100 Jahre Franz Josef Strauß

Die bayerischen "FJS-Festspiele"

Franz Josef Strauß auf dem Münchner Oktoberfest 1979
Franz Josef Strauß im Jahr 1976 auf einem Parteitag in Hannover. © picture alliance / dpa / Foto: Istvan Bajzat
Von Michael Watzke |
Vielen gilt der Ex-CSU-Chef Franz Josef Strauß als Staatsmann und Ikone. Selbst sein früherer politischer Gegner Helmut Schmidt findet heute lobende Worte für ihn. Die bayerische Opposition macht dabei nicht mit und boykottiert die "FJS-Festspiele" zu seinem 100. Geburtstag.
"Franz Josef Strauß / Franz Josef Strauß / Franz Josef Strauß / Franz Josef Strauß"
Franz Josef Strauß. Von ihm kommt Bayern auch heute nicht los. Ob CSU…
Erwin Huber: "Ich habe in meinem Arbeitszimmer zuhause eine Strauß-Büste!"
Oder Opposition…
Margarete Bause: "Wir bauen heute noch die Hypotheken ab, die Franz Josef Strauß Bayern hinterlassen hat!"
Ob auf dem Land oder in München: Franz Josef Strauß ist allgegenwärtig. Für Touristen schon bei der Ankunft am Flughafen der Landeshauptstadt. Dem Franz Josef Strauß Airport.
Franz Georg Strauß: "Wenn man da hinausfährt, den Namen liest… meine Kinder sind da ganz ungläubig, weil das kann man ja kaum glauben, dass der eigene Opa derjenige ist, nach dem der Flughafen benannt ist."
Sagt Franz Georg Strauß, der jüngere Sohn von FJS. Franz Georg fährt auch gerne zum Franz-Josef-Strauß-Ring, dem Amtssitz des bayerischen Ministerpräsidenten:
"Natürlich, wenn man in München zum Franz-Josef-Strauß-Ring Nummer 1 kommt, zur Staatskanzlei, das freut einen, das muss ich schon sagen. Bin auch dankbar, dass diese Entscheidung gefallen ist."
Wenn es damals nach Franz Josef Strauß gegangen wäre, dann sähe die bayerische Staatskanzlei, das ehemalige bayerische Armeemuseum am Hofgarten, heute ganz anders aus, sagt der Münchner Stadtarchivar Michael Stephan:
"Das war vorgesehen mit zwei riesigen Flügelbauten noch. Also die hätten den Hofgarten völlig erdrückt. Man sprach deshalb auch vom Straußoleum."
Die Flügelbauten fielen weg. Der Name aber blieb. Straußoleum. Bayerns früherer CSU-Wirtschaftsminister Otto Wiesheu sieht Strauß auch gern als Statue.
"Ich ärgere mich immer, dass zum Beispiel bei Airbus in Toulouse eine riesige Straußbüste im Eingang steht, wenn man ins Hauptgebäude kommt. Und bei uns? Steht nix! Jetzt hamm‘s was aufgestellt in Ottobrunn. Aber in Hamburg, das müssen’s suchen, dass sie was finden."
Büste von CSU-Vorsitzenden Strauß am Münchner Flughafen
Büste von Franz Josef Strauß am Münchner Flughafen, die anlässlich des 100. Geburtstages des CSU-Politikers vom Künstler Hubert Maier angefertigt wurde. © picture alliance / dpa / Foto: Matthias Balk
Nun ist Hamburg, die Heimatstadt des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel", nicht unbedingt das natürliche Habitat einer Franz-Josef-Strauß-Statue. Der Große Vorsitzende ist in Bayern dahoam. Auf dem Land noch stärker als in seiner Geburtsstadt München, die als SPD-Hochburg manchmal ein wenig fremdelt mit dem Andenken an Strauß. Dagegen feiert Rott am Inn, die oberbayerische Heimatstadt von FJS, selbstbewusst das politische und familiäre Erbe. Hier ist Strauß begraben, in der Kaisergruft des örtlichen Klosters, die CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer immer wieder gern besucht.
Thomas Kreuzer: "Franz Josef Strauß ist überall in Bayern spürbar. Sei es in Rott am Inn, aber auch am Flughafen."
