100 Jahre Rotary

Von Claudia van Laak |
Männerbund, Klüngelclub, Seilschaft mit sozialem Anstrich. Über die 42.000 deutschen Mitglieder von Rotary International, zusammengeschlossen in 842 Clubs, gibt es. Eine Menge Vorurteile auch. Agiert Rotary doch gerne im Verborgenen. Um eine Mitgliedschaft kann man sich nicht bewerben, man wird gefragt. Was Menschen dazu bringt, Rotarier zu werden und wie sich ein neuer Club gründet - Claudia van Laak hat dies in Bad Saarow ergründet.
Die erste Begegnung mit einem Rotarier findet auf dem duftenden Malzboden einer Brauerei statt, direkt an der polnischen Grenze. Die Malzmühle - Jahrgang 1924 - ist noch immer voll im Einsatz, der Herr der Mühle - Jahrgang 1937 - ebenfalls. Helmut Fritsche heißt er, der Chef der Klosterbrauerei Neuzelle. Unternehmer mit Leib und Seele, Rotarier mit Leib und Seele. Präsident des Rotaryclubs Bad Saarow- Scharmützelsee i.G., in Gründung.

Fritsche: "Da sind nun mal einige Werte verankert, denen ich heute einen sehr hohen Stellenwert beimesse, das ist die Freundschaft. Das ist die Aufrichtigkeit, das ist, zum Wohlergehen anderer Menschen beizutragen, auch die Dienstbereitschaft. "

Rotarier sprechen sich mit "Freund" an. Also Freund Fritsche. Ein imposanter alter Herr. Groß, massig. Eindrucksvolle Falten, die sagen: hier hat jemand ein aufregendes Leben gelebt. Den Club Frankfurt/Oder hat er mit aufgebaut, dann den Club Eisenhüttenstadt. Als dritten den Club Bad Saarow. Doch das passte den Eisenhüttenstädter Rotariern nicht, sie schlossen Freund Fritsche aus. Das passiert nicht häufig und deshalb redet Fritsche darüber nicht so gerne, hier in seinem niedrigen, etwas dusteren holzgetäfelten Büro mit den vielen Bierflaschen.
Er rollt auf seinem Bürostuhl ein Stück zurück, greift in den ordentlich gepackten Aktenkoffer. Das Mini-Faltblatt "Was ist Rotary" hat er immer dabei.

Fritsche: "Eine Gemeinschaft zu finden von Menschen, die tolerant sind, die etwas darüber hinaus tun, nicht nur in ihrem Berufsleben, ob es Jugend ist, hilfsbedürftige Menschen, und das man sich in einer derartigen Gemeinschaft etwas gibt, nicht diese flachen Gespräche. "

Chicago, 23. Februar 1905. An diesem Tag schließen sich der Rechtsanwalt Paul Harris, der Kohlenhändler Silvester Schiele, der Bergbauingenieur Gustavus Loehr und der Schneidermeister Hiram Shorey zum Rotary Club zusammen. Man trifft sich reihum, rotierend. Daher der Name und das Logo, ein Zahnkranz. Rotary ist heute eine kosmopolitische Bewegung mit amerikanischer Prägung und die weltweit größte Nichtregierungsorganisation. Die 31.000 Clubs weltweit stehen allen Rotariern offen.

Fritsche: "Ich lerne jeden Tag etwas dazu, über die verschiedenen Berufsgruppen, über die unterschiedlichen Religionen, und die weltweite Dienstbereitschaft, die Rotary hat, im Stillen auch zu arbeiten, das ist eine grundsätzliche Einstellung von mir. "

Um die Mitgliedschaft bei Rotary kann man sich nicht bewerben. Man wird gefragt, hält einen Vortrag, wird aufgenommen oder abgelehnt.
Hotel Esplanade, Bad Saarow. Ein Kurort auf halbem Wege zwischen Berlin und Frankfurt/Oder am Scharmützelsee. In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts ein mondänes Seebad mit Golfplatz. Sommerfrische der Berliner. Hier kurte Maxim Gorki, hier heiratete Max Schmeling Anni Ondra, hier lebten nach dem Zweiten Weltkrieg Johannes R. Becher und Wieland Herzfelde. Heute versucht Bad Saarow, etwas von dem alten Glanz wiederzubeleben.

