Der Nashorn-Schwur von Magdeburg
Nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt reichte es nicht mehr für die Fortsetzung der großen Koalition. Ministerpräsident Reiner Haseloff startete das Experiment Kenia-Koalition: Schwarz-rot-grün. Beim traditionellen "Nashornschwur" besiegeln die Abgeordneten ihre Koalition.
"Das große Areal und vor allen Dingen auf die weißen Löwen…."
…darauf freut sich bei seinem Magdeburger Zoo-Besuch - Ministerpräsident Reiner Haseloff, der Regierungschef der bundesweit ersten Kenia-Koalition, dem Dreier-Bündnis bestehend aus CDU, SPD und Grünen – ganz besonders. An seiner Seite, seine Frau Gabriele und mehrere Landtagsabgeordnete. Die Personenschützer kommen kaum hinterher, wenn Haseloff flotten Schrittes und gut gelaunt den Zoo-Magdeburg durchschreitet. Für den Christdemokraten aber mehr als ein profaner Zoo-Besuch, sondern auch sowas wie ein Abstecher nach Kenia, und das mitten in Sachsen-Anhalt. Mutig wagt sich Regierungschef Haseloff auch in die Höhle des Löwen, um zwei Löwenbabies mal von ganz nah zu sehen.
"Ja Mensch, die sind gar nicht scheu, die haben schon richtige Krallen und richtige Zähne, wenn die zufassen, ist das schon ein Problem. Die sind aber unheimlich weich und kuschelig…"
Reiner Haseloff – der vor den flauschig weißen Löwenbabies fast weihevoll niederkniet - sieht man den Respekt vor den Mini-Raubtieren geradezu an. Zaghaft beginnt er nach ein paar Minuten mit den Löwen zu spielen, greift vorsichtig ins weiche Fell.
"Ja, man geht erst mal rein und denkt, das wird ähnlich sein, wie bei der Hauskatze. Wir haben auch eine, seit über 16 Jahren. Aber es ist schon ein Unterschied, die Zähne sind da, die Krallen sind ausgeprägt. Und wenn man dort streichelt ist man schon immer in Hab-Acht-Stellung, dass man im Notfall auch zurückzieht, dass man nicht verletzt wird…"
…weltweit gibt es nur 150 weiße Löwen. Der CDU-Ministerpräsident lächelt. Mutig streichelt Haseloff alles was ihm im Magdeburger Zoo in die Quere kommt.
Drei, die ein Leben lang aufeinander gewartet haben
Das Signal: Wir haben alles, aber wirklich alles im Griff und kennen keine Berührungsängste. Seit nun 100 Tagen ist die Kenia-Koalition am Werk, doch großer Krach, Unruhe oder gar Dissens zwischen den Koalitionären ist nicht zu spüren. Stattdessen hat man fast das Gefühl, als hätten sich hier drei gefunden, die ein ganzes Leben aufeinander gewartet haben. Und nun das Glück in vollen Zügen genießen. Die Stimmung ist….
"…hervorragend, gibt nichts Schöneres. Oder? Alles fein. Wir lassen uns nicht aus dem Takt bringen…"
Der 62-jährige promovierte Physiker und frühere Arbeitsamtsdirektor Haseloff ist sowas wie der Hahn im Korb. Umringt von Frauen seiner Regierungskoalition wird gescherzt, gegluckst, gelacht.
"Die Stimmung ist ausgezeichnet, die persönliche Zusammenarbeit ist sehr, sehr gut. Das Menschliche stimmt einfach, das muss man einfach sagen."
Als erstes will die Landesregierung schnell und möglichst unbürokratisch das Sofortprogramm des Koalitionsvertrages umsetzen. Und drückt aufs Gaspedal.
Zur Erinnerung:
Inhaltlich haben sich die Koalitionäre in dem mehr als 100 Seiten dicken Vertragswerk darauf verständigt, dass die Zahl der Lehrer und Polizisten angehoben, die Kommunen sowie Hochschulen mehr Geld bekommen. Und es soll ein Beschäftigungsprogramm für Langzeitarbeitslose geben. Eine Art Marshallplan der Kenia-Regierung für Sachsen-Anhalt. Eins ist für die Landesregierung besonders dringlich: Die leeren Kassen der Kommunen mit 80 Millionen Euro zu entlasten, Geld das im Herbst fließen soll. Die Koalitionäre – wie Fraktionschefin Cornelia Lüddemann von Bündnis 90/Die Grünen – sie wollen Zeichen setzen.
