100 Tage Fahrverbote in Hamburg

Gesunkene Stickoxid-Werte und weniger Beschwerden

Dieselfahrverbotsschild an der Hamburger Max-Brauer-Allee
An der Hamburger Max-Brauer-Allee gilt seit 100 Tagen ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge. Im Juni und Juli 2018 sind die Messwerte gesunken. © imago/Chris Emil Janßen
Von Axel Schröder |
In Hamburg gelten seit 100 Tagen Diesel-Fahrverbote in zwei Straßen. Zuletzt ist die Stickoxid-Belastung dort gesunken. Doch wie sieht es auf den Ausweichrouten aus?
Charlotte Lill ist einigermaßen ernüchtert. Die ältere, dezent geschminkte Dame sitzt im kleinen Park auf der Gartenbank, die hohen Bäume im Hof des Senioren-Stifts spenden Schatten. Ernüchtert, enttäuscht ist sie, weil sich kaum ein Auto-, kaum ein Lasterfahrer an das Dieselfahrverbot hält:
"Wir sehen immer noch Laster über zehn Tonnen hier rumfahren. Da braucht man ja nur die Achsen zu zählen. Und kontrolliert wurde, so dass wir es mitbekommen haben, zwei Mal."
Und das, findet die Seniorin, sei eindeutig zu wenig. Seit fünf Jahren kämpft Charlotte Lill für ein Diesel-Fahrverbot in der Max-Brauer-Allee. Denn vor allem ältere Dieselfahrzeuge blasen besonders viel Stickstoffdioxide in die Luft. So viel, dass an der Max-Brauer-Allee regelmäßig die Grenzwerte für das Atemgift weit überschritten wurden.
"Wenn sie bedenken: Wir sind eine Seniorenwohnanlage hier. Wir haben alle unsere Zipperlein. Wir haben alles! Wir haben COPD, Lungenemphysem. Wir haben hier Menschen mit Schlaganfall, Herzinfarkt. Ist alles vorhanden. Und diese Luft verschlimmert es. Man kann keinen Beweis antreten, dass es das verursacht. Aber es verschlimmert es auf jeden Fall. Es befördert mehr Leiden."

"Wir verteilen die Schadstoffe über die ganze Stadt"

Stickstoffdioxid – kurz: NO2 - führt vor allem bei älteren Menschen, Kindern und Jugendlichen zu Schleimhautreizungen. Asthmatische Beschwerden treten bei den Betroffenen heftiger auf. Nach Studien der Helmholtz-Gesellschaft steigt die Gefahr, an Diabetes zu erkranken, wenn dauerhaft zu viele Stickoxide eingeatmet werden. Das Gas ist geruch- und farblos und leicht flüchtig. Seit acht Jahren gilt auch in Deutschland der Grenzwert der Weltgesundheitsorganisation WHO von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Seit einhundert Tagen gelten die Hamburger Durchfahrtverbote, offiziell heißen sie: Durchfahrtbeschränkungen an zwei Hamburger Straßenzügen. Auf der Max-Brauer-Allee, vor Charlotte Lills Wohnung, gilt das Verbot auf einem 580 Meter langen Abschnitt für Pkw und Lkw, die nicht die Schadstoffnorm Euro 6 erfüllen.
In der Hamburger Max-Brauer-Allee steht ein Verbotsschild für Dieselautos.
Ein Schild verbietet Dieselfahrzeugen die Einfahrt in die Hamburger Max-Brauer-Allee.© Deutschlandradio / Axel Schröder
Auf der vierspurigen und ebenso von Wohnhäusern gesäumten Stresemannstraße gilt das Verbot nur für entsprechende Laster auf 1,7 Kilometer Länge. Dass auf den Ausweichrouten nun die NO2-Werte steigen, erklärte Hamburgs Umweltsenator Jens Kerstan schon am 31. Mai 2018, an dem Tag, als die Fahrverbote in Kraft traten.
"Letztendlich verteilen wir jetzt die Schadstoffe auf die ganze Stadt und belasten damit natürlich mehr Leute unterhalb der Grenzwerte. Unsere Lösung jetzt sieht ja vor, dass wir an betroffenen Straßen die Autos rausdrängen in andere Straßen, die noch nicht so belastet sind, den Verkehr reindrängen."
Durch diese Maßnahme erhofft sich der Senat, dass zumindest an den Messstellen in der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße die Stickstoffdioxidwerte sinken und so die Atemluft der dortigen Anwohner verbessert wird. Die seit acht Jahren geltenden Grenzwerte werden an beiden Straßenzügen vor allem in den Morgen- und Abendstunden regelmäßig überschritten. Schuld sind daran in erster Linie Dieselautos, die besonders viele dieser Schadstoffe ausstoßen.