Fritsche: "Ja, ich darf sie heute am Abend recht herzlich begrüßen. "

20 gesetzte ältere Herren und eine Dame um die 60 haben sich an diesem Abend im Restaurant Dependance zusammengefunden. Einige tragen Anzug und Krawatte, andere gehobene Freizeitkleidung. Keine Jeans, keine Schlabberpullis.

Als Vorspeise Gänseleberparfait mit Rapunzelsalat, dann gedünsteter Heilbutt auf Wurzelgemüse mit Dill-Senfsauce und Bamberger Hörnchen, als Nachtisch Ananas Calzone mit Blutorangeneis, Kaffee und Pralinen.

Ein Blick auf die Mitgliederliste des Clubs Bad Saarow: ein Hoteldirektor, sieben Ärzte, ein Juraprofessor, ein Rechtsanwalt, drei Unternehmensberater, ein Kunsthistoriker, ein Bundeswehroffizier a.D., ein Staatssekretär a.D., SPD, ein ehemaliger leitender Beamter der Berliner Senatskanzlei, CDU, eine Millionärsgattin. Freund Fritsche nennt dies einen Querschnitt durch die Berufsgruppen.

Fritsche: "Rotary ist ja dadurch geprägt, dass möglichst alle Berufsklassen, es ist ein Querschnitt des Lebens, dass sich da widerspiegelt, auch in Form der Berufsklassen, auch in politischen Ansichten. "

Rotarier sind in der Regel in Ehren ergraute ältere Herren in Führungspositionen, meist Akademiker. 70 Prozent der Clubmitglieder sind 50 Jahre und älter, nur vier Prozent sind unter 40. Roman Herzog gehört genauso zum Club wie Ole von Beust. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt ist Rotarier, genau wie Bischof Wolfgang Huber. In kleineren Städten sind es meist die örtlichen Honorationen, die in Club bestimmen.

Nun ist er gekommen. Der Abend, an dem der Rotaryclub Bad Saarow gegründet wird. Freund Fritsche, wie immer mit klarem Gespür für öffentliche Auftritte, hat dafür den 23. Februar auserkoren. Das Datum, an dem vor 100 Jahren der erste Rotaryclub in Chicago gegründet wurde.

Fritsche: "Da muss man ein anständiges Fundament setzen, umso festere Wurzeln hat man, jetzt bauen wir das Haus. "

Heute ist die Garderobe etwas festlicher als sonst. Neben den 25 Gründungsmitgliedern sind Rotarier anderer Clubs anwesend, aus der Nachbarstadt Fürstenwalde, aus Cottbus. Aus Berlin kommt der Vorsitzende des Bezirks Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Lübecker Bucht, Berlin. Auf rotarisch heißt das: der Governor des Distrikts 19-40.

Wrede: "Ein Governor ist der Vertreter des Weltpräsidenten von Rotary International, es gibt 529 Governors auf der Welt. "

Gerhard Wrede, Pensionär im Unruhestand, vorher Wirtschaftsprüfer. Die Gründung eines neuen Clubs ist einem strengen Reglement unterworfen. Nötig sind ein Gründungsclub, ein Ausbreitungsbeauftragter, ein Gründungsbeauftragter, der Assistent Distrikt Governor und natürlich der Governor selber. Die Gründung braucht Zeit, schließlich wird aus einem Stammtisch nicht einfach ein Rotaryclub. Dazu gehört schon mehr. Elite? Gerhard Wrede schüttelt den Kopf.

Wrede: "Nein, ich bin nicht der Meinung, dass das die Elite ist, es ist eine gewisse Führungsschicht, die dort vertreten ist, aber nicht Elite, Elite wird anders besetzt. "

Die Führungsschicht Bad Saarows, viele von ihnen Westberliner mit Zweitwohnsitz am Scharmützelsee, diese Führungsschicht wird heute Abend mit dem Zahnrad geadelt, dem Rotaryabzeichen.