"Das sind Projekte, die allen drei regierungstragenden Fraktionen und dahinterstehenden Parteien sehr wichtig sind. Das gibt ein paar Eckpunkte, die wirklich nicht verhandelbar waren."
Keine Goldadern oder Erdölquellen in Sachsen-Anhalt
Weshalb man mächtig auch auf die Tube drückt, um die Vorhaben umzusetzen, so Cornelia Lüddemann aus Dessau. Schließlich wolle man – so klingt es zwischen den Zeilen - als glorreiche und nicht als verzagte Kenianer in die Geschichtsbücher eingehen.
"Ich meine schon prognostizieren zu können, dass das ein gutes Beispiel ist, ein guter Anfang der gemeinsamen Arbeit."
Auch wenn in Sachsen-Anhalt immer noch keine Erdölquellen sprudeln, bis jetzt keine Goldadern gefunden wurden, so will man doch etwas anders machen. Fehlentwicklungen sollen korrigiert werden, heißt es. Ironischerweise sind daran die CDU und die SPD beteiligt, zwei Parteien, die bisher auch Verantwortung trugen. Gemeint ist die Sparpolitik der vergangenen Legislaturperiode: Schulen hat man geschlossen, Universitäten und Theater haben weniger Geld, Lehrer und Polizisten fehlen. Teuer bezahlen mussten für diese Politik hauptsächlich die Sozialdemokraten. Zur Erinnerung: Am 13. März ist die SPD von 21,5 Prozent auf 10,6 Prozent der Stimmen abgerutscht und damit auf dem Niveau einer Klein-Partei angekommen. Nicht ein einziger SPD-Direktkandidat konnte seinen Wahlkreis gewinnen. Dass man nun wieder in der Landesregierung sitzt, ist für viele Genossen an der Basis völlig falsch. Dennoch: Es gab keine andere Wahl, schließlich dürfe Sachsen-Anhalt kein "failed state" werden, sagt der in Quedlinburg lebende, aus Münster stammende Andreas Steppuhn. Er ist der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Magdeburger Landtag.
"Wir haben schon verstanden, dass Menschen mit SPD-Politik teilweise nicht einverstanden sind, das darf sich nicht wiederholen."
Und das man in Sachsen-Anhalt von der SPD heute so gut wie nichts höre, sei keine Schockstarre und schon gar keine Altersschwäche einer einst stolzen 120 Jahre alten Volkspartei, unterstreicht Steppuhn. Und setzt dicke Ausrufezeichen.
"Oft wird nicht gesehen, dass es gerade Sozialdemokraten sind, die dann auch im Maschinenraum einer Regierung die Arbeit bewerkstelligen."
Der Start der neuen Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt, er verläuft geräuschlos. Nörgler bezeichnen das Klima langweilig bis bräsig.
"Wir erleben hier Segnungen der Professionalität. Denn die Landesregierung spielt uns ja was vor, auch in der Harmonie und im Erfolg der Handlungsfähigkeit, was wir als Grundmodell professionellen Handelns überhaupt kennen, die sogenannte Konkurrenzgemeinschaft."
Analysiert der Politologe und Psychologe Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal.
"Konkurrenzgemeinschaft ist im Grunde das, das Sie bei Sendungen wie Big Brother vorgeführt bekommen. Das sind Menschen die gemeinsam konkurrieren, am Ende will jeder gewinnen. Aber um das zu tun, müssen sie gemeinsame Aufgaben lösen. Sie müssen imstande sein, sehr schnell umzuschalten, zwischen Konkurrenz und einem Gefühl von Freundlichkeit und Unterstützung. Und das machen die auch."
Das alles so ruhig und still verläuft, war anfangs überhaupt nicht zu erwarten. Denn als der Koalitionsvertrag bereits unterschriftsreif vorlag, gingen hunderte Bauern auf die Barrikaden und demonstrierten vor dem Landtag auf dem Magdeburger Domplatz.
