100 Jahre Radio
100 Jahre Radio: „Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin, im Vox-Haus!“ Mit diesen Worten ging die erste deutsche Rundfunkstation auf Sendung. © IMAGO / Westlight
Hörst du, was da tönt?
Am 29. Oktober 1923 ging der erste zivile Radiosender in Deutschland on air. Schnell war das Radio ein gefeiertes Medium, in dem Neues ausprobiert wurde. In seiner hundertjährigen Geschichte hat sich der Rundfunk immer wieder neu erfunden.
Der Rundfunk fand als technische Innovation zunächst im Krieg Anwendung. Die Funker im Ersten Weltkrieg bildeten eigene Kompanien wie beispielsweise die Nachrichtentruppe des deutschen Heeres. Ab 1917 gaben sie nicht nur militärische Meldungen über ihre Funkgeräte weiter, sondern lasen auch Zeitungsartikel vor und sendeten Unterhaltungsmusik.
Ab 1920 versorgte der Rundfunk Banken mit Wirtschaftsnachrichten und Zeitungsredaktionen mit Nachrichten aller Art – für Privatleute war Rundfunkhören noch streng verboten.
Das änderte sich am 29. Oktober 1923: Aus dem Vox-Haus am Potsdamer Platz in Berlin wurde die erste regelmäßige Radiosendung für die breite Bevölkerung ausgestrahlt. Die Hörerschaft war noch klein: 250 offiziell angemeldete Rundfunkempfänger gab es im Deutschen Reich.
Landessender - die Verbreitung des Radios in Deutschland
Bald entstanden in rascher Folge Landessender: 1924 gab es neben der „Berliner Funk-Stunde AG“ acht weitere regionale Sendegesellschaften, darunter die „Deutsche Stunde in Bayern GmbH“, die „Westdeutsche Funkstunde AG“ und die „Mitteldeutsche Rundfunk AG“.
Für den Start brauchten sie eine postalische Konzession, denn sie waren zur Ausstrahlung ihrer Programme auf Sendeanlagen angewiesen, die von der Post errichtet und betrieben wurden. Außerdem brauchten die Programmgesellschaften sichere Einnahmen. Das staatliche Postministerium verlangte monatlich sechzig Goldmark für die Rundfunkgebühr, zu teuer für die meisten Menschen. Erst als 1924 die Gebühr auf zwei Mark gesenkt wurde, stiegen die Teilnehmerzahlen kontinuierlich an.
Auf dieser Grundlage schnürte das Reichspostministerium ein Paket, das potenzielle Investoren ködern sollte. Diese sollten nicht nur „parteipolitisch unabhängig“ sein, sondern praktisch alle Kosten übernehmen, um das Angebot eines täglich mindestens zweistündigen Programms zu gewährleisten.
Wie die Inhalte auszusehen hatten, gab die Reichspost den Sendern schriftlich vor, darunter „die Veranstaltung und drahtlose Verbreitung von Vorträgen, Nachrichten und Darbietungen künstlerischen, belehrenden, unterhaltenden sowie sonst weitere Kreise der Bevölkerung interessierenden Inhalts“.
Kurz gesagt: Nachrichten, Politik, Kultur, Unterhaltung und Werbung – die fünf Pfeiler des neu entstandenen Radios, die heute noch gelten.
Radio im Nationalsozialismus
Während sich die Politik in der Zeit der Weimarer Republik fast nicht in den Rundfunk einmischte, ändert sich die Rolle des Radios unter den Nationalsozialisten drastisch.
Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels plante das Radio zum „modernsten Massenbeeinflussungsmittel“ auszubauen. Leitende Rundfunkmitarbeiter ebenso wie Redakteure und Techniker, die der politischen Opposition zugerechnet wurden, verloren bei der Neuausrichtung ihre Jobs.
Mit dem Volksempfänger wurde Radio zum Massenmedium
Der Volksempfänger machte das Radio endgültig zum Massenmedium. Die Typenbezeichnung VE 301 nimmt Bezug auf den 30. Januar – der Tag, an dem die Nationalsozialisten an die Macht gekommen waren. Durch die Massenanfertigung für alle Haushalte finanziell erschwinglich, stieg die Zahl der Rundfunk hörenden Haushalte in Deutschland ab 1933 innerhalb der nächsten zehn Jahre auf rund 16 Millionen an.
