Keine Schönheit, aber voll mit Geschichte
Eine "ziemlich nüchterne Steinkiste" sei der Kaiserdom in Merseburg, meint unser Autor. Und doch spielten sich dort – im heutigen Sachsen-Anhalt – zentrale Ereignisse des deutschen Mittelalters ab. Eine Ausstellung zum Dom-Jubiläum nimmt Besucher mit auf Zeitreise.
Man will es zuerst kaum glauben, was hier alles geschehen ist: Schon 973 reiste die Delegation eines islamischen Kalifen zu diplomatischen Verhandlungen in die Merseburger Kaiserpfalz. Ein dänischer Thronanwärter wurde an der Saale per Schiedsspruch zum Herrscher ernannt, ein böhmischer zum König gekrönt, und die erste und für lange Zeit einzige Bildnis-Grabplatte der europäischen Kunstgeschichte liegt in der Domvierung und gilt Rudolf von Rheinfelden, der sich im Zuge des Investiturstreites zwischen Kaiser und Papst im späten 11. Jahrhundert zum Gegenkönig Heinrichs IV. ausrufen ließ und nun, majestätisch streng und heiligengleich in Bronze gegossen, wenigstens als Toter Krone, Zepter und Reichsapfel tragen darf, die er in Wirklichkeit nie besessen hat.
Zentralort der Reichspolitik - im Guten wie im Bösen
Merseburg war also im Guten wie Bösen ein Zentralort der Reichspolitik. Am 18. Mai 1015 legte hier Bischof Thietmar den Grundstein des noch heute existierenden Domes – im Auftrag des später samt seiner Gattin Kunigunde heilig gesprochenen Kaisers Heinrich II. Der hielt sich fast 30 Mal in Merseburg auf – öfter als an jedem anderen Ort. Auch bei der Domweihe 1021 war das Kaiserpaaar zugegen.
Die nur sechsjährige Bauzeit scheint freilich, wenn man den heutigen Spuren nachgeht, eine ziemlich nüchterne Steinkiste hinterlassen zu haben, und eine Schönheit wie die rheinischen oder französischen Kathedralen ist die Merseburger Bischofskirche auch nach vielen späteren Umbauten nicht mehr geworden. Dafür prall voll mit Geschichte und Geschichten, darunter auch Kuriositäten wie der, dass noch 1538 der Schöpfer der protestantischen Bilderwelt, Lucas Cranach, für Merseburg einen hoch katholischen Altar liefert, in dessen Heiligengalerie dann eben auch wieder Heinrich II. erscheint, der von den jeweiligen Residenten auf dem Domhügel immer wieder einmal als Schutzpatron gegen landesherrschaftliche Übergriffigkeiten ins Feld geführt wurde – traditionsstolz, wenn auch im Endeffekt kaum erfolgreich.
Ausstellungsstück: ein Reichskreuz mit 150 Edelsteinen
Wie nun integriert man in eine solch ohnehin bunte und aufregende Szenerie eine Ausstellung? Überlässt man die Besucher dem Fluss der Bilder oder sollen die zusätzlich hinzugekommenen Exponate – darunter Prachtstücke wie das geradezu niederschmetternd prunkvolle, mit über 150 Edelsteinen und antiken Gemmen verzierte Reichskreuz aus einem Kärntner Kloster – eher die Kontinuität der Eindrücke aufbrechen? Der Berliner Architekt und Raumdesigner Jürg Steiner, erfahren in der Überformung historischer Räume, hat sich damit auseinandergesetzt:
"Es hebt sich einerseits ab, dadurch dass wir die Objekte ausf Steinen aus der Soester Börde stellen – auf grünlichem Anröchter Dolomit. Das heißt, dass man das Fremdartige des Materials sieht. Gut, das ist natürlich eine schon recht dezente Hinführung, und darum geht's auch durchaus, dass hier Menschen reinkommen werden, die vielleicht gar nicht wahrnehmen werden, dass hier parallel eigentlich noch eine Ausstellung stattfindet. Das macht ja auch dem Reiz dieser Ausstellung aus, dass sie so ambivalent ist. Anderseits, die Besucher, denen daran liegt, der Geschichte, die die Kuratoren erzählen wollen, wirklich Folge zu leisten, die haben die Möglichkeit – die Objekte sind nummeriert, die Orte sind nummeriert, weil die Ausstellung in viele, viele Räume, in Schloss und Domklausur verteilt sind – zu folgen und nachzuvollziehen, wie die Kuratoren es vorgesehen haben."
Romanischer Zustand des Doms optisch wieder hergestellt
Zu diesem Konzept gehört zum Beispiel die Rekonstruktion der ehemals reichbestückten, aber dann eingeschmolzenen und zerstreuten Dom-Schatzkammer mit Hilfe vergleichbarer Parallelstücke, vor allem aber die suggestive Wiedergewinnung älterer Räume des vielfach umgebauten Domes – und hier nun kommt Jürg Steiner ganz prominent ins Spiel:
"Man erkennt ja vom romanischen Dom hier nur noch sehr wenig. Deswegen haben wir in der Vorhalle das Bild eines romanischen Seitenschiffs angebracht. Und man kommt rein und blickt faktisch in einen romanischen Dom, so dass man eine veränderte Optik hat, was die Menschen zum Staunen bringen soll."
Der Lettner wurde am Computer rekonstruiert
Und das tun diese fast gewölbehohen Projektionen, die neben dem romanischen auch den gotischen Zustand des Domes rekonstruieren, durchaus: Wenn man den richtigen Standpunkt einnimmt, wirken die gigantischen Fototapeten fast wie Echträume. Ähnlich geht es einem beim original nur noch in Bruchstücken erhaltenen Lettner, der jetzt virtuell wiedererstanden ist:
"Der Lettner ist am Computer konstruiert und dann auf einem 200 Gramm pro Quadratmeter schweren Gewebe aufgeprintet worden. Das Problem war, dass der Lettner sehr viele Durchlöcherungen hat – durch Fensterungen. Die haben wir dann mit einem Tüll verstärkt, damit das Gewebe nicht so rumlabbert, wenn man da Löcher rein schneidet. Und man kann das wirklich mit Fug und Recht eine Annäherung an die Theatertechnik nennen."
Jürg Steiner, Austellungsarchitekt der Schau zum tausendjährigen Jubiläum des Merseburger Doms. Und da ja das Theatralische in der Kirchenhistorie ohnehin von jeher keine geringe Rolle spielt, kann man konstatieren: Merseburg lohnt als Geschichts- und Kunstort sowieso – und nun, bis November, noch ein wenig mehr.