Messwerte unter den Grenzwert gesunken

100 Tage nach Einführung der Durchfahrtbeschränkungen ist Manfred Braasch von BUND Hamburg vorsichtig optimistisch. Er sitzt am Rechner in seinem Büro, vor sich auf dem Monitor die roten und blauen Kurven in einem Diagramm. Online abrufbar, Tag für Tag, die Stickstoffdioxid-Konzentrationen an den Messpunkten der Stadt:
"Man kann online dann tatsächlich nachschauen: Wie sind die Daten an den offiziellen Messstationen? Und wenn man jetzt mal hier auf die Daten schaut, so kann man feststellen, dass für Juni und für Juli an beiden Straßen die Messwerte runtergehen. An der Max-Brauer-Allee leider nicht so eindeutig wie wir uns das erhofft haben. Aber an der Stresemannstraße ist das schon ziemlich klar zu sehen."
Denn dort sanken die Messwerte tatsächlich knapp unter den zulässigen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Manfred Braasch vom BUND fühlt sich bestätigt. Die Umweltschutzorganisation hatte zusammen mit einem Anwohner vor drei Jahren erfolgreich gegen den Luftreinhalteplan der Stadt geklagt. Die Stadt musste nachbessern. Die Konsequenz waren unter anderem die Dieselfahrverbotszonen.
Die Befürchtung, die Stickstoffkonzentrationen auf den Ausweichrouten könnten steigen, diese Befürchtungen waren begründet, erklärt Manfred Braasch vom BUND:
"Der BUND hat im Juni 2018 mit so genannten 'Passivsammlern' – das sind so kleine Röhrchen, wo die Stickoxid-Konzentration über einen Monat gemessen werden kann – gearbeitet und hat das unter anderem an der Holstenstraße, auch an der Fruchtallee gemacht. Und diese beiden Straßen sind Ausweichrouten. Und dort mussten wir feststellen: Für den Juni lagen dort die Stickoxidkonzentrationen über dem Grenzwert."
Aber dazu könne man heute noch gar keine validen Aussagen machen, erklärt der Sprecher der Hamburger Behörde für Umwelt und Energie, Björn Marzahn:
"Vier Wochen können kein aussagekräftiger Wert sein, um belastbar zu sagen: So sind die Schadstoffausstöße. Wir haben selbst auch Passivsammler, die wir alljährlich von Bezirk zu Bezirk reichen, die das an bestimmten Stellen aufstellen. Aber mit der Auflage: Mindestens ein Jahr zu messen. Denn erst nach einem Jahr lässt sich statistisch belegbar, belastbar, valide und auch gültig sagen: So sind die Schadstoffwerte. Das ist bei Passivsammlern maßgeblich."