Mit Rundfunkberichten über angebliche polnische Grenzverletzungen und Gewaltakte, unter denen die in Polen lebende deutsche Minderheit zu leiden hätte, wurden die Deutschen auf den Krieg eingestimmt. Am 1. September 1939 verkündete Hitler über das Radio den Beginn des Zweiten Weltkriegs.
Aber auch die deutschen Kriegsgegner, allen voran Großbritannien, nutzten das Radio als Instrument der Auslandspropaganda. Bald waren die Fronten im Äther ähnlich verhärtet wie auf dem Schlachtfeld.
Verbot amerikanischer Swingmusik führte zu Hörerschwund
Seit Kriegsbeginn galt britische, seit dem Kriegseintritt der USA auch amerikanische Jazz- und Swingmusik, im Deutschen Reich als offiziell unerwünscht. Einheimische Orchester sahen sich dadurch in ihrem musikalischen Repertoire zunehmend eingeschränkt. Die Programme der deutschen Radiosender gerieten in immer stärkere Konkurrenz zu Angeboten aus dem Ausland. Und das, obwohl das Abhören sogenannter Feindsender bei Strafe verboten war.
Am 30. Januar 1945 war Adolf Hitler zum letzten Mal im Radio zu hören - der Vormarsch der Alliierten war nicht mehr aufzuhalten. Trotzdem richtete Propagandaminister Joseph Goebbels Anfang April mit „Radio Werwolf“ noch einen Propagandasender ein, der mit Durchhalteparolen den Glauben der Deutschen an eine Wende im Krieg aufrechterhalten sollte.
Der Kalte Krieg im Radio
Nach der deutschen Kapitulation organisierten die westlichen Alliierten den Neuaufbau des Rundfunks in seiner heutigen Form. Mithilfe des Radios wollten sie die deutschen Hörerinnen und Hörer zu guten Demokraten erziehen. Während sich die Franzosen einen Staatsrundfunk vorstellen konnten, schwebte den US-Militärs ein rein werbefinanziertes Modell vor, wie sie es von zuhause kannten.
Auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) machte man sich daran, dem Radio neues Leben einzuhauchen. Neben dem Berliner Rundfunk gab es zunächst fünf Landessender. Mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 kam es zu entscheidenden Veränderungen in Sachen Rundfunkorganisation.
Bereits unmittelbar nach Kriegsende hatten sich die Sowjets geweigert, das Haus des Rundfunks in Berlin, den einstigen Sitz der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, dem Vier-Mächte-Status zu unterstellen. Die amerikanischen Besatzer hatten darauf hin im West-Berliner Stadtteil Schöneberg ein eigenes Sendestudio aufgebaut: RIAS, Rundfunk im amerikanischen Sektor.
1948 wurde das RIAS-Funkhaus eingeweiht – am heutigen Hans-Rosenthal-Platz in Berlin-Schöneberg, dem Standort von Deutschlandfunk Kultur. Die ausschließlich deutschen RIAS-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden zunächst noch vom US-Außenministerium bezahlt. Sämtliche Texte für die Nachrichtensendungen mussten den amerikanischen Kontrolloffizieren vor Sendebeginn vorgelegt werden. 1955 beendeten die westlichen Alliierten ihre Rundfunkaufsicht.
Als „freie Stimme der freien Welt“ diente der RIAS den Bürgern der DDR als Funkbrücke in den Westen. Den politisch Verantwortlichen im Osten Deutschlands war das Programm des RIAS ein Dorn im Auge.
Gründung der ARD im Juni 1950
Die 1950er Jahre wurden für das Radio in Deutschland – sowohl in Ost wie West – zu einem entscheidenden Jahrzehnt. Im Juni 1950 gründeten die Intendanten der bis dahin sechs westlichen Rundfunkanstalten die ARD.
Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs legte das Staatliche Rundfunkkomitee der DDR fest, dass es im Osten Deutschlands fortan drei Sender geben soll: Radio DDR, den Berliner Rundfunk und den Deutschlandsender. Dieser wendete sich ganz gezielt auch an bundesrepublikanische Hörerinnen und Hörer.