"Wir haben schwarz gewählt, bekommen grün" oder "Das grüne Imperium: Willkommenskultur für den Wolf und Handschellen für die Landbevölkerung" so in etwa lauteten die Protestnoten.
"Ich sehe es nicht ein, dass ein Ministerium das sehr gut geführt war, jetzt eine Partei bekommt, die es gerade mal mit etwas mehr als fünf Prozent es in den Landtag geschafft hat. Eine Partei, die in Sachsen-Anhalt und woanders, nicht in der Lage ist für uns Landwirte tätig zu sein."
Milchbauer Manfred Wesche aus der Börde ist immer noch in Aufruhr. Ein Bauer wie aus dem Bilderbuch, mit Filzstiefeln, Wattejacke und rot gegerbter Haut protestiert er dagegen, dass kein CDU-Mann, wie bisher, sondern die grüne Landespolitikerin und habilitierte Psychologin Claudia Dalbert, Landwirtschaftsministerin in Sachsen-Anhalt geworden ist. Genau diese Personalentscheidung galt als erste Sollbruchstelle des kenianischen Dreier Bündnisses, bestehend aus CDU, SPD und Grünen.
Jetzt nach 100 Tagen hat sich der Sturm gelegt, nicht mal ein Lüftchen ist zu spüren. Und Claudia Dalbert, die grüne Landwirtschaftsministerin scheint kein "grünes Ideologiemonster" zu sein, wie so mancher Bauer anfangs befürchtete. Stattdessen ist die 61jährige Ministerin mit grün glänzenden kniehohen Gummistiefeln bei den Bauern unterwegs. Steht im Schlamm, hört zu, spricht mit ihnen. Tenor: Ich bin doch eine von Euch. Heute ist sie in Westerhausen am nördlichen Harzrand auf dem Hof von Kurt-Henning Klamroth zu Gast. Sohn Christoph führt die Ministerin durch den riesigen lichtdurchfluteten Stall, wo rund 180 Kühe stehen.
"Für mich sind diese Vor-Ort-Termine wichtig, weil ich mir die Höfe dann angucken kann. Ich finde, dann versteht man auch besser, als wenn man nur liest. Man hört auch nochmal die Probleme. Insofern ist es mir wichtig, dass ich immer – wo ich kann – diese Termine einschiebe, um mir vor Ort die Betriebe anzuschauen."
Landesregierung will Ökolandbau fördern
Da klingt die gelernte Psychologin heraus, die in Halle lebende Claudia Dalbert sucht die Kommunikation mit den Landwirten aber auch den Lobbyvertretern. Während sie spricht, schaut sie den Menschen genau in die Augen, so als wolle sie alles haargenau aufsaugen.
"Mein Eindruck ist, dass wir sehr respektvoll miteinander umgehen und eine gute Arbeitsebene finden, um die anstehenden Probleme gemeinsam zu finden."
Bauer Klamroth nickt mit dem Kopf.
"Grüne Ministerin hin, grüne Ministerin her. Kommt auf eine normale Sachpolitik an. Und wenn sie sich die Bundesrepublik anschauen, können sie sehen, dass wir bald überwiegend grüne Landwirtschaftsminister haben. Ich habe ja nun ein schwarzes Parteibuch. Das heißt aber nicht, dass ich flegelhaft mit der Ministerin umgehe, es kommt auf die Sachpolitik an."
Insbesondere ein Punkt sorgt für Diskussion: Der Ökolandbau. Den will die Landesregierung von heute fünf auf 20 Prozent steigern. Gerade die konventionell arbeitenden Landwirte befürchten, dass Subventionen künftig nur noch in den Ökolandbau fließen. Bauer Klamroth – der nicht nur Landwirt, sondern auch der Chef des Bauernbunds in Sachsen-Anhalt ist - sieht es ähnlich. Er habe schon viel erlebt, sagt er noch. Schließlich sei seine Familie schon seit der Reformation in der Region ansässig, also da werde man auch eine grüne Landwirtschaftsministerin überstehen. Klamroth lacht.
"Die Nazis, die Kommunisten haben wir überlebt. Also wir werden das schon durchhalten."
