100 Tage Hauptstadt-Airport BER

Ein Flughafen ganz ohne Hektik

06:46 Minuten
Ein Fluggast im Wartebereich des Terminals vom Flughafen Berlin-Brandenburg.
Lange hat es gedauert bis zur Eröffnung des BER. Jetzt steht der Flughafen größtenteils leer – wegen der Pandemie. © picture alliance / NurPhoto | Emmanuele Contini
Von Christoph Richter |
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Berlin hat ihn, den neuen Airport! Und dort läuft inzwischen alles tipptopp, heißt es. Allerdings ist auch kaum was los. In der Pandemie ist der Flughafen nicht mal zu zehn Prozent ausgelastet.
"Ich gehe unheimlich oft zum Flughafen, wegen der Atmosphäre, schaue mir das an", sagt Norbert Kowarzyk und lacht. Ein Flughafen-Dauergast, Cordhose, blaue Windjacke. Er sitzt auf einer der Bänke im noch neuen BER, auf seinem Schoß ein Laptop.
Der Flughafen ist für den 67-Jährigen in Zeiten der Pandemie – so ungewöhnlich es klingt - sein Wohlfühlort. Um etwas Abwechslung vom monotonen Alltag zu haben, wie er sagt:
"Ja, ich bin gern hier, weil hier so angenehme Atmosphäre herrscht. Verbringe immer ein paar Stunden hier."
"Und, was machen Sie dann?"
"Ich mache Sachen im Internet, lade mir Bücher runter. Genieße einfach das Ambiente, das mir sehr behagt."

Alles tipptopp, aber auch traurig

Sein Fazit der ersten hundert Tage: Alles tipptopp, sagt er. Aber irgendwie auch traurig, weil eben kaum Fluggäste unterwegs seien. Die Anzeigetafeln sind fast leer, am Tag gehen nur wenige Flüge.
Engelbert Lütke Daldrup, Vorsitzender der Geschäftsführung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH bei der Führung durch das Flughafengebäude am 25.09.2020
BER-Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup.© dpa / SULUPRESS.DE
Auch für Flughafen-Chef Engelbert Lütke Daldrup ein trauriger Anblick: "Normalerweise erwarten wir im Winter 80.000, 90.000 Fluggäste am Tag. Im letzten Monat hatten wir 7.000 Passagiere am Tag. Das war für uns schon eine Enttäuschung."
Das sei ein Rückgang um gut 90 Prozent zum Vorjahreszeitraum, sagt Lütke Daldrup. Einmalig in 70 Jahren Luftfahrt in der Region Berlin-Brandenburg. Das sei die schlimmste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
"Was wir uns wünschen, ist: Mehr Fluggäste, mehr Action am Flughafen. Damit wir endlich den Flughafen richtig hochfahren können."

Eine der größten Baupannen der Geschichte

2019 – im Vorkrisenjahr – hatten die Berlin-Brandenburger Flughäfen insgesamt 35 Millionen Fluggäste. Für dieses Jahr rechnet die Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg GmbH dagegen nur mit 10 Millionen Passagieren.
Entworfen wurde der BER vom Architektenbüro Gerkan, Marg und Partner. Das Vordach wird von stattlichen Säulen getragen. Eine Architektursprache ähnlich dem Mies van der Rohe-Pavillon in Barcelona oder dem Alten Museum auf der Berliner Museumsinsel.
Die Entstehung des Hauptstadtflughafens Berlin-Brandenburg "Willy Brandt" gilt als eine der größten Baupannen Deutschlands. Kosten: knapp 6 Milliarden Euro. Bauzeit: 14 Jahre.
Trotzdem ist schon am ersten Betriebstag am Durchgang zur Besucherterrasse Regenwasser durchs Dach getropft, auf dem Boden bildeten sich Pfützen. Klar, dass sofort die ersten Witze die Runde machten. Es hieß, das sei wohl ein Teil des verbesserten Brandschutzkonzepts.

Regenwasser durchs Dach und Stromschläge

Der Flughafenchef kann darüber nur wenig lachen: "Nein, wir haben am Dach überhaupt kein Problem. Das war eine Lüftungsklappe, da hatte sich eine Dichtung gelöst, da ist es durchgetropft. Das Problem haben wir schnell, in wenigen Stunden gelöst."
Mitte Januar, die nächste Meldung: Mitarbeiter einer privaten Security-Firma hätten an den Sicherheitskontrollen schmerzhafte Stromschläge erlitten, einige mussten gar krankgeschrieben werden. Flughafenchef Lütke Daldrup wiegelt ab. Das seien elektrostatische Aufladungen, das kenne man auch von anderen Flughäfen wie in Hamburg.
"Das tritt leider immer im Winter auf, wenn die Luftfeuchtigkeit sehr gering ist durch das Heizen. Durch die geringe Anzahl von Fluggästen werden die Phänomene leider begünstigt."

Momentan ist alles ziemlich ruhig

Reporter: "Das ist jetzt was?"
Dorn: "Das ist jetzt was ganz Leises."
Reporter: " … sonst fliegen sie niedriger?"
Dorn: "Das kommt auf die Größe der Maschinen an und vor allen Dingen auf die Beladung. Wenn kaum einer drinsitzt, kommt die Maschine besser hoch."
Bis heute haben die wenigsten den nötigen Schallschutz, klagt Christine Dorn. Sie ist die Vorsitzende des 2.000 Mitglieder großen Bürgervereins Berlin-Brandenburg, der gegen die Ausbaupläne des BER geklagt hat.
Christine Dorn ist zornig. Klar, die Pandemie verschaffe Luft. Aber spätestens in ein paar Jahren sähe die Situation anders aus, meint sie: "Der Flughafen hätte bei einer derart schlechten Bilanz bei der Umsetzung des Schallschutzprogramms eigentlich nicht in den Betrieb gehen dürfen."

Offener Streitpunkt: Nachtflugregelung

Der größte Streitpunkt: die Nachtflugregelung. Von null Uhr bis fünf Uhr darf weder ein Flieger abheben noch landen. In den Randzeiten - also zwischen zehn und zwölf Uhr abends beziehungsweise zwischen fünf und sechs Uhr morgens, sind nach Angaben des BER durchschnittlich 77 Flugbewegungen gestattet.
Doch genau das stößt auf Kritik, weshalb die Flughafen-Anrainer im Dezember vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strasbourg gezogen sind: "Es geht um die Frage, ob man mit fünf Stunden Nachtruhe dauerhaft wird gesund leben können."
Die Flughafengesellschaft kann mit den Vorwürfen wenig anfangen. 770 Millionen Euro würden insgesamt für Schallschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen. Derzeit gebe es noch 1.050 offene Anträge, die zügig im Sinne der Flughafennachbarn bearbeitet würden. Dass Geld, dass die Anwohner dann erhalten, müssten sie aber auch in den Schallschutz stecken, fordert BER-Flughafenchef Lütke Daldrup:
"Was ich bedauere, ist, dass viele Anwohner die Entschädigungen, die häufig in einer großen Dimension von 50.000 bis 80.000 Euro gewesen sind, genommen haben. Aber wenig oder gar nichts in ihre Häuser investiert haben."
Der BER ist und bleibt Notfallpatient. Denn er wird auf Jahre hinaus auf Zuschüsse der Anteilseigner, also Steuergelder, angewiesen sein. Allein dieses Jahr erhält er von den Ländern Berlin, Brandenburg und dem Bund insgesamt 660 Millionen Euro.
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