Joachim Herrmann: "Ich glaube, es ist wichtig, dass wir die Erinnerung an Franz Josef Strauß aufrechterhalten."
…findet Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, CSU. Und Finanzminister Markus Söder geht noch weiter: er fordert, FJS solle als Bronze-Büste in die Walhalla einziehen, die bayerische Ahnengalerie bei Regensburg, hoch über der Donau. Söder kennt sich aus mit Heiligen-Verehrung: schon als 14-jähriger Schüler und JU-Mitglied schlief er jede Nacht unter einem Franz-Josef-Strauß-Poster. Es hing direkt über seinem Bett.
"Ich bin eingetreten nach einer Rede von Strauß, auf dem Nürnberger Hauptmarkt Anfang 1983. Das hat mich so fasziniert: die Kraft, die Rhetorik!"
Franz Josef Strauss: "Wir lassen uns aber nicht einen Maulkorb umhängen und unter einen Teppich kehren, auf den wir dann treten sollen!"
Markus Söder: "Als ich junger Generalsekretär war, hingen in meinem Büro zwei große Plakate. Das eine von Franz Josef Strauß…"
Söder bei einer Bierzelt-Rede. Seine Strauß-Anekdoten ziehen immer.
Markus Söder: "Auf diesem Plakat war er als junger Finanzminister der Großen Koalition in den 60er-Jahren. Da stand drauf: Ich, Strauß, mache die D-Mark hart!"
Markus Söder vergleicht sich gern mit dem jungen Strauß: beide Finanzminister, beide Mitglied im "Verein für deutliche Aussprache", wie Söder das nennt. Und beide Teil einer politischen Ahnenreihe, die von Strauß über Stoiber direkt zu Söder führt.
Markus Söder: "So wie Edmund Stoiber der engste Mitarbeiter von Strauß war, war ich ja sozusagen der engste Mitarbeiter von Edmund Stoiber."
Kritischer Blick auf Söder
Vor einiger Zeit postete Söder ein Bild von sich und Strauß auf Facebook. Markus Rinderspacher, SPD-Fraktionschef im bayerischen Landtag, musste laut lachen.
Markus Rinderspacher: "Markus Söder muss eine ziemlich traurige Jugend gehabt haben, wenn er heute Fotos veröffentlicht, wie er als 14-Jähriger mit Krawatte vor einem Franz-Josef-Strauß-Poster steht. Da frage ich mich: was hat der arme Kerl eigentlich in seiner Jugend gemacht? Während andere Flaschendrehen gespielt haben und knutschend auf Partys in der Ecke lagen, war er derjenige, der sein Franz Josef Strauß-Poster angebetet hat!"
Rinderspacher ist nicht der einzige, der Söders Strauß-Avancen den Vogel zeigt. Auch CSU-Parteichef Horst Seehofer blickt kritisch auf den Versuch seines Nebenbuhlers, den alten Strauß zu vereinnahmen. Der amtierende bayerische Ministerpräsident sieht sich selbst als politischen Testamentsvollstrecker seines Vorvorvorgängers.
Hort Seehofer: "Ja, in weiten Teilen fühle ich mich schon als Erbe. Mache das auch so. Mir sagen Leute, die ihn noch enger als ich erlebt haben als ich: denk‘ Dir nichts, von Franz Josef Strauß hat man auch immer verlangt, dass er gegenüber dem Bundeskanzler alles durchsetzen sollte. Aber es durfte deshalb niemals Streit stattfinden."
Einem ordentlichen Streit aber konnte der alte Strauß kaum widerstehen. Ob es ein Scharmützel mit der SPD-Opposition war…
Strauß: "Ja, genau das ist ein dümmliches Argument, Herr Wähner. Die These, der Geist stehe links, ist nichts anderes als die permanente Wiederholung einer Dummheit!"
Oder mit der eigenen Schwesterpartei unter Helmut Kohl…
Strauß: "Diese politischen Pygmäen der CDU! Diese Zwerge im Westentaschenformat!"
Das waren noch Zeiten – als man sich in Bonn fetzte, dass die Funken flogen. Damals, beim Strauß… seufzen die Alten melancholisch-verklärt. Sogar manche in der SPD. Helmut Schmidt etwa schwärmt geradezu von seinem härtesten Konkurrenten. Obwohl sich die beiden 1980 im
Bundestagswahlkampf bis aufs Blut bekämpften.