Alles in allem: Eine entspannte Atmosphäre. Anders im Landtag. Durch den Einzug der "Alternative für Deutschland" hat sich die Stimmung deutlich geändert. Der Ton ist ruppig, rau, bisweilen pöbelnd aggressiv, ja sogar persönlich beleidigend.
"Ich möchte ganz kurz darauf antworten. So lange hier Bundestagsmitglieder der Grünen hinter dem Schwarzen Block hinterher rennen und "Deutschland verrecke" rufen, brauchen wir über Volksverhetzung nicht sprechen…..denn Propaganda betreiben nicht wir, sondern die Grünen."
AfD-Landeschef spricht von "linker Verleumdung"
Ein Streit zwischen dem Magdeburger AfD Landtagsabgeordneten Oliver Kirchner und den Grünen, während der AfD-Debatte um den Asylkompromiss und die sicheren Herkunftsländer. Ein Streit, der deutlich macht, wie die AfD die Auseinandersetzungen im Landtag führt. Einer der Wortführer: Oliver Kirchner. Wenn er von den Grünen oder der Linkspartei spricht, redet er meist von Linksfaschisten. Auf seiner Abgeordneten-Facebook-Seite postet er Inhalte einer Neo-Nazi-Seite, die bewusst Falschinformationen streut. Er beschimpft Bundespräsident Joachim Gauck als Gaukler und Andersdenkende als Linksextremisten. Das ist selbst AfD-Landeschef André Poggenburg zu viel. Beobachter zählen ihn - ähnlich wie Thüringens AfD-Chef Björn Höcke - zum völkischen Flügel der Alternative für Deutschland.
"Es gibt Diskussionsbedarf dazu. Es resultiert natürlich daraus, das auch von der anderen Seite verbal schon sehr lange gegen die AfD geschossen wird. Und das erhitzt natürlich die Gemüter, auch bei uns. Und der eine oder andere hat das nicht so im Griff."
Für bundesweite Empörung sorgte während der ersten turnusmäßigen Landtagssitzung ein Zwischenruf des 42-jährigen AfD-Abgeordneten Andreas Gehlmann. Nach dem eine Abgeordnete darauf hinwies, dass Homosexuellen in den Maghreb-Staaten Gefängnisstrafen drohen, rief Gehlmann – Zitat – "Das sollten wir auch so machen". Ein Einwurf der weitgehend ungehört blieb, aber von den Stenographen des Landtags aufgezeichnet wurde. Nachzulesen in den Landtagsprotokollen. Aus Sicht der AfD sei der Einwurf völlig falsch interpretiert worden. "Linke Verleumdung" nennt es AfD-Landeschef André Poggenburg:
"Das hat so nicht stattgefunden, wie es dargestellt wird. Sondern er hat es in einem Kontext gebracht, als es um die Tabuisierung von Homosexualität in der Öffentlichkeit ging. Und in diesem Kontext hat er gesagt, dass er sich wünschen würde, dass dieses Vorgehen tabuisiert würde. Und danach kam erst die Erwähnung der Gefängnisstrafen von der Linken-Politikerin. Und nun wird daraus gestrickt, der Zwischenruf galt der Gefängnisstrafe. Das ist falsch. Ganz klar falsch."
Linken-Politikerin Henriette Quade schüttelt energisch mit dem Kopf und nennt es eine der AfD-üblichen Tatsachen-Verdrehungen. Aber darüber hinaus, beobachte sie, dass die AfD-Abgeordneten, dass Parlament als Bühne der Selbstdarstellung missbrauchen. Beispielsweise als die AfD-Fraktion geschlossen und demonstrativ die Landtagssitzung verließ, um an einer Demonstration vor dem Landtag teilzunehmen.
"Was mich überrascht hat, wie wenig, die führenden Protagonisten der AfD in Sachsen-Anhalt ein Hehl aus ihren – zum großen Teil – rassistischen, offenen rassistischen Gesinnung machen. Die Überdeutlichkeit ist ein stückweit überraschend. Ein bisschen taktisches Vorgehen, ein bisschen Abmildern hätte ich eigentlich schon erwartet."
