Der Querdenker ist der "Untertan" von heute
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Für die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler existiert das von Heinrich Mann beschriebene Untertanenprinzip auch heute noch. Nur dass der moderne Untertan sich seine Autoritäten selber aussucht.
Nach unten treten, nach oben buckeln: Dieses Prinzip hat der vor 150 Jahren geborene Heinrich Mann in seinem Roman "Der Untertan" für die obrigkeitsstaatliche deutsche Gesellschaft der Kaiserzeit beschrieben. Aber es ist offenbar immer noch aktuell.
Sich Aufspielen und Unterwerfen
Die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler sieht jedenfalls die typische Mischung aus "sich Aufspielen" einerseits und Unterwürfigkeit auf der anderen Seite auch heute noch am Werk, etwa in der Querdenker-Bewegung.
"Da könnte man ja zunächst meinen, die sind doch das Gegenteil von Untertanen", sagt Münkler. "Aber in dieser Weise, sich aufzuspielen und zu sagen, ich verfüge letzten Endes über das, was da zu denken ist – da sind sie dem Untertanen nicht so ganz unähnlich."
Auch den Unterwerfungswillen - den zweiten Aspekt des Untertanenprinzips - finde man öfter: "Und zwar bei Leuten, die sich dann eben entscheiden, wem sie anhängen wollen und wem sie folgen wollen. Es gibt schon verstärkte Folgebereitschaft, auch bei Leuten, die so aussehen, als wollten sie gar niemandem folgen", so die Literaturwissenschaftlerin auch mit Blick auf die vegane Bewegung.
"Man kann das ganz gut damit erklären, dass das Menschen sind, die in Konversionsnarrativen leben. Das heißt, sie haben diese Vorstellung, einmal in ihrem Leben haben sie sich für das Richtige entschieden. Vorher haben sie im Zustand der Sünde gelebt, dann treten sie ein in den Zustand des Heils und danach muss ihr Leben komplett anders und besser sein."
Keine stabilen Identifikationen mehr
Diese Art des Denkens treffe man in hochgradig individualisierten Gesellschaften sehr häufig an, meint Münkler. "Also, man will sich von niemandem was vorschreiben lassen, aber man entscheidet sich selbst für etwas und dem folgt man dann bedingungslos."
Etwas hat sich Münkler zufolge gegenüber der wilhelminischen Zeit aber doch verändert: Während es damals "stabile Untertanenschaften", also etwa eine stabile Identifikation mit dem Kaiser gegeben habe, würden heute die Führungspersonen häufig ausgewechselt. "Man folgt eine Zeitlang Attila Hildmann oder auch Nena, und dann folgt man nach einiger Zeit wieder jemand anderem, und das kann das genaue Gegenteil sein."
(uko)