Motor der globalen Popmusik
Jazz, Rock, Pop ohne Schlagzeug – undenkbar. Seit hundert Jahren wird die U-Musik mit Beats unterlegt. Das Haus der Kulturen der Welt in Berlin feierte das Jubiläum jetzt mit einem Festival.
Das Haus der Kulturen der Welt bebt. Schon am Donnerstag, dem ersten Festivaltag, hört man wildes, dröhnendes Getrommel.
Im Foyer schlagen 150 Menschen scheinbar unkontrolliert auf bunt gefärbte Trommeln zu den Ansagen von N. U. Unruh, dem Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten. Es ist unerträglich laut. Das Festival feiert das Schlagzeug, das 1918 auf den Markt gekommen ist. Danach war die Musik nicht mehr wie vorher, meint Kurator Detlef Diederichsen.
Beats, die die Welt erobert haben
"Das Schlagzeug hat das eigentlich in Afrika entstandene Konzept eines Backbeats in der Welt verbreitet. Als die Tanzmusik aus New Orleans sich begann über die USA zu verbreiten, nahm sie das Schlagzeug dann halt mit ab 1918. Und es ging irgendwie rasend schnell, dass es quasi in den nächsten Jahren sich über die ganze Welt verbreitet hat, weil man einerseits diese Tanzmusik so toll fand, aber andererseits dieses Konzept eines Backbeats auch irgendetwas Zwingendes hatte, so dass es dann auch ganz schnell adaptiert wurde, in andere Musik mit aufgenommen wurde und heutzutage ja eigentlich fast gar nicht mehr wegzudenken ist aus der Welt der Musik."
"100 Jahre Beat", das ist auch eine Globalisierungsgeschichte. Der Backbeat als ursprünglich afroamerikanisches Musikkonzept wurde Motor der globalen Popmusik. Funk, Hip-Hop oder Drum ’n’ Bass. Musikrichtungen – mit starkem Fokus auf den Beat. Beim Festival im Haus der Kulturen der Welt wird der Beat zunächst mal ziemlich uninspiriert gezeigt. Eine Soundinstallation von Hanno Leichtmann, die Trommel-Klänge aus vier Lautsprechern spielt, ist ein naheliegender, etwas einfacher Zugang zum Thema, und eher langweilig.
Spannend: Künstlerinnen wie Jlin
Spannender sind die Konzerte. Etwa von Jlin. Eine US-amerikanische Footwork-Produzentin, die extrem schnelle Rhythmen kombiniert. Musik, die wie aus der Zukunft klingt, und einige Zuschauerinnen und Zuschauer ratlos zurücklässt.
Jlin: "Rhythmus bedeutet alles für mich. Nicht nur in Hinblick auf den Sound, sondern auch auf meine Bestimmung und meinen Lebensweg. Rhythmus spielt für mein Leben eine extrem große Rolle."
Software kann akustische Instrumente nicht ersetzen
Jlin produziert ihre Beats mit Software am Computer – in der heutigen Musikproduktion fast schon Standard. Dagegen könnte man das akustische Schlagzeug als antiquiert bezeichnen. Jlin besteht aber darauf, die Klangqualität akustischer Instrumente ist nicht so leicht zu ersetzen.
"Ich verstehe Leute nicht, die sagen, echte Instrumente sind altmodisch. Das ist doch schwachsinnig! Es gibt keinen Sound, der so ist wie der Sound von echten Instrumenten. Du kannst nicht sagen, das ist altmodisch, das ist doch total verrückt!"
Und es stimmt. Eine hypnotische Stimmung wie sie die japanische Band Goat bei ihrem Konzert erzeugt: Mit rein elektronischen Instrumenten schwer nachzumachen.
Vorträge bieten wenig Überraschungen
Auch Vorträgen und Diskussionen waren Teil von "100 Jahre Beat". Eine Diskussion über den "Amen Break", das vielleicht meist-gesampelte Schlagzeugsolo der Musikgeschichte, bietet wenig Neues. Interessanter: Ein Gespräch über den massiven Einfluss afroamerikanischer Popmusik auf den Sound der Moderne.
100 Jahre Schlagzeug-Geschichte an einem Wochenende abzubilden, ist eine Herausforderung, das Programm teilweise überfordernd. Selbst auf der Toilette wird man vom Beat verfolgt.
Aber, das zeigt auch die Musik von Jlin: Vielleicht ist Überforderung eine gute Voraussetzung für innovative Musik, die heute noch ungewöhnlich wirkt, und morgen schon der Klang der Gegenwart ist.