Als Mitglieder des Clubs Bad Saarow zahlen sie künftig 50 Euro im Monat. Sie verpflichten sich, an den wöchentlichen Treffen teilzunehmen, zu denen ein gemeinsames Essen und ein Vortrag gehören. Und sie verpflichten sich zum sozialen Engagement.

Wrede: "Das entscheidet jeder Club für sich selber, das können Projekte vor der Haustür sein, gerade im Zusammenhang mit 100 Jahre Rotary haben viele Clubs sich besondere Projekte vorgenommen, mit denen sie auch an die Öffentlichkeit gehen können und wollen, denn das wollen wir auch erreichen in diesem Jahr dass Rotary in der Öffentlichkeit etwas bekannter wird. "

Bisher galt Rotary als öffentlichkeitsscheu. Das knapp 1500 Seiten starke Mitgliederverzeichnis - unter Insidern "Die Bibel" genannt - ist streng vertraulich. Als Rechtsform hat Rotary in Deutschland den nicht eingetragenen Verein gewählt. Eine Rechtsform, die Nachteile mit sich bringt. Die Clubs können keine eigenen Konten eröffnen, Spenden können nicht steuerlich abgesetzt werden. Die Form des nicht eingetragenen Vereins bringt allerdings einen gewaltigen Vorteil: niemand kann Einsicht nehmen, wer in welchem Club Mitglied ist.

Wrede: "Ein Rotary Club ist völlig frei, sich zu konstituieren und braucht sich nicht registrieren zu lassen, das ist bewusst so gewählt. "

Wenig Transparenz und eine gewisse Exklusivität nähren das Vorurteil, Rotary sei nicht mehr als eine Seilschaft Bessergestellter, die sich durch die Clubmitgliedschaft wirtschaftliche Vorteile verschaffen.

Wrede: "Das ist nach meinem Dafürhalten falsch verstandenes Rotariertum, Rotarier sollten sich auf andere Weise definieren, Rotary ist nicht das Kartell für die Geschäftsentwicklung, das funktioniert nicht und es ist auch gut, dass es nicht funktioniert. "

Freund Wrede trägt unter dem Arm einen kleinen Pappkarton mit einer Glocke; neben der Nadel ein weiteres Zeichen der Rotarier. Die Bad Saarower brauchen außerdem einen Clubwimpel - noch in Arbeit - und die Präsenzkarte - fertig. Kommen Mitglieder anderer Clubs zu Besuch, bekommen sie ein Foto des Scharmützelsees überreicht. Auf der Rückseite unterschreibt der Sekretär und belegt damit die Anwesenheit. Dafür kann ein Treffen des eigenen Clubs geschwänzt werden. Wer bei Rotary Bad Saarow unentschuldigt fehlt, zahlt zehn Euro in die Clubkasse. Nicht zu vergessen: Mitglieder werden mit "Freund" angesprochen.

"Also ich glaube, der Vorschrift genügen wir, wenn wir uns gegenseitig mit Freund anreden. Einfach Freund. "

Freund plus Vorname oder Freund plus Nachname?

"Das kommt darauf an, wie eng man befreundet ist, ein Teil duzt sich, ein Teil redet sich mit Nachnamen an, ich schreibe auch so, wenn ich als Schatzmeister die Freunde anschreibe, liebe Freundinnen und Freunde, und grüße mit rotarischen Grüßen zum Schluss. "

Und die zwei Frauen im Club? Wird das mit der Anrede nicht ein bisschen heikel? Ist Elke Teske jetzt plötzlich die Freundin des pensionierten Bundeswehroffiziers Peter Hesse?

