"Sie fiel fast auf durch ihre Schlichtheit und Bescheidenheit"
Erst war sie Philosophin, dann katholische Nonne. Edith Stein wurde als Jüdin geboren und floh vor den Nationalsozialisten in die Niederlande. 1942 wurde sie dort zusammen mit mehr als 200 anderen Katholiken jüdischer Abstammung verhaftet und später in Auschwitz ermordet. 56 Jahre nach ihrem Tod wurde die Konvertitin heilig gesprochen.
"Ein ganz sehr einfaches Fräulein, und sie fiel fast auf durch ihre Schlichtheit und Bescheidenheit, das muss man wirklich sagen."
So erinnerte sich in den 1980er-Jahren die katholische Ordensschwester Margareta a Corde Jesu an die heilige Edith Stein, die am 12. Oktober 1891 als das jüngste Kind einer Breslauer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren worden war. Edith Stein selbst blickte als Jugendliche wenig bescheiden auf ihr zukünftiges Leben, wie sie in ihren Erinnerungen bekannte.
"Ich lebte in der Überzeugung, dass mir etwas Großes bestimmt sei."
Nach dem Studium der Psychologie, Philosophie, Germanistik und Geschichte in Breslau sowie in Göttingen schloss die hochbegabte junge Frau ihre Promotion mit höchster Auszeichnung ab. 1916 wurde sie in Freiburg Assistentin des bekannten Philosophen Edmund Husserl. Von der jüdischen Religion hatte sie sich abgewandt. Doch auch als atheistische Philosophin fühlte sie sich mit der drängenden Frage nach der Wahrheit und dem Glauben konfrontiert. In einem Brief meinte sie rückblickend:
"Es hat mir immer sehr fern gelegen zu denken, dass Gottes Barmherzigkeit sich an die Grenzen der sichtbaren Kirche binde. Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht."
Eintritt ins Karmelitinnenkloster
Eigene Klarheit gewann sie unverhofft in einer durchwachten Nacht. Zufällig las sie eine Biografie der spanischen Mystikerin Teresa von Avila, die vor 400 Jahren den Orden der Unbeschuhten Karmelitinnen gegründet hat. Wenig später, mit 31 Jahren, ließ sich Edith Stein taufen. Ihr sehnlicher Wunsch, selbst Karmelitin zu werden, ging 1933 in Erfüllung, als ihre akademische Karriere abrupt zu Ende war. Aufgrund der NS-Gesetzgebung verlor sie ihre Stelle als Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik in Münster. Im selben Jahr trat sie in das Kölner Karmelitinnenkloster ein.
1938 floh Edith Stein vor der nationalsozialistischen Verfolgung zu den Karmelitinnen im niederländischen Echt. Fünf Jahre später wurde sie verhaftet, zusammen mit allen anderen Katholiken jüdischer Abstammung in Holland. Die Festnahmen waren die Antwort der Nationalsozialisten auf ein Hirtenwort, in dem die holländischen Bischöfe die Verfolgung der Juden angeprangert hatten.
Am 9. August 1942 wurde Edith Stein in Auschwitz ermordet. Eine Brückenbauerin zwischen Juden und Christen, so wird sie heute manchmal genannt. Denn sie habe als Christin das Schicksal des jüdischen Volkes geteilt. Andererseits hat sie selbst ihrem Tod eine antijüdische Deutung gegeben. In ihrem Testament hatte sie drei Jahre vor ihrer Ermordung festgehalten:
"Ich bitte den Herrn, dass er mein Leben annehmen möchte zur Sühne für den Unglauben des jüdischen Volkes."
Umstrittene Heiligsprechung
Juden und Christen in aller Welt, die sich im christlich-jüdischen Dialog engagierten, waren darum irritiert, als Edith Stein heiliggesprochen wurde. Noch dazu, weil es hieß: sie sei als Märtyrerin gestorben, also für ihren christlichen Glauben. Der bekannte jüdische Religionswissenschaftler Ernst Ludwig Ehrlich aus Basel schrieb:
"An Edith Stein soll wohl gezeigt werden, wie sich endlich eine Kirche mit einer Frau jüdischer Abstammung solidarisiert, eine Solidarität, die eben vorher mit Frauen jüdischer Abstammung nicht stattgefunden hat."
Nach Edith Steins Heiligsprechung spitzte sich die Frage, die Ehrlich schon angestoßen hatte, noch einmal zu:
"Warum haben sich die meisten kirchlichen Würdenträger im Holocaust nicht entschieden vor die Juden gestellt?"
Brief an den Papst
Denn erst im Jahr 2003 wurde bekannt: Trotz ihrer Distanzierung vom Judentum hat Edith Stein 1933 einen eindringlichen Brief an Papst Pius XI. geschrieben, mit dem sie ihn zu einer Enzyklika, einem Lehrschreiben, gegen die Judenverfolgung bewegen wollte.
"Heiliger Vater! Seit Wochen sehen wir in Deutschland Taten geschehen, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit Hohn sprechen. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken dass die Kirche Christi ihre Stimme erhebe."
Auf ihr Schreiben erhielt die damalige Pädagogik-Dozentin nur eine förmliche Antwort, und zwar vom Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII. Keiner der Päpste, die während der NS-Zeit im Amt waren, hat gegen die Judenverfolgung klar Stellung bezogen.