Der merkwürdige Kult um Hofmannsthals „Jedermann“
10:57 Minuten
Er gehört zu Salzburg wie die Mozartkugeln: Hugo von Hofmannsthals Theaterstück „Jedermann“ eröffnet einmal mehr die Salzburger Festspiele – genau wie vor 100 Jahren. Theaterkritiker und Autor Andres Müry über ein identitätsstiftendes Mysterienspiel.
Weder grantelnde Kritiker noch der Nationalsozialismus konnten ihn wirklich totkriegen: Die Rede ist natürlich von Hugo von Hofmannsthals Theaterstück "Jedermann".
Kommenden Samstag eröffnet das Mysterienspiel vom "Sterben eines reichen Mannes", der nur durch die Hinwendung zum Glauben um einen Platz in der Hölle herumkommt, einmal mehr die Salzburger Festspiele – genauso wie bereits vor 100 Jahren. Doppeltes Jubiläum also eines untrennbaren Paares.
Rückkehr zum katholischen Barock
Einer der besten Kenner des "Mythos Jedermann" ist der Theaterkritiker und Autor Andres Müry. Er hat selbst viele Jahre in Salzburg gelebt und mit "Jedermann darf nicht sterben: Geschichte eines Salzburger Kults" ein Buch geschrieben, das als Standardwerk zum Thema gilt.
Im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur skizziert er, wie der "Jedermann" nach seiner Berliner Uraufführung im Jahr 1911 in der Regie von Max Reinhardt schließlich im Jahr 1920 zur Geburtsstunde der Salzburger Festspiele wurde:
"Nach dem Ersten Weltkrieg und nach den europäischen Revolutionen haben Hofmannsthal und Reinhardt, dieses ,winning team‘ der Zehnerjahre, einen Ort gesucht, wo sie sich geschützt weiter verwirklichen konnten – in einer Welt, die ihnen fremd geworden war. Und besonders Hofmannsthal hatte die Idee einer Rückbesinnung auf den katholischen Barock, auf das religiöse Theater. Und er hatte sich dafür von Calderón ein Fronleichnamsspiel ausgesucht, "Das große Welttheater", und damit sollte Salzburg eröffnet werden!"
"Nach dem Ersten Weltkrieg und nach den europäischen Revolutionen haben Hofmannsthal und Reinhardt, dieses ,winning team‘ der Zehnerjahre, einen Ort gesucht, wo sie sich geschützt weiter verwirklichen konnten – in einer Welt, die ihnen fremd geworden war. Und besonders Hofmannsthal hatte die Idee einer Rückbesinnung auf den katholischen Barock, auf das religiöse Theater. Und er hatte sich dafür von Calderón ein Fronleichnamsspiel ausgesucht, "Das große Welttheater", und damit sollte Salzburg eröffnet werden!"
Dass es dazu nicht kam, hatte damit zu tun, dass das Stück zur kurzfristig anberaumten Festivalpremiere im Sommer 1920 schlichtweg nicht fertig war. Reinhardt habe daraufhin "die Konserve ‚Jedermann‘ aus dem Hut gezaubert", wie Müry sagt. Auch aus pragmatischen Gründen, denn Schauspieler und Kostüme seien bereits aus vorherigen Produktionen in Berlin und Wien vorhanden gewesen. Hinzugekommen sei die Idee, das Stück vor dem Salzburger Dom spielen zu lassen – bis heute die "Jedermann"-Kulisse.
"Das Dazwischen hat nie stattgefunden"
Interessant findet Andres Müry vor allem die unterschiedlichen Reaktionen auf die "Jedermann"-Inszenierungen nach den beiden Weltkriegen: Bei der Salzburger Festival-Premiere 1920 und – nach der Ächtung und Absetzung des Stücks durch die Nationalsozialisten – bei dessen Rückkehr vor den Dom 1946.
Während nämlich der "Jedermann" 1920 noch auf den Widerstand sowohl katholischer wie auch linker und antisemitischer Kreise (Hofmannsthal und Reinhardt waren jüdischer Herkunft) gestoßen sei, habe der "Jedermann" in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem identitätsstiftend gewirkt:
"Der ,Jedermann‘, das hieß die Rückkehr in die Dreißigerjahre. Die Österreicher konnten so tun, als ob man weitermacht wie bisher. Und – und das ist glaube ich das Wichtigste – ob das Reinhardt war oder Hofmannsthal, war nicht so wichtig. Man hat Reinhardt geholt als einen Vertreter der ewigen österreichischen Kunst und des Theaters. Sein Judentum wurde sorgfältig ausgespart in dieser neuen Marke Salzburger Festspiele. Es war einfach wieder das Erlebnis, dass vor dem Dom Theater gespielt wurde – und dass man sich in dem Gefühl einlullen konnte: Das Dazwischen hat nie stattgefunden."
Unter den vielen Inszenierungen, die Andres Müry vor dem Salzburger Dom gesehen hat, ist ihm vor allem jene von Christian Stückl in Erinnerung geblieben, in der Peter Simonischek als Jedermann und Jens Harzer als Tod zu sehen waren. Der berühmte "Herzgriff", mit dem der Tod Jedermann für sich beansprucht, und "diese röhrende Stimme von Jens Harzer, der als nackte, grauvergipste Figur auftrat" und die "Todesangst von Peter Simonischek" – das sei ein Moment gewesen, den Müry "gespeichert" habe.
"Der ,Jedermann‘, das hieß die Rückkehr in die Dreißigerjahre. Die Österreicher konnten so tun, als ob man weitermacht wie bisher. Und – und das ist glaube ich das Wichtigste – ob das Reinhardt war oder Hofmannsthal, war nicht so wichtig. Man hat Reinhardt geholt als einen Vertreter der ewigen österreichischen Kunst und des Theaters. Sein Judentum wurde sorgfältig ausgespart in dieser neuen Marke Salzburger Festspiele. Es war einfach wieder das Erlebnis, dass vor dem Dom Theater gespielt wurde – und dass man sich in dem Gefühl einlullen konnte: Das Dazwischen hat nie stattgefunden."
Unter den vielen Inszenierungen, die Andres Müry vor dem Salzburger Dom gesehen hat, ist ihm vor allem jene von Christian Stückl in Erinnerung geblieben, in der Peter Simonischek als Jedermann und Jens Harzer als Tod zu sehen waren. Der berühmte "Herzgriff", mit dem der Tod Jedermann für sich beansprucht, und "diese röhrende Stimme von Jens Harzer, der als nackte, grauvergipste Figur auftrat" und die "Todesangst von Peter Simonischek" – das sei ein Moment gewesen, den Müry "gespeichert" habe.
(jeb)