Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln. Er berichtet regelmäßig über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien. Feroz publiziert regelmäßig in deutsch- und englischsprachigen Medien.
Warlords mit westlichem Segen
15 Jahre nach dem Beginn der amerikanischen "Operation Enduring Freedom" und später des NATO-Einsatzes in Afghanistan herrscht dort weiterhin Gewalt. Verursacht werde diese auch von jenen brutalen Milizen, die erst dank westlicher Unterstützung mächtig geworden seien, sagt der Journalist Emran Feroz.
Als vor einem Jahr die Hauptstadt der nördlichen Provinz Kunduz kurzzeitig in die Hände der Taliban fiel, war das Rätselraten im Westen groß: Wie konnte es sein, dass Teile der Bevölkerung mit den Taliban sympathisieren und sie offen unterstützen? Erst im Nachhinein wurde deutlich, warum das geschehen ist. Polizei- und Armeeführer und vor allem regierungstreue Milizen hatten sich über die Jahre eigene Machtstrukturen geschaffen und terrorisierten die Bevölkerung. Noch 15 Jahre nach dem Beginn der US-geführten "Operation Enduring Freedom" und dem späteren Nato-Einsatz leidet die Bevölkerung.
Für die Taliban war dies Wasser auf ihren Mühlen. Bereits kurz nach der Einnahme von Kunduz zirkulierten zahlreiche Videos in den sozialen Netzwerken in denen junge Männer lächelnd neben Taliban-Kämpfern posierten.
Der Westen? Nichts gelernt!
Bis heute spielen sich in vielen afghanischen Distrikten ähnliche Szenen ab. Egal, ob in Helmand oder in Uruzgan im Süden des Landes oder im bereits erwähnten Kunduz: Die Taliban sind überall auf dem Vormarsch.
Der Grund für den Erfolg der Aufständischen ist ein Fehler im System, angelegt unter westlicher Federführung in Bonn im Jahr 2001. Um die Taliban zu bekämpfen, wurden damals ausgerechnet jene Kriegsfürsten an Bord geholt, die für die vorhergehende Zerstörung Afghanistans verantwortlich waren. Zehntausende von Zivilisten wurden damals getötet, während die Warlords in ihren Heimatprovinzen ihre persönlichen Minidiktaturen errichteten.
Die damaligen Repressionen waren erst der Grund dafür, warum die Taliban innerhalb kürzester Zeit Afghanistan unter ihrer Kontrolle bringen konnten.
So weit, so bekannt. Doch aus den damaligen Geschehnissen scheint der Westen bis heute nichts lernen zu wollen. Zum 15. Jahrestag des westlichen Militäreinsatzes sind es weiterhin die Kriegsfürsten, die mit westlichem Segen die afghanische Politik dominieren. Hauptverantwortlich dafür ist auch Ex-Präsident Hamid Karzai. Seine Fehler will er jedoch nicht einsehen. "Ich habe sie alle an einem Tisch gebracht und sie unter Kontrolle gehabt", sagte er mir vor einigen Tagen. De facto hatte er sie nur zum persönlichen Machterhalt an den Tisch geholt.
Die Miliz ist praktisch unantastbar
Unter jenen, die Karzai in den letzten Jahren groß gemacht hat, befanden sich Männer wie Abdul Rashid Dostum, Abdul Rab Rasul Sayyaf oder Mohammad Qasim Fahim. Obwohl all ihre Menschenrechtsverbrechen ausreichend dokumentiert sind, brachte man sie nicht nach Den Haag, sondern gab ihnen Macht und Geld in Kabul, jener Stadt, die sie einige Jahre zuvor in Schutt und Asche gelegt hatten.
Wie soll man Afghanistans Warlord-Problem lösen? Diese Frage lässt sich schwer beantworten. Die Kriegsfürsten und ihre Milizen vollständig zu entmachten, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum vorstellbar. Erst vor Kurzem haben Dostums Milizen ein weiteres Mal mehrere Zivilisten verletzt und sogar getötet – und kamen wie erwartet ungeschoren davon. "Die dürfen sowieso machen, was sie wollen", heißt es oft seitens der Bevölkerung.
Dies ist nicht verwunderlich. Da die Miliz dem afghanischen Vizepräsidenten direkt untersteht, ist sie praktisch unantastbar – und ein Teil der Regierung. Solange der Westen solche gravierenden Systemfehler unterstützt, wird sich auch in den nächsten fünfzehn Jahren am Hindukusch nichts ändern.