen Fall ein Museum sein, sondern ein Archiv, wo über das Bauhaus geforscht und diskutiert werden kann. Jetzt wird der Bau von Walter Gropius, der seit 1979 am Berliner Landwehrkanal steht, vom Museumsbetrieb erlöst.
Die Pläne für den Erweiterungsbau stammen von dem Berliner Architekten Volker Staab.
Annemarie Jaeggi: "Bauhaus ist vielleicht viel mehr eine große Idee oder besteht aus vielen unterschiedlichen Ideen, und eine dieser Ideen hat Volker Staab sicher aufgegriffen, nämlich mit dem Turmbauwerk ein markantes Gebäude hinzustellen, in dem die gesamte Museumspädagogik, kulturelle Bildung untergebracht ist. Das heißt, das erste, was Sie sehen, wenn Sie sich dem Areal nähern werden, ist ein ganz lebendig bevölkertes Stück Architektur. Und dann sehen Sie da drin, wie pädagogisch gearbeitet wird, und dann sind wir auch sofort am Bauhaus als Schule."
Doch was wird in den neuen Museen gezeigt? Dessau will kein Kunstmuseum sein. Hier, sagt Direktorin Claudia Perren, soll künstlerisch wissenschaftlich gearbeitet werden:
"Wir stellen nicht den Freischwinger als finales, ikonenhaftes Objekt auf ein Podest, sondern wir erzählen in unserer Ausstellung: Wie kam es denn zum einen überhaupt zu der Idee eines Freischwingers, zu den Materialstudien? Wer hat dran gearbeitet, wieviel Prototypen gab es, mit welcher Industrie wurde zusammengearbeitet, wie wurden die Dinger vermarktet, an wen verkauft, wieviel haben die gekostet, also all das."
Die Objekte sollen ihre Geschichte erzählen. Es ist ein kulturhistorischer Ansatz, der schon lange die Debatten in den Museen beherrscht. Mit der Provenienzforschung, die sich auch darum kümmert, ob der Besitz der Kunstwerke rechtmäßig ist, hat dieser Ansatz nochmals an Gewicht gewonnen. Viele Museen stellen entsprechend aus, und der Brite Neil MacGregor, einer der Gründungsintendanten des Berliner Humboldt Forums, war stilbildend mit seiner "Geschichte der Welt in 100 Objekten", die er im Radio und als Buch veröffentlicht hat.
Politische Dimension der Bauhaus-Rezeption
Berlin hat noch etwas Zeit, weil das neue Museum erst in drei bis vier Jahren eröffnet wird. Und für Weimar spielt die politische Dimension in der Bauhaus-Rezeption eine besondere Rolle, so Hellmut Seemann:
"Wenn man das Bauhaus und seine Impulse – und zwar gerade auch seine gestalterischen Impulse –, wenn man die nicht sozialhistorisch zusammenführt mit dem, was in der Epoche des Bauhauses tatsächlich stattgefunden hat, an Debatten aber auch an Entwicklungen, dann wird man das zu einer musealen Puppenstube werden lassen. Und das sollten wir nicht zulassen."
Es bleibt eine Ironie der Geschichte, dass noch vor Jubiläumsbeginn in Dessau das Bauhaus auf den Prüfstand kam. Das Diktum von Walter Gropius, das Bauhaus sei kein Stil, sondern eine Haltung, drängt seitdem mit Macht in den Vordergrund.
Im Oktober 2018 untersagte die Stiftung Bauhaus Dessau in ihrer Aula ein Konzert der ostdeutschen Punkband "Feine Sahne Fischfilet". Claudia Perren wollte das UNESCO-Welterbe vor Vandalismus schützen, und sie wollte der rechten Szene keine öffentliche Plattform zur Selbstdarstellung bieten. Unterstützung bekam sie von Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra, der ihre Entscheidung vehement verteidigte und ansonsten die eigenen Hände in Unschuld wusch.
Die absurde Behauptung, Walter Gropius und sein damaliges Bauhaus seien unpolitisch gewesen, provozierte weltweit Empörung und Widerspruch. Die Aussage wurde später offiziell mit Bedauern zurückgenommen. Doch der Imageschaden war da. Mit dem vermeintlich unpolitischen Bauhaus verfolgte die Stiftung eine Strategie, die schon beim historischen Bauhaus nicht verfangen konnte.
