Erkundungen auf dem Kontinent Frau
Das Thema Mann/Frau hat Frank Wedekind Zeit seines Lebens beschäftigt, sagt der Kurator der Ausstellung "Wedekinds Welt", Manfred Mittermayer. Mit "Lulu" habe der Dramatiker einen zentralen Mythos der Weiblichkeit geschaffen.
Ute Welty: "Im Streit zwischen Mann und Frau erscheint der Mann immer roh, die Frau immer gemein."
Dieter Kassel: Was Dir immer so einfällt!
Welty: Ich wünschte, das wäre mir eingefallen, aber es ist ein Zitat, ein Zitat von Frank Wedekind, ein Autor, ein Künstler, der in unzähligen Genres zu Hause war und der eine Lebensgeschichte hatte, die ihresgleichen sucht. Vor genau 150 Jahren wird Wedekind in Hannover geboren, und heute, zu seinem 150. Geburtstag wird eine Ausstellung im Münchner Theatermuseum eröffnet. "Wedekinds Welt – Theater, Eros, Provokation" heißt diese Ausstellung, und ihr Kurator ist Manfred Mittermayer. Guten Tag!
Manfred Mittermayer: Guten Tag!
Kassel: War das, Herr Mittermayer, ein typischer Wedekind, den wir da gerade gehört haben, dieses Zitat?
Mittermayer: Ja, würde ich schon sagen. Wedekind hat sich ja Zeit seines Lebens mit diesem Thema auseinandergesetzt, Mann – Frau. Die Bilder, die es von beiden Geschlechtern gibt, vor allem aus der Perspektive des Mannes natürlich, der versucht, da einen (Anmerkung der Redaktion: Wort unverständlich) Kontinent zu erfahren sozusagen. Also, es gibt in der Ausstellung ein Zitat, das heißt, "Ich suche nicht X, ich suche das Weib." Und das ist ein zentraler Ausgangspunkt für vieles, das er dann geschrieben hat.
Bis heute kann sich jede junge Generation an Frühlingserwachen abarbeiten
Welty: Das Zitat von eben, das stammt aus "Franziska", aber am bekanntesten sind Wedekinds Theaterstücke "Frühlingserwachen" und "Lulu", die heute zum festen Repertoire der deutschsprachigen Bühnen gehören. Insgesamt hat Wedekind 20 Theaterstücke geschrieben. Warum konzentriert man sich nur auf die beiden genannten, also vor allen Dingen "Frühlingserwachen" und "Lulu"?
Mittermayer: Das war nicht immer so. Zeit seines Lebens war zum Beispiel ein anderes Stück, "Der Kammersänger" das meistinszenierte. Aber Wedekind ist es auf der einen Seite gelungen, einen der ganz zentralen Mythen des 20. Jahrhunderts in der Darstellung von Weiblichkeit zu schaffen, das ist eben Lulu. Nicht nur ihm, sondern auch später dann im Film mit G.W. Pabst und Louise Brooks, und natürlich auch in der Oper mit Alban Berg. Und "Frühlingserwachen" ist ein Stück, ich glaube, da kann bis heute jede Generation immer wieder Probleme abarbeiten und projizieren, die wir alle haben einfach bei der Eingliederung in die Gesellschaft, beim Erwachsenwerden, bei der ersten Begegnung mit dem anderen Geschlecht, und natürlich bei allen Erfahrungen, die man macht mit den Vorgaben, die die Gesellschaft bereithält. Und das ist eben "Frühlingserwachen".
Kassel: Nun war natürlich Wedekind ein Mann des Wortes, in jedem Sinne des Wortes. Das macht es einem nicht leicht, ihn im Museum darzustellen. Was sieht man denn alles in Ihrer Ausstellung?
Versuch, Wedekinds Ästhetik in der Ausstellung zu vermitteln
Mittermayer: Wir haben versucht, genau die Ästhetik, die für ihn ja zentral ist, und die nicht nur mit dem Wort zu tun hatte, umzusetzen. Wedekind hat den Zirkus geliebt, das war bei ihm als antibürgerlicher Gestus zu verstehen, aber auch gegen den Naturalismus, gegen die damals herrschende Theatertradition. Und das durchzieht die Ausstellung. Es gibt bei ihm auch immer wieder die Lust, bestimmte Dinge zu verfremden, grotesk zueinander in Konstellation zu bringen, zu montieren also. Auch diese Verfahrensweise wird in der Ausstellung umgesetzt. Das hat fast was Chronikhaftes.