Deutschlandfunk vs. Deutschlandsender der DDR
Als Reaktion fasst der Deutsche Bundestag am 26. Oktober 1960 den Beschluss, den Deutschlandfunk ins Leben zu rufen. Los ging es am 1. Januar 1962. Der Deutschlandfunk fungierte in den ersten zehn Jahren seines Bestehens als westliches Gegenstück zum Deutschlandsender der DDR. Nach und nach wurde der Deutschlandfunk zu dem deutschen Informationsprogramm umfunktioniert.
Beliebte Formate im Radio
Zu Beginn fehlte es dem jungen Medium an eigenen Formen. Musik und Rezitationen dominierten das Programm. Doch dann kamen die akustischen Experimente. Alfred Braun, ein junger Theaterschauspieler, war vom Radiofieber gepackt. Er gilt als Erfinder der Radioreportage - seine Sportberichte rissen das Radiopublikum mit.
Dank mobiler Mikrophone konnte Braun das Studio verlassen, und direkt vom Fußballplatz oder anderen Orten berichten. Berühmt wurde seine sogenannte Flüsterreportage, als er 1929 in Stockholm die Nobelpreisverleihung an den Schriftsteller Thomas Mann begleitete.
In der Nazizeit war das „Wunschkonzert für das Winterhilfswerk“ eine beliebte Sendreihe. 1936 wurde die erste Sendung, eine Live-Übertragung aus dem Haus des Rundfunks in Berlin, spontan von vier auf fünf Stunden ausgedehnt. Fortan standen pro Winterhalbjahr vier weitere „Wunschkonzerte“ auf dem Programm, in der Regel sonntags zwischen 17 und 20 Uhr. Durch die „Wunschkonzerte“ kamen nicht nur Unmengen an Sach- und Lebensmittelspenden zusammen, sondern auch Millionen von Reichsmark. Dadurch trugen die Radiosendungen mit dazu bei, den Sozialhaushalt des Staates zu entlasten. Untersagt blieb die Winterhilfe allerdings Menschen mit Behinderung, politisch Verdächtige und vor allem Juden, all denen, die nicht in das Bild der NS-Staatsideologie passten.
Neben musikalischen Unterhaltungssendungen gehörten Hörspiele im Ost- wie Westradio von Beginn an zu den beliebtesten Programmen überhaupt. Vor allem Krimis lockten in den 1950er- und 60er-Jahren am Abend ganze Familien vor die Radioapparate. Sie zählen bis heute zu den meistgehörten Radiogenres.
Radio in der Krise: die Privaten, das Internet und künstliche Intelligenz
Mitte der 1980er-Jahre drängten private Radio- und Fernsehanbieter auf den Markt, angefangen mit Radio Tele Luxemburg, RTL. Das Angebot der Privaten stieß auf große Resonanz – so kam es in der Bundesrepublik schließlich zur Einführung des dualen Rundfunks. Neben den öffentlich-rechtlichen gab es nun auch die sogenannten Privaten.
Die Privaten stießen auf große Resonanz
Mit dem Mauerfall am 9. November 1989 standen weitere Veränderungen in der Medienlandschaft an. Während ostdeutsche Radiomacher Hörerinnen und Hörern in den neuen Bundesländern praktische Tipps für das Überleben im Kapitalismus gaben, überlegte die Politik, was mit den Sendern im Osten Deutschlands geschehen sollte – und ob sie sich in das westdeutsche System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingliedern ließen. 1994 fusionierten der Deutschlandfunk, RIAS Berlin und der aus dem Rundfunk der DDR hervorgegangene Deutschlandsender Kultur zum Deutschlandradio.
Mit dem Aufkommen des Internets erhielt die Radiolandschaft in Deutschland globale Konkurrenz. Ob im Musikbereich oder bei Nachrichten und Information – jeder wird heutzutage von Inhalten förmlich überflutet. Die öffentlich-rechtlichen Radioprogramme müssen sich neben zahllosen Podcasts von Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen und den Sozialen Netzwerken behaupten.
Die Rundfunkgebühren, mit denen sich der Öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert, stehen immer wieder in der Kritik – eine Kampfansage.
Mit bigGPT startete am 8. August 2023 im Internet der erste Radiosender, der von einer Künstlichen Intelligenz, KI, gesteuert und moderiert wird. Geht ein von Menschen kuratiertes Radioprogramm also verloren?
Für den Autor Stephan Krass konkurrieren im Radio Stimmen um Versionen von Wirklichkeit. Dabei habe es die Fähigkeit, sich in immer wieder neuen Situationen zu bewähren.
tha