Mit Melancholie und Zuversicht
Mehr als sechzig Künstler und Künstlerinnen aus über 30 Ländern präsentiert die diesjährige Istanbul Biennale. Politische Botschaften sucht man dort vergebens. Viele Künstler versuchen sich an Rückschauen, sind dabei aber zuversichtlich.
"iyi bir komsu" - "ein guter Nachbar" lautet das Motto der diesjährigen Istanbul Biennale. Und am Eröffnungswochenende treffen die grundverschiedenen Nachbarschaften der Stadt mit voller Lautstärke aufeinander. Auf einer Vernissage im Rahmen der Biennale im Institute Francaise, dem ehemaligen französischen Konsulat am Taksim Platz, tritt das Künstlerpaar Günesh Terkol und Gug Öztekin auf. Da unterbricht der Gebetsruf der nahen Moschee ihre Performance, aber nach ein paar Minuten beginnen die Musiker über den "Ezaan" zu improvisieren. Neben der Bühne hängt eine überlebensgroße Fahne mit einer Frauengestalt, die wie eine Schutzmantelmadonna weit ihre Arme ausbreitet. Darunter birgt sie Dutzende gestickter Frauenporträts - eine Gemeinschaftsarbeit von Terkol und syrischen Flüchtlingen
"Jede von ihnen hat ihr eigenes Motiv gestickt und gemeinsam fliegt die Frau in eine bessere Zukunft."
Die neuen Nachbarn aus dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Syrien, sind nur eine von vielen Herausforderungen der Millionenmetropole am Bosporus.
Kurator Ingar Dragset: "In Istanbul und der Türkei hat die Bereitschaft, Nachbarn mit einer anderen Identität zu akzeptieren über die letzten Jahre rapide abgenommen. Es gab gewalttätige Zwischenfälle auf den Straßen."
Was Ingar Dragset, einer der beiden Bienale Kuratoren, als gewalttätige Zwischenfälle umschreibt, sind nicht nur der gescheiterte angebliche Militärputsch vor einem Jahr. Immer wieder werden gerade Galerien, Künstler oder auch Transsexuelle oder Schwule in Istanbul von ihren frommen Nachbarn als "unislamisch" angefeindet und angegriffen. Zahlreiche Intellektuelle, Künstler und Journalisten sitzen im Gefängnis. Kann man da das Motto das Dragset und sein Partner Michael Elmgreen für die Ausstellung gewählt haben, anders verstehen, als politisch?
"Aber was bedeutet heutzutage politisch?", antwortet Ingar Dragset mit einer Gegenfrage.
"Dass lokale Künstler nur noch zu Politik befragt werden, schränkt ihre Ausdrücksmöglichkeit von außen ein. Im Augenblick wird die Türkei nur noch als dunkler Ort der Unterdrückung wahrgenommen. Das ganze Land und seine Bewohner werden so dämonisiert."
Gestickte Collagen und berührende Installation
Eindeutige politische Aussagen sucht man auf dieser Biennale vergeblich. Stattdessen blicken viele der internationalen Künstler zurück und zeigen eine alternative Sicht auf die Geschichte. Einer der bekanntesten Teilnehmer der diesjährigen Biennale, der US-Amerikaner Fred Wilson hat im Pera Museum Harem- und Basarszenen aus dem 19. Jahrhundert zusammengetragen, die bis heute unser Bild vom Orient prägen. Unter all den Turbanträgern und verschleierten Haremsdamen entdeckt er das eine schwarze Gesicht irgendwo im Hintergrund und präsentiert es als Bildausschnitt. Auf Kachelwänden hat er wunderschöne typische arabische Kalligrafien montiert. Aber es sind keine Koranverse, sondern die Übersetzung des Slogans: "Black is beautifull.
Ein Stockwerk höher hat die Istanbulerin Gözde Ilken nach alten Familienfotos Collagen gestickt. Auf zerschlissenen Tischdecken und Stoffresten ihrer Großmütter und Tanten räkeln sich die rosafarbenen Umrisse halbnackter Cousins, Onkel, Nachbarn und Schulfreunde in fast zärtlicher Umarmung - Zeugnisse intimer Freundschaften in einer traditionellen Gesellschaft. Ilken ist nicht die einzige türkische Künstlerin, die ihre Kritik an der zunehmend autoritären und nationalistische Kritik in Nostalgie verpackt.
Eine der berührendsten Installationen der Ausstellung stammt von der Künstlergruppe Yogunluk in einem alten Mietshaus in Asmali Mescit, einem Viertel in Beyoglu auf der europäischen Seite. Einzeln werden die Besucher in die stockdunkle Wohnung eingelassen. Von irgendwo kommt Musik. Schritte sind zu hören. Mit einem Mal fällt fahles Licht auf die Möbel. Das Geschirr steht noch auf dem Esstisch, so als wären die Bewohner in aller Hast aufgebrochen. Und vielleicht war es tatsächlich so, denn früher lebten in dieser Nachbarschaft auch viele griechische, armenische und jüdische Istanbuler, bis sie vertrieben wurden.
Gugu Öztekin: "Wir glauben, dass sich die Dinge ändern"
Den Zwiespalt zwischen der Sehnsucht nach Normalität und der Sehnsucht nach individueller Freiheit zeigt das Video-Triptychon von Volkan Aslan. Zwei junge Frauen leben scheinbar in ihren eigenen vier Wänden normalen Alltag: Tee trinken, eine Zigarette drehen. Dann treten sie vor die Tür, die Kamera macht einen Schwenk und mit einem Mal erkennt man, dass sie auf einem Hausboot leben, dass durch den Bosporus davon fährt. Bleiben oder Gehen? Das Künstlerpaar Günesh Terkol und Gugu Öztekin haben sich entschieden. Natürlich haben auch sie Bekannte im Gefängnis, kennen Freunde, die ihre Arbeit verloren haben.
"Natürlich haben wir das die ganze Zeit im Kopf, aber unsere Arbeit ist wie eine Tür, frei zu denken und Sachen selbstbestimmt zu schaffen."
Und fast trotzig fügt Gugu Öztekin hinzu: "Denn wir glauben, dass sich die Dinge ändern werden, und deswegen leben und arbeiten wir hier, weil wir dabei sein wollen, wenn das passiert."
Viele der Bilder und Installation auf der Istanbul Biennale in diesem Jahr stecken vielleicht voller Melancholie, aber die Zuversicht haben die Künstler dahinter noch lange nicht verloren.