Für immer Miss Marple
Wenige Schauspielerinnen mussten auf den Ruhm so lange warten wie Margaret Rutherford. Aber es hat sich gelohnt: Mit ihrer skurrilen Eigenart gewann sie weltweit die Zuschauerherzen, vor allem durch die Verfilmungen von Agatha Christies Miss Marple-Krimis.
"Miss Jane Marple – Marple? – Marple."
Nicht jeder kann sich vorstellen, dass Margaret Rutherford in ihrem langen Leben irgendetwas anderes gewesen sein könnte als Miss Marple. Dabei waren es nur vier Filme, mit denen sie besonders für das deutsche Publikum zur ultimativen Verkörperung der schrulligen Superdetektivin wurde. Obwohl - Agatha Christie, Miss Marples Schöpferin, war anderer Meinung. Ihr hatte eine dezente, altjüngferliche, schlanke Dame der oberen Mittelklasse vorgeschwebt. Für die Rolle dieser Frau konnte niemand noch ungeeigneter sein als Margaret Rutherford.
"Well, Inspector, how nice to see you again after so long!!"
Diese energische Person, weißhaarig, robust und figürlich an die Pferde erinnernd, die sie in ihrem Alter noch sportlich reitet, diese Frau hat mit der zerbrechlichen, mitunter sogar gebrechlich wirkenden Miss Marple von Agatha Christie nur den gefährlich arbeitenden Grips gemeinsam.
"I suppose I have to admit that my five chins have something to do with it."
Ein Lehrbeispiel für britische Exzentrik
Ihre Falten und ihre fünf Kinne hätten sie wohl so populär gemacht, meinte Margaret Rutherford. Eine echt Rutherfordsche Übertreibung. Unvoreingenommene Beobachter sehen nur ein einziges, allerdings mächtiges Kinn. Es steht ihr. Regisseur George Pollock hatte recht getan, als er just diese Frau zu Miss Marple machte. Denn so wie ihr alter ego war Margaret Rutherford selbst ein Lehrbeispiel für britische Exzentrik.
"Sie war so englisch, wenn sie sich geschnitten hätte, sie hätte wahrscheinlich Tee geblutet", sagte ihr Biograf Andy Merriman, der die ganze, lang verschwiegene Wahrheit über das Leben der Margaret Rutherford niedergeschrieben hatte.
Geboren wurde sie in London am 11. Mai 1892. Sie war zwei, als ihre Mutter Selbstmord beging. Eine Tante nahm die kleine Halbwaise auf, die sich lange für eine Vollwaise hielt. Dass ihr Vater lebte, nämlich in einer psychiatrischen Anstalt; dass er lange vor ihrer Geburt den eigenen Vater im Wahn ermordet hatte und nur durch den Einfluss seiner angesehenen Familie freigekommen war; dass sie selbst "Rutherford" hieß, weil ihre Eltern dieser Familie zuliebe den Namen geändert hatten: Das alles durfte die kleine Margaret nicht wissen. Sie erfuhr es dann trotzdem: Ein Unbekannter brachte der 12-Jährigen Grüße aus der Anstalt - von ihrem Vater.
Kurz darauf brach sie zusammen. Ihre Welt war erschüttert. Für immer.
"Well, I think one only has a breakdown, when one feels that the whole of one’s object for living has gone."
Tragödie als Ursprung der Komödie
Dass der Kampf gegen die Schatten auf ihrer Seele sie zur Schauspielerin machten, ist nicht weit hergeholt.
"My great delight in being an actress is to escape from myself into some other person."
Der eigenen Person entkommen, sich in eine andere verwandeln können, das war ihr so wichtig, dass sie ihr Ziel gegen alle denkbaren Widerstände durchsetzte. Lange musste sie ihre Brötchen als Klavierlehrerin verdienen, ehe sie mit über 30 Jahren am Theater Old Vic Unterricht nehmen durfte, mit 33 bekam sie erste kleine Rollen, mit 37 schaffte sie es ins Ensemble eines Kleinstadttheaters, noch mit 40 musste sie strampeln. Für die jugendliche Liebhaberin kam sie nicht in Frage. Aber eine Gouvernante verkörperte sie in Perfektion.
"As for example 'das Fräulein', the young lady, 'das Mädchen', the young girl. - Put away your diary, Cecily!"
Mit der Rolle der Miss Prism in einer herrlich durchgedrehten Inszenierung von Oscar Wildes "Bunbury" wurde Margaret Rutherford, nunmehr 47, endgültig entdeckt. Und damit ihre mühelos komische Art, die überaus bewegliche, schalkhafte Mimik im großen Gesicht, das nie lachte - wie jeder gute Komiker ging sie damit sparsam um. Und verglich sich mit dem sprichwörtlichen traurigen Clown: Tragödie als Ursprung der Komödie.
"Every great clown has been very near to tragedy, you know. Comedy springs from it, I think."
Als Margaret Rutherford 1972 starb, hatte sie in mehr als 50 Filmen gespielt, einen Oscar bekommen und beste Beliebtheitswerte. Ihre letzten Jahre verschattete die Alzheimer-Krankheit. Halt gab ihr immer die Ehe mit Stringer Davis, dem Mann, der - im Film - auch Miss Marple beisteht. Er galt ebenfalls als Prachtexemplar britischer Exzentrik. Sie müssen ein herrliches Paar gewesen sein.