Strauß: "Ich bin ein überzeugter Anhänger des Rechtsstaates. Aber die großen Lumpen muss man stärker aufs Hirn hauen, als man die kleinen Leute verfolgt."
Helmut Schmidt: "Kriegskanzler. Panikkanzler. Reif für die Nervenheilanstalt. Das wäre alles Originalton Strauß, und noch viel mehr. Dieser Mann hat keine Kontrolle über sich. Und deshalb darf er erst recht keine Kontrolle über unseren Staat bekommen."
Heute sagt Helmut Schmidt über Franz Josef Strauß, er sei einer der brillantesten Staatsmänner in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen. Und dann schwelgt der Altkanzler in Erinnerungen: Wenn man sich damals begegnet sei, habe der eine gesagt: "Na, sie alter Gauner?" Und der andere habe geantwortet: "Na, sie alter Lump?" Die beiden Partei-Veteranen entwickelten sich in späten Jahren zu einem Polit-Pärchen, das an Statler und Waldorf aus der Muppetshow erinnert. Monika Hohlmeier, die Tochter von Franz-Josef Strauß, würde diesen Vergleich natürlich scharf zurückweisen.
Strauß und seine Gegner
"Helmut Schmidt war für meinen Vater jemand, den er deshalb respektiert hat, weil er ihm intellektuell gewachsen war. Und mein Vater hat immer Sparrings-Partner gesucht. Der hat sich nicht schwache Diskutanten gesucht, die haben ihn nicht interessiert. Aber ein Helmut Schmidt, der selbst intellektuell in der Lage war, politische Ideen zu entwickeln, der intelligent genug war, aus Sicht eines Franz Josef Strauß auch einmal mutig genug war, Beschlüsse gegen seine eigene Partei durchzusetzen – wie den NATO-Doppelbeschluss, der in der SPD extrem unbeliebt war – dass da Helmut Schmidt den Mumm hatte, dazu zu stehen, das war etwas, das meinen Vater an Helmut Schmidt gereizt hat. Die ihn haben ihn respektieren lassen."
Respekt brachte Franz Josef Strauß längst nicht allen Zeitgenossen entgegen. Besonders denen nicht, die er für weniger intellektuell begabt hielt als sich selbst. Also den meisten.
Strauß: "Es wird keinen bayerischen Amtsrichter geben, der mir verwehren wird, etwa durch eine einstweilige Verfügung, weiterhin zu sagen, dass eine Politikerin, die solchen Krampf macht, in Bayern eine adäquate Bezeichnung rechtfertigt, nämlich eine Krampfhenne."
CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß (l) und Bundeskanzler Helmut Schmidt
CSU-Vorsitzender Franz Josef Strauß (l) und Bundeskanzler Helmut Schmidt im Oktober 1975 im Bonner Bundeskanzleramt. © picture alliance / dpa / Foto: Popp
Ziel der Strauß-Attacke damals: Hildegard Hamm-Brücher, FDP. Aber auch die eigenen Parteifreunde litten unter den zornesroten Vulkanausbrüchen des Mount FJS. In seiner Zeit als bayerischer Ministerpräsident fand jeden Montag ein Jour Fix in der bayerischen Staatskanzlei statt. Horst Seehofer war oft dabei und erinnert sich an heftige Gewitterstürme.
"Das Zentrum des Gewitters war Franz Josef Strauß. Das waren für mich jedes Mal emotional hochanstrengende Momente."
Seehofer sagt heute, er habe viel von Strauß gelernt.
"Was mir immer gefallen hat: der Auftrag an die Politiker, kompliziert zu denken, aber einfach zu reden. Und dann hat er immer hinzugefügt: nicht umgekehrt!“
Strauß: "Man muss wissen, was man will. Und dann das tun, was man will. Die einen machen die Probleme, wir in Bayern lösen die Probleme."
Wer Horst Seehofer heute beobachtet, der entdeckt in seinem Auftreten tatsächlich Anklänge an Franz Josef Strauß. Niemand hat das treffender karikiert als der Kabarettist Helmut Schleich. Der gilt in Bayern als Wiedergeburt von FJS. Berühmtheit hat Schleich vor allem durch seine Auftritte beim Derblecken auf dem Münchner Nockherberg erlangt.