Umfrage: "Das sind dann die Freundinnen (lacht). Das ist so ein bisschen wie früher bei den Russen, die haben ja auch nicht von UNSEREN Freunden gesprochen, sondern immer von DEN Freunden, wahrscheinlich müssen wir das bei DEN Freundinnen auch so machen. "

Frauen bei Rotary. Seit 1989 erlaubt, nachdem sich eine Frau ihr Recht auf Rotariertum vor einem amerikanischen Gericht erstritt. In Deutschland liegt der Frauenanteil bei 4 Prozent, weltweit doppelt so hoch. Ein neuer Club muss mindestens eine Frau dabei haben. In Bad Saarow sind es zwei.

Umfrage:
Frau: "Vor 10, 15 Jahren war ja keine Rede davon, das ist schon etwas ganz Neues, freut mich aber sehr, muss ich sagen. "
Mann: " Eine einzelne Frau oder zwei, das bedarf einer gefestigten Statur, sich unter so Kerlen zu Wort zu melden und sich durchzusetzen und sich nicht vereinzelt vorzukommen. "
Frau: "Frauen bringen eine ganze Menge Frische und Ideen rein und die Herren brauchen nicht immer über die alten traditionsreichen Themen zu reden. "
Mann: " Ich bin sehr positiv dem gegenüber eingestellt, halt ich auch für vernünftig, es soll keine ausgesprochene Männergesellschaft sein. "

Eigentlich müssten sich nun die rotarischen Männer gegen ihre Diskriminierung wehren. Der Zusammenschluss von Rotarierfrauen - und -lebenspartnerinnen - genannt "Inner Wheel" - bleibt nämlich eine rein weibliche Angelegenheit. Governor Gerhard Wrede versucht eine Erklärung.

Wrede: "Inner Wheel Clubs haben ein anderes Aufgabenspektrum, die fassen wirklich Menschen an, indem sie in Altersheimen tätig sind, indem sie in der Fürsorge tätig sind, in dem sie im Kinderheim tätig sind, also die fassen Menschen wirklich an, und ich glaube, das ist eher geeignet für Frauen als für Männer. "

Frauen wird also der Eintritt in die rotarische Männerwelt erlaubt, Männern der Eintritt in die Frauenwelt nach wie vor verwehrt. Beschwerden darüber gibt es allerdings kaum.

Wrede: "Es gibt einen Fall. Wo ein schwuler Partner eines holländischen Rotariers sich bei Inner Wheel eingeklagt haben soll, aber das ist ein einziger Fall, von dem ich gehört habe. "

Fritsche: "Allen einen recht schönen guten Abend, heute haben wir den 23. Februar, das ist ein ganz besonderer Tag in zweierlei Hinsicht, einmal 100 Jahre Rotary und unser Gründungsakt, hierzu allen herzlich willkommen. "

Weißgeschäumtes von der Tomate, Rinderfilet Wellington mit Portweinzwiebeln im Gemüsekörbchen, warmes Apfelküchlein mit Vanilleschaum, Kaffee und Pralinen. Dann wird es feierlich. Governor Gerhard Wrede redet den künftigen Rotariern ins Gewissen.

Wrede: "Rotarierclubs sind nicht regelmäßige Stammtische oder das Kartell zur eigenen Geschäftsentwicklung, Rotarier sind auch nicht der Gesellschaftskreis von elitären und reichen Menschen, sondern Rotaryclubs sind Serviceclubs, und sie bilden einen Kreis von Menschen mit Bürgersinn und Verantwortungsgefühl für ihre Kommune, denen aber auch die Not in der Welt nahe geht. "

Freund Wrede erinnert an die besondere Ethik, aus der heraus der erste Rotaryclub vor 100 Jahren gegründet wurde. Und an die vier Fragen, die diese Ethik illustrieren. Ist es wahr, ist es fair für alle Beteiligten, wird es Freundschaft und guten Willen fördern und wird es dem Wohl aller Beteiligten dienen.

Wrede: "Mein abschließender Wunsch an Sie: Werden Sie nicht Mitglied eines Rotarierclubs, werden Sie Rotarier. Ich erkläre den Rotaryclub Bad Saarow für gegründet, danke schön (Applaus). "