AfD sollte sich von Rechtsextremisten distanzieren
Magdeburg ist zwar nicht Stuttgart, wo sich die gesamte AfD-Fraktion in zwei Teile zerlegt hat. Doch auch in Sachsen-Anhalt ist ein Richtungsstreit in Sicht, es bahnen sich tiefgreifende Differenzen an. Zwischen André Poggenburg – dem Gesicht des Wahlerfolgs der AfD in Sachsen-Anhalt – und Teilen der Fraktion, die Poggenburg zu große Machtfülle attestieren. Aber auch Poggenburgs Flirt mit den Neuen Rechten um Götz Kubitschek ist einigen in der AfD zu viel. Weshalb Ende Juni zehn Kreischefs und zahlreiche Abgeordnete in einem Offenen Brief unter dem Titel RUF DER VERNUNFT eine stärkere Abgrenzung der AfD von Rechtsextremisten forderten. Initiator war der aus Wolfen bei Bitterfeld stammende Daniel Roi, der zweite starke Mann der AfD in Sachsen-Anhalt. Landes- und Kommunalpolitiker und der Widersacher Poggenburgs.
"Es ist einfach so, dass viele Mitglieder, aber die Wählerschaft das Gefühlt hat, das unsere Grenzen aufgeweicht werden. Dass Schulterschlüsse geprobt werden mit extremistischen Kräften. Und das ist eine Sache die für Unmut sorgt."
Deutlich wird: Auf die AfD Sachsen-Anhalts kommen innerparteiliche Kontroversen zu. Nachdem im Juni der AfD – Landtagsvizepräsident Daniel Rausch nach nur siebenminütiger Amtszeit aufgab, soll nun AfD-Landeschef Poggenburg den Job übernehmen. Wofür er aber den Posten des Fraktionschefs, also auch Macht abgeben müsste. Das wird nicht ohne Ruckeln über die Bühne gehen. Hinter den Kulissen wird gar schon über einen Sturz Poggenburgs spekuliert. Denn, ob der Streit zwischen Petry und Meuthen gar Strahlkraft bis Magdeburg hat, ist nicht ausgeschlossen. Im Herbst weiß man mehr. Auch, ob das wortgetreue Kopieren von Anträgen – so geschehen bei einer Parlamentsinitiative der AfD – eine neue Kulturtechnik oder doch nur ein Lapsus von Parlamentsneulingen ist.
Während die AfD mit offenen Visier agiert, ist die andere Oppositionspartei, die Linkspartei fast in der Versenkung verschwunden. Was hat man vor der Landtagswahl nicht alles gehofft: Ein linker Ministerpräsident in Sachsen-Anhalt. Seit Jahren hatte man darauf hin gearbeitet. Doch mit der Flüchtlingsbewegung kam der tiefe Fall. Denn mit offenen Grenzen und Zuwanderung haben die Links-Wähler gerade im Osten so ihre Probleme. Weshalb die Sozialisten in Sachsen-Anhalt nicht einmal 10 Prozent aller Wahlberechtigten an sich binden konnten, von der AfD weit rechts überholt wurden. Eine richtige Auseinandersetzung findet aber bis heute kaum statt. Stattdessen herrscht tiefe Resignation und Ernüchterung.
"Ich glaube, das ist Amputationsschmerz. Ich glaub ihnen wird erst jetzt langsam klar, was da passiert ist. Und wie sehr die Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft, in dieser Wahl eingeschränkt worden sind, also wie viel sie verloren haben."
Psychologe beobachtet Agonie innerhalb der Partei
So der Stendaler Politik-Psychologe Thomas Kliche. Er beobachtet eine Art Agonie innerhalb der Partei. Denn die Linken müssten sich nun mit den Gründen auseinandersetzen, warum gerade beim ostdeutschen Links-Wähler unverhohlene Sympathien für fremdenfeindliche Allgemeinplätze existieren. Das passiere aber nicht. Stattdessen reagiert die Parteispitze beleidigt, und sagt, dass man den verlorenen Wählern nicht hinter rennen würde. Man werde jetzt auch keine nationalistischen Parolen rufen, so der einstige Linken-Spitzenkandidat Wulf Gallert.
"Deswegen müssen wir uns auf die konzentrieren, die sagen, meine Grundwerte sind Solidarität, meine Grundwerte sind Weltoffenheit, meine Grundwerte sind Toleranz."
