Träume und Geisterkunst am Bosporus
Vor zwei Jahren stand die Istanbul Biennale im Zeichen der Proteste rund um den Gezi-Park. Auch das aktuelle Kunstfestival am Bosporus fällt in politisch turbulente Zeiten. Die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev setzt auf die Widerstandskraft der Poesie - mit archetypischen Bildern von Meer, Wellen und verborgenen Strömungen.
"Well we are on salt water, the Bosporus is salt water. It is a simple way of saying Istanbul."
Salzwasser- als Bild für die Stadt Istanbul, erklärt Carolyn Christov-Bakargiev ihr Motto für die diesjährige Istanbuler Biennale:
"Das Salzwasser mit seinen Strömungen unter der glitzernden Oberfläche"
Die großen Lagerhallen am Bosporus neben dem Modern Art Museum, in den letzten Jahren der zentrale Ausstellungsort der Biennale, werden gerade zu Luxusbüros umgebaut. Also hat man aus der Not eine Tugend gemacht und die Ausstellung in Hotelzimmer, Läden oder leer stehende Schulen und Häuser verlegt. Manchmal wird der Ort selbst zum ausgestellten Kunstobjekt.
Und einer der größten Installationen dieser Biennale entzieht sich komplett einer Besichtigung: Weit draußen auf dem Meeresboden hat Pierre Huyghe eine Bühne bauen lassen. Kunst als Feier des Unsichtbaren, als Protest gegen die alltäglichen Bilderfluten von Nachrichten, über Reklametafeln bis zu YouTube und als großes Fragezeichen: Was sehen wir wirklich, wenn wir sehen?
Installationen auf einer Insel im Marmarameer
Aber natürlich stellt die Biennale nicht nur Unsichtbares aus: Auf Büyük-Ada ,der größten der drei Prinzessinneninsel im Marmarameer, sind die Biennale-Künstler in alte Sommervillen eingezogen und haben verlassene Strände entdeckt. Da wo einst Leo Trotzki ein paar Jahre seines Exils mit Schreiben und Fischen verbrachte, ragen lebensgroße Tierplastiken aus dem Wasser: weiße Giraffen, merkwürdige Zwischenwesen. Ein Flusspferd trägt einen Löwen: Bilder wie aus einem traurigen Alptraum hat Adrian Villar Rojas geschaffen. Der historische Trotzki und seine Sekretärin begegnen dem Besucher in der Video-Installation von William Kentridge im alten Grand Hotel der Insel.
Die Film-Sequenzen erinnern an die Marx-Brothers. Man hört den Revolutionär aus den Grammophon-Trichtern bellen. Geschichte als Traumbild:
"Aufwachen ist wie fischen: Da hat man einen großen Fisch an der Angel und im letzten Moment reißt er sich los und verschwindet in der Tiefe. Ich wache auf, ich weiß noch, dass ich einen großartigen Traum hatte aber im nächsten Augenblick entgleitet er mir in die Tiefen des Unterbewußtseins."
Sagt Kentridge beim Artist Talk in der Hotel-Lobby.
Die Geister der Vergangenheit haben sich auch in der großen ehemaligen griechischen Schule in Karaköy auf der europäischen Seite der Stadt eingenistet. Michael Rakowitz hat die alten Klassenzimmer mit Fassadenteilen der alten Stadthäuser vollgestellt. Vitrinen erinnern an die armenischen Architekten, die die Stadt im 19. Jahrhundert prägten.
Mit einem Mal ertönt Gesang im Treppenhaus. Es ist ein armenischer Kirchenchor, der hier halb türkisch, halb armenisch Istanbul besingt. Ein Istanbul, das längst abgesunken ist auf den Meeresboden der Geschichte, untergegangen in Pogromen und Vertreibung.
Turbulenzen am Eröffnungswochenende
Und was ist mit der Gegenwart? Am Biennale-Eröffnungswochenende hat die Polizei die Verlagsräume eines kritischen Fernsehsenders gestürmt. Jeden Tag berichten die Medien von neuen Attentaten auf Sicherheitskräfte, während die Armee weiter gegen die PKK vorgeht. Kaum jemand glaubt noch an Neuwahlen im November. Auch die Istanbuler Künstlerin Iz Öztat nicht. In ihrer Arbeit für die Biennale erzählt sie vom Widerstand gegen Wasserkraftwerke, die ganzen Dörfern am Schwarzen Meer die Lebensgrundlage entziehen.
Öztat macht eine Art naiven Comic-Strip auf traditionellen Kopftüchern daraus:
"This nationalism and what is at the core of it, manifest as the supression of the army or the gouvernment now: It is the same impulse, same reflexes."
Für Öztat liegt das Grundproblem in einer Regierung, die jede Opposition sofort als "anti-türkisch" und Vaterlandsverräter verteufelt. Ihre Kunst setzt auf poetischen Widerstand. Träumen von einer anderen Geschichte, von einer besseren möglichen Zukunft, das können die Besucher der diesjährigen Istanbuler Biennale , vorausgesetzt sie haben noch nicht verlernt das Unsichtbare zu sehen in den alten Gassen unter der glitzernden Meeresoberfläche des Bosporos. Istanbul, die Millionenstadt mit ihrer großen Vergangenheit und der ungewissen Zukunft – Die Biennale macht aus ihr zwei Monate lang die Hauptstadt hellsichtiger Träumer.