Aufstieg und Schicksal einer Künstlerkolonie
2014 wurde der Künstlerkolonie Worpswede gedacht - mit einem kritischen Blick auf die vergangenen 125 Jahre. Doch das nächste Jubiläum folgt sogleich: Im Frühjahr jährt sich zum 150. Mal der Geburtstag von Otto Modersohn.
Die große Jubiläumsschau in diesem Jahr war keine kulturtouristische Pflichtübung: denn unter dem Titel "Mythos und Moderne" wurden Aufstieg und Schicksal der Künstlerkolonie Worpswede sehr viel genauer betrachtet als es früher üblich gewesen war. Im Blickfeld standen auch Einzelpersönlichkeiten wie der expressive Architekt Bernhard Hoetger und der Maler Fritz Mackensen, der die Kolonie mit gegründet hatte, während der Nazi-Diktatur die „Nordische Kunsthochschule" leitete, Propagandabilder malte und das Erbe der Zivilisationsrebellen von einst der völkischen Ideologie zuschlug. Kuratorin Katharina Groth:
"Die Ausstellung ‚Mythos und Moderne' im Sommer war für uns eine Chance, in Worpswede einen neuen, kritischen Blick auf die Vergangenheit der letzten 125 Jahre zu werfen. Uns ging es immer darum, Worpswede im Zeitkontext mit dem kulturhistorischen Hintergrund zu betrachten, es auch neu und anders zu sehen."
Weitere Projekte zeichnen sich bereits ab
Eine "nachhaltige" Schau auch für die Ausstellungsmacher, zeichnen sich jetzt doch weitere, vertiefende Projekte ab: wie die Worpsweder Kunst in den zwanziger Jahren und die folgende Indienstnahme durch die Nazis.
Wer in diesen Tagen nach Worpswede kommt, trifft zwar in der "Großen Kunstschau", in Heinrich Vogelers Domizil Barkenhoff und in den Arbeits- und Wohnräumen von dessen Frau Martha nach wie vor auf eine Auswahl markanter Bilder und auf kunsthandwerkliche Arbeiten - aber auch auf viel moderne Kunst aus dem späten 20. Jahrhundert.
Denn die gibt gleich in mehreren Häusern ein Gastspiel. Unter der Überschrift „Input/Output" werden Zeichnungen, Gemälde, Videos und Installationen teils prominenter Künstler gezeigt, die in früheren Jahrzehnten mal Stipendiaten in Worpswede waren: technisch verfremdete Fotos von Katharina Sieverding sind da zu sehen und ironisch-verspielte Blätter des einstigen Fluxus-Künstlers Emmett Williams. Und Nezaket Ekici präsentiert sich per Video in stacheligem Kostüm als leibhaftiger Kaktus, der sich in einen Topf stellt und mit Gießkanne für das eigene Gedeihen sorgt.
Bogen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts
"Input/Output" ist ein weiterer groß angelegter Versuch, in Worpswede den Bogen von der mythisch eingefärbten Kolonie zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts zu schlagen. Das ist offenbar schwierig. Matthias Jäger, Geschäftsführer des örtlichen Museumsverbundes:
"Viele Besucher haben ein relativ fest gefügtes Bild von dem, was sie bei uns zu sehen bekommen. Und das bekommen sie natürlich auch zu sehen: wir zeigen in den Dauerausstellungen die alten Worpsweder, gehen aber immer einen Schritt darüber hinaus, oder zwei oder drei Schritte -und zeigen eben, dass Worpswede noch sehr viel mehr ist als die Gründergeneration."
Worpswede hat nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine kreative Gegenwart. Zeichner, Maler und Bildhauer haben sich hier mit ihren Ateliers angesiedelt. Doch jene Stipendien, um die sich die Schau „Input/Output" mit klangvollen Namen dreht, gibt es in dieser Form in Worpswede schon lange nicht mehr:
"Unsere Ausstellung ‚Input / Output' ist gemeint als ein Plädoyer für die Künstlerförderung in Worpswede. Und der Kontakt zu den Künstlern, die jetzt aus aller Welt zurückkamen, um diese Ausstellung einzurichten, hat noch mal gezeigt, welch wichtiger und vitaler Impuls das ist. Das wird sicherlich eine große Aufgabe für die nächsten Jahre sein, dieser Künstlerförderung - auf welcher Basis auch immer - noch mal ein ganz neues Gewicht zu geben. Da sehe ich eine ganz große Herausforderung für die kommenden Jahre."
Das berühmte Erbe und die lebendige, vielfältige Kunst der Gegenwart müssen an diesem Flecken wieder stärker zueinanderfinden: die überhöhte Vergangenheit muss durch die zeitgenössische Moderne belebt und befragt werden - und umgekehrt. Für alle ehrgeizigen Projekte ist die nun vollendete Neuordnung der Worpsweder Museen in einem Verbund ein wichtiges Fundament: ob „Große Kunstschau" oder "Barkenhoff" - man plant miteinander und stimmt sich ab in dieser Dachorganisation.
Wer von Worpswede spricht, darf das nahe liegenden Fischerhude nicht vergessen: widmet sich hier doch ein mit europäischen Geldern schön ausgebautes Museum dem Werk von Otto Modersohn: auch seinen stimmungsvollen Landschaften, die vor Worpswede im Westfälischen entstanden, und den farblich und motivisch eigenwilligen Bildern im Spätwerk - als der Maler nach dem Tod von Paula Modersohn-Becker nach Fischerhude gezogen war und seinen Stil veränderte. All diese Schaffensphasen werden mit Kabinettstücken anschaulich - und die entstammen weitgehend familiärem Besitz. Antje Modersohn, die Enkelin des Malers:
"Man kann fast sagen, dass diese Sammlung vom Künstler autorisiert worden ist, das ist ihre Stärke. Denn er hat sehr viele Arbeiten, die er als wichtig empfand, nicht verkauft, so dass wir vom Früh- bis zum Spätwerk bedeutende Werke zeigen können, die der Künstler eben selber als wichtig empfand, wie wir wissen. Das ist bei uns eine wirklich authentische Geschichte."
Die Dauerausstellung hat jetzt nach einem Umbau wieder alle Räume dieses Museums in Beschlag genommen - und ist so der wichtigste Ort, wenn im Februar der 150. Geburtstag des Künstlers begangen wird.