Helmut Schleich: "Wissen Sie, ich will’s ja gar nicht verhehlen, dass es mich mit einer gewissen Genugtuung erfüllt, wenn mich der Seehofer zwanzig Jahre nach meinem irdischen Ende versucht, in Mimik und Gestik zu kopieren. Das unterscheidet ihn wohltuend von seinen armseligen Vorgängern. Aber nur, weil einer beim Reden das R rollt wie ich, mit den Schultern zuckt und dabei den Hals einzieht, deswegen hat er noch lange nicht meine Kragenweite."
Streit über Würdigung von Strauß
Ist die Kragenweite von Franz Josef Strauß tatsächlich immer noch die politische Maßeinheit in Bayern? Nein, schon lange nicht mehr, sagt Markus Rinderspacher, der Fraktions-Chef der bayerischen Sozialdemokraten.
Rinderspracher: "Franz Josef Strauß war eine Episode in der bayerischen Geschichte, aber eben auch nicht mehr. Die eigentlichen Weichenstellungen für das moderne Bayern wurden schon lange vor Franz Josef Strauß vorgenommen. Die bayerische Verfassung wurde 1946 vom Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner formuliert und in Kraft gesetzt. Die maßgeblichen Investitionen beispielsweise für eine moderne Forschungs- und Hochschul-Infrastruktur waren bereits getätigt."
Bei den bayerischen Grünen sieht man das ähnlich. Margarete Bause, die Fraktions-Chefin der Grünen im bayerischen Landtag, denkt beim Erbe des früheren CSU-Chefs eher an Lasten.
"An erster Stelle natürlich die Atomenergie, den Atommüll, wo wir heute noch nicht wissen, wohin damit. Dieses Thema haben wir natürlich in erster Linie Franz Josef Strauß zu verdanken, in Anführungsstrichen."
Grüne und SPD haben sich deshalb dazu entschieden, den feierlichen Festakt der CSU zum Gedenken an den Ehrenvorsitzenden zu boykottieren.
Rinderspracher: "Die CSU macht FJS-Festspiele in exzessiver Art und Weise. Wir wollen uns daran nicht beteiligen. Ich sage: Gedenken ja, Erinnern selbstverständlich, völlig klar. Aber wir brauchen keine Heldenverehrung sowjetischer Prägung. Das macht die CSU allerdings, und das halte ich für völlig unangemessen."
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer reagierte barsch auf die Absage der Opposition. Armselig sei das: die SPD leiste seit Jahren keinen inhaltlichen Beitrag zum Vorankommen des Freistaats. Nun wolle sie stattdessen die historischen Leistungen von Strauß herabwürdigen. Parteichef Seehofer gab sich gelassener:
"Wir feiern unseren Franz Josef Strauß. Als große geschichtliche Figur. Am Freitag, am Sonntag und nächsten Donnerstag in Berlin. Die Opposition muss selber entscheiden, was sie will und was nicht. Spricht für sich."
Rinderspracher: "Die CSU deklariert das zu einer Majestäts-Beleidigung. Sie kann doch nicht ernsthaft erwarten, dass wir bei einem Politiker, der definitiv auch für Vetternwirtschaft steht, für Schmiergeldzahlungen, für fragwürdige Rüstungsgeschäfte, dass wir uns da ins Publikum setzen und als Claqueure zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund muss Herr Scheuer doch zur Kenntnis nehmen, dass vielleicht eine Mehrzahl der CSU-Wähler Franz Josef Strauß für ein politisches Vorbild hält, heute noch. Wir tun das nicht."

Für die meisten CSU-ler ist Franz Josef Strauß noch immer Teil der christsozialen DNA. Und für die bayerische SPD gehört die Ablehnung von Strauß auch heute noch zum guten Ton. Die "Stoppt Strauß"- Buttons von damals werden heute stolz präsentiert wie Tapferkeits-Orden. Der Polterer aus Rott am Inn – er polarisiert auch an seinem 100.Geburtstag noch die Politik in Bayern. 27 Jahre nach seinem Tod. Margarete Bause erinnert sich zum Beispiel an das Jahr 1986, als sie mit den Grünen erstmals in den bayerischen Landtag einzog.