Vergeblicher Versuch der politischen Neutralisierung
Hellmut Seemann erzählt, wie Walter Gropius vergeblich versuchte, die Institution durch politische Neutralisierung zu retten:
"Ich finde auch so interessant, dass man von Anfang an merkt, dass Gropius, der natürlich wusste, dass sie ein hochpolitisches Projekt im Bauhaus betreiben, immer dafür war, im Bauhaus keine politischen Debatten zuzulassen, und glaubte, damit könne er das Bauhaus aus der politischen Vernichtungspolemik der völkisch-nationalen Kreise heraushalten, indem er deutlich macht: Wir sind hier eine Kunstschule und wollen auch gar nichts anderes sein als eine Schule für Kunst und Gestaltung.
Das hat ihm keiner geglaubt, und tatsächlich hat es auch nicht geholfen, weil natürlich sahen die Menschen, was da für Menschen am Bauhaus leben und arbeiten, und auf der anderen Seite hilft es eben nicht, wenn man gesellschaftspolitischen Debatten dadurch aus dem Weg zu gehen glaubt, dass man sagt, da in der Klassik-Stiftung spielt das alles keine Rolle. Natürlich spielt das hier eine Rolle, und das müssen wir auch in einem Projekt wie dem Bauhaus sehr deutlich adressieren, dass das eine Rolle spielt, wie wir heute über soziale Fragen in den neuen Ländern sprechen."
Auch heute geht es beim Bauhaus um Haltung. Die inneren und äußeren Gründe für das politische Scheitern der Bauhaus-Idee zu verstehen: Das wäre auch für heute aufschlussreich.
Stattdessen zeichnet sich ab, dass das zeitgemäße Bauhaus-Image in Dessau zu einem antiseptischen Kreativitätsversprechen wird. Das historische Scheitern und Fehlentwicklungen werden zu Kollateralschäden, die nur am Rande interessieren.
Claudia Perren ist es wichtig, das Bauhaus als eine von Anfang an international agierende Institution zu präsentieren:
"Gropius hat ja die Leute verstärkt aus verschiedenen Ländern aus Europa, aber auch aus Amerika, die Studenten kamen nachher aber zum Beispiel auch aus Japan und aus Palästina. Die haben in sehr internationalen Netzwerken agiert, ich glaube, das war auch ihr Grundverständnis, und deswegen war es natürlich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten noch mal verstärkt so, dass sie international agiert haben, aber natürlich nicht nur und ausschließlich danach, sondern vorher auch schon."
Geschichtsvergessenheit in Dessau mit Folgen
Die Koordinatenverschiebung soll aktuelle Aktivitäten legitimieren, die bis China reichen. Dem Dessauer Bauhaus ist die eigene Geschichtsvergessenheit beim Eklat um die Band "Feine Sahne Fischfilet" auf die Füße gefallen. Eine unbeschwerte Jubelfeier wird es nicht geben.
Das historische Bauhaus reagierte auf den Ersten Weltkrieg, als es keine kulturellen Gewissheiten mehr gab. Es hatte den Anspruch, mit dieser Ungewissheit produktiv umzugehen, um das entstandene Sinn-Vakuum zu füllen. Das Bauhaus war der Versuch, ein gesamtgesellschaftliches Konzept für eine bessere Welt zu entwickeln.
100 Jahre später geht es bei den Bauhausfeiern und der Bauhaus-Rezeption nicht zuletzt um das kulturelle Selbstverständnis unserer Republik. Was man beim Bemühen um kommerziellen Erfolg im Tourismus nicht ganz vergessen sollte.
Ulrike Bestgen: "Es ist verständlich, es ist ein großes Jubiläumsjahr, viele möchten daran teilnehmen. Das ist auch etwas, was wir angestoßen haben, das muss man durchaus auch selbstkritisch sich dann mal anschauen: Was haben wir da gemacht?"
Ulrike Bestgen, verantwortlich für das Bauhaus-Museum in Weimar, übt etwas Selbstkritik, denn im Moment wird vieles als Bauhaus verkauft, wo in Wahrheit gar kein Bauhaus drin ist.