Yannick Haan, 1986 geboren, Publizist und Politiker. Er ist unter anderem Mitglied in der Netz- und Medienpolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand und Autor des Buches "Gesellschaft im digitalen Wandel – ein Handbuch". Außerdem ist er Vorsitzender der SPD Alexanderplatz und stellvertretender Vorsitzender der SPD Berlin Mitte.
Es ist Zeit für ein neues Netzwerk!
Facebook vernetzt die Menschen – aber Facebook fördere auch Extremismus und Populismus, heißt es oft. Netzpolitiker Yannick Haan fordert daher ein neues, offenes Netzwerk: von allen, für alle und ohne kommerzielle Absichten.
Ich bin der Facebook Community drei Jahre nach ihrer Gründung beigetreten. Seitdem ist das Netzwerk für mich ein täglicher Begleiter geworden. Wenn ich aufwache, greife ich gleich zum Handy und schaue, was sich in der Nacht getan hat. Will ich Freunden schreiben, mache ich das oftmals über den Messenger von Facebook. Veröffentliche ich etwas auf meiner Pinnwand, verfolge ich in den kommenden Stunden fortlaufend die Reaktionen meiner Freunde.
Ich gebe es nur ungern zu, aber ein Leben ohne Facebook ist für mich nur sehr schwer vorstellbar. Obwohl ich das Jugendalter schon lange überschritten habe, speist sich mein Selbstwertgefühl immer noch teilweise über die "Gefällt mir"-Angaben innerhalb des Netzwerks.
Anfangs war ich ein euphorischer Nutzer. Was mich privat beschäftigte, habe ich auf Facebook mit meinen, damals noch wenigen, Freunden geteilt. "Bringe die Welt näher zusammen" war lange Zeit der Slogan von Facebook. Daran habe ich lange, zu lange geglaubt. Ich war davon überzeugt, dass die neuen Kommunikationsmöglichkeiten uns in eine neue demokratische Blütezeit führen würden. Aus jetziger Perspektive ein naiver Gedanke.
Ein gefährlicher Zustand für die Demokratie
Heute starre ich mit einer gewissen Fassungslosigkeit auf die verheerenden Folgen von Facebook für unsere Demokratie. Die algorithmische Sortierung von Inhalten, die vor allem auf Interaktion basiert, ist eine Aufforderung zum Extremismus. Schrille und extreme Meinungen, die oftmals viel Widerspruch und Zustimmung erhalten, werden mit Aufmerksamkeit im sozialen Netzwerk belohnt. Nachdenkliche, besonnene, abwägende Gedanken haben auf Facebook im Jahr 2019 keinen Platz mehr. Dabei wären es gerade solche Gedanken, die unsere aufgewühlte Demokratie heute bräuchte. Die Architektur des sozialen Netzwerkes drängt den politischen Rand in die Mitte der Debatte. Für unsere Demokratie ist das ein gefährlicher Zustand.
Mit Facebook haben wir uns außerdem zum ersten Mal einen in Gänze durchkommerzialisierten öffentlichen Debattenraum geschaffen. Ein Raum, der vor allem von Designern und Programmierern im Silicon Valley geschaffen wurde, um uns möglichst viel Werbung schalten zu können und den wir als Politiker viel zu lange mit zu viel Wohlwollen betrachtet haben. Die Möglichkeiten der Technologie bestimmen, wie wir Debatten führen. Wir haben die Digitalisierung auf Autopiloten geschaltet und gehofft, dass es schon irgendwie gut gehen wird. Das müssen wir ändern.
Ein öffentlich-rechtliches soziales Netzwerk
Nach 15 Jahren habe ich den Glauben an Facebook verloren. Zu sehr hat das soziale Netzwerk unsere politische Debatte vergiftet, zu sehr hat das soziale Netzwerk allein auf die eigene Rendite geblickt und die gesellschaftlichen Konsequenzen des eigenen Handelns komplett außer Acht gelassen. Trotzdem glaube ich auch heute, nach 15 Jahren, an das Konzept der sozialen Netzwerke. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass soziale Netzwerke unsere Gesellschaft und unsere Demokratie verbessern können.
Warum gründen wir daher nicht das erste öffentlich-rechtliche soziale Netzwerk? Ein offenes soziales Netzwerk, das von uns allen gestaltet wird. Eines, bei dem die gesellschaftlichen vor den Kapitalinteressen stehen. Ein soziales Netzwerk, das den Interessen unserer Demokratie dient und ihnen nicht diametral gegenübersteht. Es ist Zeit für das Ende von Facebook. Es ist Zeit für ein neues, für ein anderes soziales Netzwerk.