Kabarettist Helmut Schleich als Franz Josef Strauß
Kabarettist Helmut Schleich als Franz Josef Strauß beim traditionellen "Politiker-Derblecken" auf dem Münchner Nockherberg im Oktober 2010. © picture alliance / dpa / Foto: Tobias Hase
Bause: "Das war ein sehr aggressiver und verdichteter Wahlkampf. Franz Josef Strauß hat uns vorgeworfen, kriminelle Subjekte zu sein. Mit Moskau zu kooperieren. Fünfte Kolonne Moskaus. Dass wir, weil wir für eine Liberalisierung der Abtreibung waren, kleine Kinder bis zum neunten Monat umbringen wollen. Das war damals die Sprache der politischen Auseinandersetzung. Es war eine sehr aggressive Form, die Franz Josef Strauß gewählt hat. Und als wir dann tatsächlich in den bayerischen Landtag eingezogen sind, konnte er sich damit nach meinem Empfinden zeitlebens nicht abfinden. Er dachte, das ist ein Versehen der Geschichte, dass Leute wie wir frei rumlaufen dürfen. Und dann auch noch im bayerischen Landtag."
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich beide Seiten nichts schenkten, wenn es um Stil und Härte der politischen Auseinandersetzung ging. Für viele Linke war Strauß der Erzfeind, den man am liebsten vor Gericht gesehen hätte. Margarete Bause erinnert sich, dass der bayerische Ministerpräsident die Grünen damals zu keiner Veranstaltung eingeladen habe. Er habe sie ignoriert.
Bause: "Also er war, was das angeht, wirklich vordemokratisch. Hat nicht akzeptieren können, dass wir eine demokratisch gewählt Kraft im Parlament sind. Hat alles versucht, uns auszugrenzen, uns draußen vor der Tür zu halten. Unterm Strich hat’s uns, glaube ich, eher genutzt als geschadet. Also insofern hat er für uns Grüne dann doch noch einen Verdienst, auch wenn er das so nie gewollt hätte."
Und nun zahlen es ihm die Grünen heim – und boykottieren die 100.Geburtstagsfeier von Franz Josef Strauß. Gut möglich, dass davon diesmal die CSU profitiert. Denn die bayerische Bevölkerung, vor allem die jüngere, hat längst kein so emotionales Bild von Franz Josef Strauß wie CSU und Opposition. Strauß ist außerhalb der Parteizirkel kein Mythos mehr. Als der Bayerische Rundfunk neulich meldete…
"Bayerns früherer Ministerpräsident Franz Josef Strauß hat nach Informationen des Spiegels jahrelang mittels einer Briefkastenfirma von Unternehmern Schmiergeld kassiert."
Da sorgte das im Freistaat nicht für ungläubiges Staunen, sondern für Schulterzucken. Dass Strauß in trüben Geldquellen fischte, glauben laut Umfragen 80 Prozent der Bayern. Sorgen muss man sich um die restlichen 20 Prozent der Bevölkerung machen. Insofern wirkte die Verteidigungsrede des alten Strauß-Intimus Peter Gauweiler fast wie Polit-Kabarett. Ausgerechnet Gauweiler, der Nebenverdienst-König des deutschen Bundestages, beschwor die Integrität seines früheren Chefs:
Gauweiler: "Der Ministerpräsident Strauß hat nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung – wenn die Geschichte überhaupt stimmt – ähm, Industrie-Unternehmen beraten. Die haben gut daran getan, den Rat von Strauß zu holen. Solche Beratungen haben viele Mitglieder früherer und späterer Bundesregierungen getätigt."