Und dann hat der Gestalter, Peter Karlhuber, der ja selber Bühnenbildner ist und der wirklich immer Räume inszeniert bei seinen Ausstellungen, versucht, bestimmte Situationen herzustellen, die bei Wedekind Ausgangspunkt eben für seine Szenarien sind, zum Beispiel Abrichtungsinstanzen wie die Schule, der Turnsaal, der Sport. Wedekind hat ja ein sehr körperliches Theater geschrieben. Nicht nur das Wort, sondern auch der Tanz war wichtig, die Zurichtung der Körper, die Wendung gegen den Geist, und in all ihrer Problematik natürlich auch dargestellt. Und das hat Karlhuber mit viel Ironie natürlich, mit viel Humor, was ja für Wedekind auch wichtig war, versucht, im Theatermuseum zu inszenieren.
Kassel: Ich bleibe mal ein bisschen stur bei Wedekind als Mann des Wortes und mache das an was Bestimmtem fest: Im Nachlass von Frank Wedekind befinden sich ja ungefähr 3.500 Briefe, von denen bis heute ganz viele noch gar nicht veröffentlicht wurden. Die spielen bestimmt zum Teil auch eine Rolle in der Ausstellung, und soweit Sie diese Briefe kennen. Ich frage mich bei so einem Mann, dessen Werk ich kenne, diese Briefe nun weniger: Bemüht er sich in diesen Briefen auch stets um die Pointe, um den klugen Spruch, oder erlebt man da auch mal einen anderen Wedekind?
"Dieser Hang zur Pointe war für uns wichtig"
Mittermayer: Na ja, die Briefe spielen in der Ausstellung eine geringere Rolle. Es ist ja eine Ausstellung, die sich wirklich aufs Theater konzentriert in einem Theatermuseum, und wir haben dann, soweit das möglich war, das wahrgenommen. Aber im Zentrum steht tatsächlich das, was er im Theater ausgesprochen hat, was zum Teil ja auch mit seinen eigenen Aussagen identisch ist, wo er sich aber im Theater auch wieder davon distanziert. Also dieser Hang zur Pointe war für uns wichtig, wir haben ihn aber vor allem aus den Theatertexten bezogen, weniger aus den Briefen.
Welty: Haben Sie einen Lieblingstheatertext von Wedekind?
Mittermayer: Ja, ich glaube, das interessanteste Stück ist dann doch "Lulu", einfach aufgrund der komplizierten Situation von Anfang an. Er konnte es nicht drucken in der Urfassung. Diese Urfassung wurde erst 1988 dann von Peter Zadek mit Susanne Lothar aufgeführt. Und er hat das Stück immer wieder umschreiben müssen, er hat zwei Teile draus gemacht, "Die Büchse der Pandora" auf der einen Seite, dann "Der Erdgeist". Daraus ist eine Oper entstanden, daraus ist ein Film entstanden, und daraus sind noch mehrere Filme entstanden übrigens, das hat ja auch dann die Nadja Tiller gespielt und die Anne Bennent und die Jessica Schwarz.
Das ist eine so spannende und so komplexe Rezeptionsgeschichte vor allem und Wirkungsgeschichte auch, in die Alltagsbildlichkeit hinein, dass Sie den Namen Lulu ja dann begegnen in Filmen, die nicht mehr direkt mit Wedekind zu tun haben, wie von Paul Auster "Lulu on the Bridge" oder zum Beispiel "Something Wild", ich weiß nicht, wer sich noch an den Film erinnert damals von Jonathan Demme. Das ist unglaublich spannend, wie hier aus einer Figur etwas wird, worin unglaublich viele Bilder und unglaublich viele auch Diskurse im Umgang mit Sexualität und Weiblichkeit hineinmünden können.
Welty: Manfred Mittermayer, Kurator der Ausstellung "Wedekinds Welt – Theater, Eros, Provokation". Die Ausstellung wird heute, an Wedekinds 150. Geburtstag, im Münchener Theatermuseum eröffnet. Zu sehen ist sie dann bis zum 11. Januar des kommenden Jahres.
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