Spaltung der Arbeiterbewegung
Die USPD war im April 1917 aus der Spaltung der deutschen Sozialdemokratie hervorgegangen. In ihr sammelten sich Kräfte, die gegen eine Weiterführung des Krieges waren und eine Zusammenarbeit mit der Regierung ablehnten. Am 6. April traf sich diese Gruppe in Gotha.
"Hierdurch laden wir ein zu einer nicht öffentlichen Oppositionskonferenz in den Ostertagen von Freitag, den 6. April früh an. Die Dauer der Konferenz ist auf mindestens drei Tage berechnet."
Der hektographierte Brief war nur ausgewählten Genossen geschickt worden. Unterzeichnet hatten vier sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete, unter ihnen Hugo Haase, neben Karl Liebknecht einer der konsequenten Kriegsgegner in der SPD.
"Tages-Ordnung: Die Kämpfe innerhalb der Partei. Beschlussfassung über die Organisation der Opposition. Unsere Aufgaben."
Als dann am Karfreitagsmorgen des Jahres 1917 143 Sozialdemokraten, darunter 15 Reichstagsabgeordnete, in Gotha eintreffen, platzt der Saal des Volkshauses "Zum Mohren" aus allen Nähten. Aus der Einladung geht nicht hervor, wozu die Konferenz führen wird. Nicht wenige Teilnehmer glauben, dass nach einem Ausgleich mit der SPD gesucht werden soll. Der Vorschlag, eine neue Partei zu gründen, kommt überraschend, in der Abstimmung ist ein Drittel der Delegierten dagegen.
Widersprüche zu groß
"Ich glaube, dass die Widersprüche in der Partei schon vor 1914 so groß waren, dass es schwer vorstellbar war, dass man die in einer Partei unter einen Hut bringen würde."
Der Bochumer Historiker Stephan Berger, Direktor des Instituts für Soziale Bewegungen.
"Es ist aber dann der konkrete Anlass des Krieges, der die Spaltung provoziert ..."
... und in Gotha zur Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, USPD, führt. Denn die Zahl der Kriegsgegner war in den Reihen der SPD unaufhörlich gewachsen. Auf der Konferenz von Gotha war die Kriegsgegnerschaft der einzige gemeinsame Nenner der USPD-Gründer. Die Mitglieder passten nicht zueinander.
"Man hat ja den interessanten Fall, dass man in der USPD sowohl den Vater des orthodoxen Marxismus aus der Vorkriegssozialdemokratie, Karl Kautsky, als auch den Erzrevisionisten der Vorkriegssozialdemokratie, Eduard Bernstein hatte."
Die Gründe für die Spaltung der SPD waren allerdings alt: Schon ihre Vorväter, Karl Marx und Friedrich Engels konnten den der Bewegung innewohnenden Widerspruch nicht auflösen. Einerseits rechneten sie im "Kapital" vor, was der wahre Wert der Arbeit war und wie viel den Arbeitern an Lohn zusteht - was für einen evolutionären Prozess sprach. Andererseits prophezeiten sie einen revolutionären Umsturz, der, einem Naturgesetz gleich, unausweichlich sei. Die Spaltung zwischen Reformern und Revolutionären war vorprogrammiert. Nicht einmal Marx und Engels, sagt Stephan Berger, hätten sie abwenden können.
"Beide konnten recht sektiererisch sein im Umgang mit politischen Gegnern. Wenn sie etwas nicht waren, dann ausgleichende Persönlichkeiten, die ideologische Gegensätze hätten überbrücken können."
Die SPD war von Anfang an autoritär geführt worden, innerparteilichen Zwist hielt sie nicht aus. Demokratie hätte sie vielleicht vor der Spaltung bewahren können, sagt Berger. Dass sozialistische Parteien andere Länder nicht in ihre Flügel zerfielen, spricht dafür.
"Das Fehlen einer Toleranz war für diese Spaltung sehr wichtig, gerade wenn man sich das im Vergleich zu anderen sozialdemokratischen Parteien in Europa anschaut, die ebenso zerstritten waren über der Frage: Sollte man diesen Krieg jetzt unterstützen oder nicht, wie etwa die britische Labour-Party, dort gibt es keine Spaltung, weil die Partei stärker mit Widersprüchen leben konnte, als dies bei der SPD der Fall war."
Gräben zwischen der SPD und der USPD
Die ideologischen Gräben der SPD existierten in der USPD unverändert weiter. Anfangs allerdings genügte die gemeinsame Ablehnung des Krieges, sie zusammenzuhalten - zumal die Mehrheitssozialdemokraten vermeintliche Verräter mit inquisitorischem Eifer aufspürten und ausschlossen - und der USPD in die Arme trieben. Bis sich 1918 alles änderte.
"Der Kaiser hat abgedankt! Er und seine Freunde sind verschwunden! Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der aller sozialistischen Parteien angehören werden! Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue! Es lebe die deutsche Republik!"
Als Philipp Scheidemann am 9. November 1918 die Republik ausrief, waren die Unabhängigen Sozialdemokraten zunächst mit im Boot - zu ihrer eigenen Überraschung. Denn während der Revolution ließen die Behörden der SPD-Regierungen USPD-Politiker bewachen und verhaften. Weil aber auf den Bannern der demonstrierenden Arbeiter und Soldaten immer wieder die Forderung nach Einheit zu lesen war, beteiligten sie die Abtrünnigen an der Regierung von Friedrich Ebert - zunächst. In ihrer Wankelmütigkeit ließ sich die USPD leicht ausnutzen, sagt Stephan Weber.
"Die USPD ist in der Revolution eine Partei, die nicht so richtig weiß, was sie will. Und die sehr stark zögert, die Führung dieser Revolution zu übernehmen. Während in der revolutionären Situation die Führer der Mehrheitssozialdemokratie sehr viel genauer wissen, was sie wollen. Sie wollen nämlich die Revolution auf der Straße in Bahnen lenken, die in Richtung parlamentarische Demokratie gehen. Von daher schlagen sie der USPD dieses Bündnis vor, um eine Einheitsfront wieder aufzubauen, die auch auf der Straße von Seiten der revoltierenden Arbeiter und Soldaten immer wieder gefordert wird."
Thälmann gründete 1919 die KPD
Geholfen hat der USPD ihr Liebesdienst nicht. Sie blieb keine zwei Monate Teil der Regierung. Mit den Weihnachtsaufständen des Jahres 1918 traten ihre Politiker zurück. Ohne den Kitt des Krieges zerfiel sie rasch zur Splitterpartei. Die rechten Unabhängigen Sozialdemokraten strebten zurück in die SPD - und am 1. Januar 1919 gründete der einstige USPDler Ernst Thälmann die KPD - die in den 20er-Jahren zur Massenpartei werden sollte.