Das Revolutionsjubiläum im Abbey Theatre
Ein Meilenstein auf Irlands Weg zur Unabhängigkeit war der blutige und gescheiterte Osteraufstand 1916. Ganz im Zeichen dieses Ereignisses steht der diesjährige Spielplan des Abbey Theatres in Dublin. Die Inszenierungen stehen unter dem Motto: "Waking the Nation".
Der Osteraufstand 1916 in Britanniens ältester Kolonie war die Aktion einer radikalen Minderheit. Rund 1600 Patrioten — mit Unterstützung des Kaiserreichs — nutzten die Gunst der Stunde zur Revolte gegen das Empire, mitten im Krieg.
Englands Not ist Irlands Chance
Dass zeitgleich auf dem Kontinent einige tausend Landsleute Seite an Seite mit den Briten kämpften, tat nichts zur Sache. Es galt die Devise: Englands Not ist Irlands Chance!
"Die Briten waren den Rebellen klar überlegen, und eine Woche später war alles vorbei. Der Aufstand geriet zwar zum Fiasko, aber er war auch der Urknall, der zur Gründung der Republik und zur Eigenstaatlichkeit führte. Für die Iren im Süden der Insel ist das 'Easter Rising' das große Ereignis ihrer Geschichte. Dass im Jubiläumsjahr an ihm kein Weg vorbeiführt, ist klar."
Der Theaterhistoriker James Moran. Ihren Nachglanz als Legende und Mythos verdanke die Rebellion zweierlei, sagt er: ihrer plakativen religiösen Symbolik — Ostern als Chiffre für Martyrium, Auferstehung und Erlösung — und der Dramaturgie der Geschehnisse.
"Der Aufstand war konzipiert als Drama. Tatsächlich kam die Mehrzahl der wenig später exekutierten Rebellenführer vom Theater. Sie waren Lehrer, Dichter, Dramatiker, Dramaturgen, Schauspieler.
Patrick Pearse, Thomas MacDonagh und James Connolly schrieben Dramen mit anti-britischer Tendenz, die auch zum bewaffneten Kampf aufriefen."
Keine Brutstätte eines militanten Nationalismus
Auf die Barrikaden gingen in Dublin auch Ensemblemitglieder des von William Butler Yeats mitbegründeten Abbey-Nationaltheaters. Allerdings: Im Unterschied zu anderen Bühnen auf der Insel galt das "Abbey" nie als Brutstätte eines militanten Nationalismus.
Und nur hier konnte ein Jahrzehnt nach dem Aufstand und vier Jahre nach der Unabhängigkeit das Stück zur Aufführung kommen, das mit dem Vermächtnis der Rebellen schärfstens ins Gericht ging: Sean O'Caseys "The Plough and the Stars — Der Pflug und die Sterne".
"Ruhmreich ist es, Waffen zu sehen in der Hand irischer Männer" — "Blutvergießen ist Reinigung und Heiligung".
Der hier große Reden schwingt, ist der Agitator Patrick Pearse. Am Ostermontag 1916 hatte er vor dem Dubliner Hauptpostamt, der Schaltzentrale der Rebellen, seine berühmte Osterproklamation verlesen: die "Geburtsurkunde" des neuen Irland.
Im Stück agiert er nur hinter der Szene, die Vorderbühne gehört den Geschundenen in den Slums unweit der Hauptpost: Arbeitern, Säufern und Pro-stituierten, ängstlichen, frustrierten Frauen und Männern und tuberkulosekranken Kindern.
Kriegspathos und Blutopferpropaganda verpuffen bei O'Casey als leeres Gefasel. Was von der Revolution zurückbleibt, ist das Elend von Randfiguren der Gesellschaft und der Geschichte.
Mehr als feiern und gedenken
"The Plough and the Stars" ist der Höhepunkt im "Easter Rising"-Spielplan des Abbey-Theaters. Inszeniert hat den Klassiker der Künstlerische Leiter des Londoner Lyric Theatre, Sean Holmes.
"Auf gedanklicher Ebene ist das Stück ein Dialog mit der Gesellschaft, und gerade das macht es so interessant. Blinder Nationalismus, Ausgrenzung, soziale Missstände: O'Caseys Themen sind immer noch — und wieder — so wichtig wie vor neunzig Jahren."
So versteht auch der scheidende Abbey-Intendant Fiach MacConghail das Jubiläumsprogramm seines Hauses, "Waking the Nation", als Anstoß zum großen Diskurs über Historie und Gegenwart:
"'Eine Nation aus dem Schlaf reißen: das klingt absichtlich provokant. Wir wollen nicht bloß feiern und gedenken, sondern nachfragen, verhören, ab-klopfen: Was ist das Erbe des 'Easter Rising'? Wie hat sich die Republik entwickelt? Was wurde versäumt?"
Apropos Versäumnis. Irische Frauenrechtlerinnen reagierten auf den Erweckungsappell der Theatermacher mit der Gründung der Initiative "Waking the Feminists".
Gerade am Nationaltheater, sagen sie, gebe es in Sachen Emanzipation enormen Nachholbedarf, zumal bei der Förderung junger Autorinnen. Denn von den zehn Stücken in der Waking-the-Nation-Serie stamme nur eines von einer Frau!