Mit mehr Aufmerksamkeit können die Linken nur hoffen, wenn sich Haseloff & Co. irgendwann inständig streiten.
Was derzeit unmöglich scheint, könnte ab Herbst aber Wirklichkeit werden. Denn dann stehen die Haushaltsplanungen für die Jahre 2017/2018 an. Die erste Zerreißprobe. Die Wunschliste der einzelnen Ressorts ist groß: So will die Justizministerin mehr Geld für die Gefängnisse, die Sozialministerin mehr Geld für Kinder-Unterbringung, der Bildungsminister mehr Geld für Schulen und Lehrer, eine Liste, die sich so immer weiter fortsetzen ließe. Nach Angaben des CDU-Finanzministers André Schröder überschreiten die Wünsche die beschlossenen Richtwerte um ein Vielfaches, von 500 bis zu 900 Millionen, also einer knappen Milliarde Euro ist die Rede. Viel Stoff für dramatische Konflikte.
"Richtig ist, dass die angemeldeten Wünsche der Ressorts, noch nicht zu den Möglichkeiten des Haushaltes passen."
Koalition ist ein "Stresstest"
Der aus dem Südharz stammende Finanzminister André Schröder hat aber schon mal drohend den Zeigefinger erhoben und angekündigt, dass man keinesfalls neue Schulden machen werde.
"Wir wollen uns nichts auf Pump und zu Lasten kommender Generationen, Zielstellungen leisten…"
Der Landesrechnungshof spricht in diesem Zusammenhang bereits vom "Stresstest fürs Land". Auch weil in Zukunft wichtige Gelder wegfallen würden – wie etwa vom Bund und der EU. Weshalb Sachsen-Anhalt auf eine riesige Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben zusteuere. Bis 2020 soll die Differenz auf 765 Millionen Euro anwachsen, rechnet der Landesrechnungshof vor. Präsident Kay Barthel, CDU, schüttelt den Kopf, er nennt die Wünsche des Kenia-Bündnisses von CDU, SPD und Grünen finanzpolitischen Irrsinn:
"Ich bin stückweit fassungslos, was hier momentan gerade passiert. Und dass die Wünsche die man hört, tatsächlich in den Himmel schießen. Ich habe momentan den Eindruck, das einzige was die drei eint, Geld in Größenordnungen auszugeben, was man überhaupt nicht hat. Und das garniert man mit der These, das jetzt mal die Zeit wäre auch Geld auszugeben und mit dem furchtbaren Sparkurs ein Ende zu machen."
Also: Im Herbst dürfte es mit der Ruhe, dem ersten kenianischen Koalitionsfrieden dahin sein.
Doch solange es keinen Streit gibt, geht Ministerpräsident Reiner Haseloff weiter gutgelaunt in den Zoo. Um Tiere zu streicheln, und so tun, als wäre Sachsen-Anhalt DIE Insel der Glückseligen.
"Darf ich mal ans Horn fassen….."
Ehrfürchtig fassen die Abgeordneten das Horn an
Große Augen macht Reiner Haseloff bei Madhiba, der über eine Tonnen schweren Nashorn-Dame. Und weil der Regierungschef ahnt, dass bald schwere Zeiten auf die Koalition zukommen, lässt er seine Begleiter, mehrere Landtagsabgeordnete an das mächtige Horn des Tieres fassen. Fast ehrfürchtig, ja beinahe ängstlich machen sie es. Ganz so wie es ihr Chef, Ministerpräsident Haseloff befiehlt. Denn die Kenia-Koalition kann für Haseloff nicht oft genug besiegelt werden. So als ob immer auch ein Stück Panik mitschwingt, dass ihm doch irgendwann einzelne Koalitionäre abspringen könnten.
"Wer zum ersten Mal im Landtag darf anfassen, das bringt Glück. So."
In die Geschichtsschreibung geht das als der sogenannte Nashornschwur Sachsen-Anhalts ein. Stattgefunden hat er am Horn zu Afrika, genau genommen im Magdeburger Zoo.
"Alle Abgeordneten, das haben ja alle gemacht unter Zeugen, die an das Horn des Nashorns gefasst haben, die haben sich damit nochmals ausdrücklich zur Kenia-Koalition bekannt und wollen die stabil halten."