100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Ein Polizeipräsident, der Attentäter schützt

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Bei den Beisetzungsfeierlichkeiten für Matthias Erzberger passiert der Leichenwagen eine Ehrenformation Schwarzwälder Schützen. Foto, August 1921 (Robert Sennecke)
Beerdigung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger im Jahr 1921: Über dessen Mörder hielt Polizeipräsident Ernst Pöhner seine schützende Hand. © picture alliance / akg-images
Von Elke Kimmel |
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Politische Morde erschüttern vor 100 Jahren die Weimarer Republik. Auf besondere Weise fällt dabei der Polizeipräsident von München auf: Ernst Pöhner gewährt den rechtsradikalen Mördern des früheren Finanzministers Matthias Erzberger Unterschlupf.
So meldet es der "Rosenheimer Anzeiger" am 30. September 1921 den Rücktritt von zwei hochrangigen Beamten der bayerischen Staatsregierung:
"München. Heute Vormittag hat sich der bisherige Polizeipräsident Pöhner offiziell von den Beamten der Polizeidirektion und der Landespolizei verabschiedet. Er appellierte dabei an die Beamten, den Geist der Sauberkeit und Lauterkeit stets aufrecht zu erhalten, sich nicht von der Wandelbarkeit der Gesinnungen anstecken zu lassen und die Angriffe und Verleumdungen in der Öffentlichkeit nicht zu beachten, sondern den geraden Weg der Pflichterfüllung zu gehen. Gleichzeitig mit dem Polizeipräsidenten Pöhner ist auch der Leiter der politischen Abteilung der Polizeidirektion, Oberamtmann Dr. Frick aus seinem Amte geschieden. Er galt sozusagen als die rechte Hand des Polizeipräsidenten Pöhner."
Die beiden Zurückgetretenen sind Schlüsselfiguren der rechten Szene in München.

"Dieses zweifelhafte Individuum"

Die links-sozialdemokratische "Freiheit" schrieb am 10. Juni 1921 über den Polizeipräsidenten Pöhner:
"Dieses zweifelhafte Individuum trifft für die völlige Demoralisierung und Verrottung der Zustände die Hauptschuld. Die ganze Tätigkeit dieses Burschen war auf die Verfolgung der Arbeiterbewegung gerichtet, während die Ordnungsbanditen seiner liebevollen Unterstützung stets gewiss waren. (…) Pöhner gehört wegen Begünstigung des terroristischen Treibens vor Gericht."

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Zeitfragen, immer mittwochs gegen 19.25 Uhr
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam)

Als Polizeipräsident hat Ernst Pöhner seine schützende Hand über polizeilich gesuchte Rechtsradikale gehalten: über den Anführer des Kapp-Putsches 1920, Kapitänleutnant a. D. Hermann Ehrhardt und seine Gefolgsleute, wie auch über die Mörder des ehemaligen Finanzministers Matthias Erzberger. Die konnten sich nach ihrer Flucht aus dem Schwarzwald noch tagelang in München aufhalten, während sie bereits steckbrieflich gesucht wurden.

Falsche Ausweispapiere für steckbrieflich Gesuchte

Der sozialdemokratische "Vorwärts" fragt Mitte September 1921 rhetorisch:
"Ist es wahr, dass die steckbrieflich verfolgten Hochverräter Kapitänleutnant Ehrhardt und Oberst Bauer in München bei dem Leiter der dortigen Polizei, dem Polizeidirektor Pöhner, ein- und ausgegangen sind?"
Tatsächlich reichte die Unterstützung durch das Polizeipräsidium sogar so weit, dass die Gesuchten falsche Ausweispapiere erhielten, um ihnen das Leben in der Illegalität zu erleichtern. Unhaltbar wird die Position des Polizeipräsidenten erst, als die bayerische Regierung von Kahr zurücktritt.
Aus dem Staatsdienst scheidet Pöhner aber nicht aus. Als Jurist soll er zurück in den Justizdienst wechseln:
"Pöhner, der Beschützer der Mörder Erzbergers, der Hüter der deutschnationalen Mörderzentrale, der vorsätzliche Verächter von Gesetz und Recht, soll jetzt Organ zum Schutze des Rechtes werden! Wir müssen zugeben: Die Justiz kann ärger nicht bloßgestellt werden als durch diese Verwendung Pöhners im Justizdienst."

Die Vorahnungen werden noch übertroffen

Diese düsteren Vorahnungen der "Freiheit" vom 29. September 1921 werden noch übertroffen: Ernst Pöhner nimmt 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch in München teil – und er wäre bei erfolgreichem Verlauf bayerischer Ministerpräsident geworden. Wie die anderen Putschisten wird auch er nur zu einer geringen Strafe verurteilt und nach drei Monaten frei gelassen. Kurz darauf kommt er bei einem Autounfall ums Leben.
Wilhelm Frick hingegen, seine "rechte Hand", der mit ihm 1921 zurücktreten musste, steht erst am Anfang seiner politischen Karriere: 1930 übernimmt er für die NSDAP das thüringische Innenministerium, 1933 wird er Hitlers Reichsinnenminister.
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