Strauß: "Ich rede jetzt nicht von 100-Mark-Scheinen. Sondern von 1000-Mark-Scheinen. Jeder Schein würde übereinandergelegt bis 35 Milliarden Mark einen Berg von 3500 Metern ergeben. Und in 100-Mark-Scheinen einen Berg von 35 Kilometern Höhe. Das ist die Höhe, in der sich heute nur mehr Weltraumschiffe bewegen. Nicht mal die Fliegerei kann sich dort bewegen. Dieser Berg übertrifft den höchsten deutschen Berg der Zugspitze noch erheblich, nämlich um das Vierfache der Höhe des Kölner Doms. Das reine Papiergewicht dieses Geldmenge 2,8 Millionen Kilogramm oder 2800 Tonnen. Stellen sie sich mal vor, in 100-Mark-Scheinen wären das 28.000 Tonnen. Und das nur beim Bund, ohne Länder, ohne Gemeinden, ohne Bahn, ohne Post. Allein in 1000-Mark-Scheinen würde man dazu 186 Waggons je 15 Tonnen brauchen. Das sind mehr als drei Güterzüge mit der Höchstzahl von 120 Achsen. Bei 100-Mark-Scheinen 120 Güterzüge…"
Strauß-Biograf Wilfried Scharnagl
Ein Nachmittag im Allerheiligsten der CSU. Dem großen Saal der Hanns-Seidel-Stiftung in München. 200 wartende Menschen wünschen sich sehnlich…
"…der Geist, der gute Geist von Franz Josef Strauß würde nach wie vor hauchen."
Dieser Geist tritt plötzlich ans Rednerpult – in der Gestalt eines zwei Meter großen Mannes von hagerer Statur und mit wuchtigem Kahlschädel und. Es ist das Franz-Josef-Strauß-Orakel der CSU, das die Stiftung-Vorsitzende Ursula Männle eigentlich gar nicht vorstellen müsste. Ein 77 Jahre alter Mann…
Männle: "…der wie kein anderer mit Strauß verbunden ist, nämlich Wilfried Scharnagl."
Wilfried Scharnagl war unter Franz Josef Strauß Chefredakteur des Bayern-Kuriers. Er hat eine persönliche Strauß-Biografie verfasst. Und in jeder seiner Reden dauert es nur ein paar Minuten, bis er auf ein für ihn zentrales Datum zu sprechen kommt. Den 30.Juli 1985.
"Am 30.Juli 1985 formulierte Strauß den Satz, dass er denke, was Scharnagl schreibe und dass Scharnagl schreibe, was Strauß denke. Man könnte Schlimmeres über mich sagen."
Wilfried Scharnagl, das Alter Ego des Großen Vorsitzenden. Das lebende Hirn des verstorbenen Strauß. Scharnagl weiß dieses Attribut zu nutzen. Er sieht sich als Sachwalter des Geschichtsbildes seines Freundes und Meisters.
"Strauß war anders als das von ihm gezeichnete Bild. Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte."
Scharnagl zitiert Friedrich Schiller, den Prolog zu Wallenstein. Das hätte Strauß gefallen. Klassische Zitate und römische Proverbien waren das Steckenpferd des alten Lateiners. Scharnagl teilte diese Passion. So kamen sich die beiden näher.
"Aus diesen Einzelteilen hat sich dann die Summe einer doch großen und vertrauensvollen Nähe entwickelt. Ich bin eigentlich vorsichtig – und er war es auch – mit dem Wort Freund und Freundschaft. Aber ich glaube, man konnte dann zu Recht davon reden."
Wilfried Scharnagl trifft Journalisten gern in der Osteria Italiana, Münchens ältestem italienischen Restaurant in der Maxvorstadt. Hier ist auch der Münchner Metzgerssohn Franz Josef Strauß aufgewachsen. Geboren am 6.September 1915 in der Schellingstraße 49. Der kleine Franz Josef besuchte das nahegelegene Maximilians-Gymnasium und erlangte dort das beste Abiturzeugnis Bayerns seit 1910. Ein intellektueller Überflieger – und ein politischer Feuerkopf.
Scharnagl: "Im Evangelium gibt es den Satz: die Lauen speie ich aus, sagt der Herr. Strauß hat nicht zu den Lauen gehört. Der Himalaja hat Kanten, Schrunden, Abgründe, Klüfte. Der Maulwurfshügel nicht. Strauß war kein Maulwurfshügel."
Strauß hielt andere für Maulwurfshügel. Etwa den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl. Dass ausgerechnet dieser Pfälzer Simpel Bundeskanzler wurde, war für Strauß schwer zu ertragen. Der Spiegel-Kolumnist Jan Fleischhauer glaubt, dass Strauß eine Eigenschaft fehlte, die Kohl besaß: Geduld. Wilfried Scharnagl runzelt seine gewaltige Stirn.