Erneute Klage gegen den Hamburger Senat

Die Passivsammler der Stadt sind allerdings gerade nicht an den Ausweichrouten installiert, räumt der Behördensprecher ein. Die Umweltbehörde verlässt sich bei der Bestimmung von Stickstoffdioxid-Grenzwerten auf ein sehr komplexes Computermodell, das drei Gutachterbüros eigens für die Einrichtung der Hamburger Fahrverbostzonen entwickelt haben.
"Und so konnten wir genau sagen: Die Schadstoffgrenzen und die Anwohner werden dort in keiner Weise so gesundheitlich geschädigt wie das bislang an der Max-Brauer-Allee oder an der Stresemannstraße gewesen ist."
Die Beschwerdebriefe von Menschen, die an den Ausweichrouten wohnen, würden weniger werden.
Was nicht weniger wird, ist das Engagement des BUND für eine noch sauberere Luft. Immerhin gäbe es in der Habichtstraße im Nordosten Hamburgs, dort, wo die Grenzwerte am ärgsten überschritten werden, noch gar keine Gegenmaßnahmen, kritisiert Hamburgs BUND-Chef Manfred Braasch:
"Und deswegen haben wir erneut den Hamburger Senat verklagt, hier mehr zu machen, damit es bessere Luft in Hamburg gibt. Da fordern wir zonale Durchfahrtverbote und eine Ausweitung zum Beispiel an die Habichtstraße. Hier hat ja interessanterweise die Hamburger Umweltbehörde nach internen Papieren, die wir vorliegen haben, gesagt: 'Da muss ein Durchfahrverbot kommen!' Das ist auch die Straße mit der größten Belastung und da hat sich dann die SPD-geführte Verkehrsbehörde dagegen gestemmt und deswegen haben wir diese unbefriedigende Situation im Nordosten."
Ende des Jahres könnte das Oberverwaltungsgericht über die Klage des BUND entscheiden. Dass dann, wie es der BUND vorschlägt, im gesamten, vom so genannten Ring 2 umschlossenen Stadtgebiet, alte Dieselautos nicht mehr fahren dürfen, ist für Björn Marzahn, den Sprecher der Umweltbehörde nur schwer vorstellbar. Die Schadstoffe ließen sich auch auf andere Weise bekämpfen:
"Wenn man an den Flottenaustausch denkt, der in den nächsten Jahren kommen wird – E-Fahrzeuge oder Hybridfahrzeuge -, dass wir auch mit dem Busverkehr, mit dem Radverkehr an diesen Stellen sehr viel mehr machen können. Eine Zonierung bringt nichts – außer, dass es unverhältnismäßig die Autofahrer betreffen würde. An solchen markanten Ausfallstraßen, die man nun bewusst gebaut hat."
Umweltschützer protestieren bei einer offiziellen Veranstaltung mit Plakaten wie "Placebos helfen nicht" gegen die Einführung der ihrer Ansicht nach viel zu eng begrenzten Fahrverbotszonen in Hamburg.
Umweltschützer protestieren gegen die Einführung der ihrer Ansicht nach viel zu eng begrenzten Fahrverbotszonen in Hamburg© Deutschlandradio / Axel Schröder
Björn Marzahn ist zuversichtlich, dass die Grenzwerte durch die Fahrverbote dauerhaft gedrückt werden können. Ob das geschieht, wird erst in einem Jahr, nach Auswertung der Messwerte feststehen.
Charlotte Lill, im Senioren-Stift an der Max-Brauer-Allee würde sich schon freuen, wenn die Polizei die Einhaltung der Fahrverbote dauerhaft überwachen würde. Der Hamburger Senat müsste nun, weil an vielen Stellen die Grenzwerte noch nicht eingehalten werden, endlich handeln:
"Dass die Politik nicht regiert, dass die Gerichte regieren. Mein Nachbar hier oben hat geklagt, damit es einen neuen Luftreinhalteplan gibt. Den haben wir auch gekriegt. Wieso muss man da erst klagen? Können die nicht schon vor zehn Jahren anfangen zu ticken? Wenn sie merken: 'Mensch, wir müssen was tun! Unsere Werte sind schlecht! Wir schaden der Gesundheit.'
Aber immerhin tue sich endlich was, in Stuttgart und in München, freut sich Charlotte Lill. Und wer weiß, sagt sie mit feinem Lächeln, vielleicht hat ja auch die zweite, gerade anhängige Klage Erfolg und zwingt die Politik wieder einmal zu mehr Engagement bei der Luftreinhaltung.
Mehr zum Thema