"Kohl war 15 Jahre jünger als Strauß. Und wer jünger ist, kann mehr Geduld haben als der andere, weil er eine längere Strecke vor sich hat. Insofern hat er ein stolzes Ergebnis erreicht. Wie Strauß gesagt hat: er habe die Festung 1980 sturmreif geschossen, und 1982 kam es dann zum Wechsel."
Freunde wurden Kohl und Strauß nie – bis zum plötzlichen Tod des Bayern am 3.Oktober 1988. Lebte Strauß noch, er hätte sich wahrscheinlich köstlich amüsiert, als vor einigen Monaten Helmut Kohls private Interviewbänder in die Öffentlichkeit gelangten – mit peinlichen Indiskretionen über Parteifreunde und Weggefährten. Sowas wird Strauß nicht passieren – dafür sorgt Wilfried Scharnagl. In dessen Wohnung befindet sich seit fast 30 Jahren eine Kiste mit Kassetten. Interview-Aufzeichnungen von Strauß, kurz vor seinem Tod.
"Wir konnten über alles reden, was wir auch getan haben. Wir konnten alles austauschen. Wir konnten gemeinsam über jemanden schimpfen. Und dabei nicht immer eine gepflegte Wortwahl haben. Alles war möglich, weil wir wussten: es bleibt verschlossen. Und da bleibt es auch heute noch verschlossen."
Wilfried Scharnagl ist der Gralshüter des Erinnerungsschatzes von Franz Josef Strauß. Er betont stets, man könne nicht wissen, wie Strauß sich zu heutigen Fragen geäußert hätte. Und doch nutzt Scharnagl seine Stellung, um seinen politischen Ansichten das Gütesiegel FJS aufzukleben. Etwa Scharnagls Euro-Feindlichkeit und seine Nähe zu Wladimir Putins Russland. Das ärgert viele in der CSU, etwa den früheren Parteivorsitzenden Erwin Huber.
"Es verwundert mich auch, wenn manche Epigonen heute mit einer sehr stark anti-europäischen Position hervortreten. Sie können sich – aus meiner Sicht jedenfalls – nicht auf Strauß berufen."
Was würde Strauß dazu sagen? Es ist die Urfrage unter den Straußianern der CSU. In der Hanns-Seidel-Stiftung sind sie berauscht von der Erinnerung an den größten bayerischen Staatsmann, wie Scharnagl ihn nennt. Eine junge Stipendiatin der Stiftung fordert gar, man solle den Namen in Franz-Josef-Strauß-Stiftung ändern.
"Für mich ist FJS der Präger der Politik der CSU bis heute! Es gibt keinen in der Geschichte der CSU, der so viele Maximen gesetzt hat wie er. Und dessen Leitgedanke sich bis heute so durchsetzt. Als junger Mensch, der ich mich politisch in der CSU engagiere, ist es sehr gut, wenn man manchmal ein Buch zur Hand nehmen kann und nachlesen kann, wie damals Entscheidungen getroffen worden sind. Welche Hintergründe man da gehabt hat. Und wie man sich da taktisch verhalten hat. Weil da ist FJS einfach ein gutes Beispiel und ein guter Lehrer."
In der CSU ist diese Haltung noch immer mehrheitsfähig. Vor allem bei jenen, die mit dem Wankelmut Horst Seehofers fremdeln.
"Der Seehofer ist ein Drehhofer. Und das war beim Strauß nicht der Fall."
Seehofer: "Franz Josef Strauß ist mein Vorbild. Er steht mit einer Büste hinter mir in der bayerischen Staatskanzlei. Das heißt, er schaut mir jeden Tag, jede Stunde, jede Minute über die Schulter."
Es müssen Tantalos-Qualen sein, die Franz Josef Strauß erleidet: Tag und Nacht hinter Horst Seehofer stehen, aber nicht eingreifen können. Nicht ein Wort darf der Spiritus Rector fluchen, während Seehofer die bayerischen Atomkraftwerke abschaltet, die Wehrpflicht kippt und die Gentechnologie verdammt. Lauter Entscheidungen, bei denen der alte Polterer wahrscheinlich an die Decke gegangen wäre. Ob er sich heute, an seinem 100.Geburtstag, in Rott am Inn im Grabe umdreht? Es bleibt ein Geheimnis.
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