150 Jahre Königgrätz

Das Europa der Nationalstaaten scheitert

Das Denkmal für die Gefallenen der österreichischen "Batterie der Toten" in der Schlacht von Königgrätz im tschechischen Chlum, aufgenommen 2016
Das Denkmal für die Gefallenen der österreichischen "Batterie der Toten" in der Schlacht von Königgrätz im tschechischen Chlum © picture alliance / dpa / Michael Heitmann
Von Wolfgang Herles |
Vor 150 Jahren siegte nicht nur Preußen über Österreich und dessen deutsche Verbündete: In Königgrätz wurde der Liberalismus vernichtet. Und mit ihm die Idee eines multikulturellen europäischen Reiches der Regionen. Die damaligen fatalen Folgen sollte bedenken, wer heute wieder die Nationalstaaten stärken will, meint der Publizist Wolfgang Herles.
Stellen wir uns vor, die Schlacht von Königgrätz am 3. Juli vor 150 Jahren hätte es nicht gegeben. Kein Triumph Bismarcks, keine Schmach Österreichs. Es hätte nicht Preußen über Österreich und dessen deutsche Verbündete gesiegt: ein Sieg, der Militarismus und Nationalismus das Tor öffnete und damit Europa ins Verderben stürzte.
Das Deutsche Reich wäre friedlich entstanden, Hohenzollern und Habsburg Seit an Seit. In der Mitte Europas eine dezentrale Union. Berlin und Wien. Ein multikulturelles Reich lange vor der Europäischen Union. Zwei Weltkriege wären Europa womöglich erspart geblieben, Nationalismus und Kommunismus, die beiden Geiseln des zwanzigsten Jahrhunderts leichter zu bändigen gewesen. Natürlich nur ein Gedankenspiel. Es zielt aber auf die Malaise unserer Gegenwart.

Verheerende Folgen für Europa

Denn auf dem Schlachtfeld in Böhmen kam es anders. Mit dem Triumph in Königgrätz schwang sich Preußen zur Großmacht auf, und das Deutsche Reich entstand unter seiner Knute. Es kam "mit einem fatalen Geburtsfehler auf die Welt", so Gordon Craig, der große schottische Historiker. Denn nun unterwarfen sich die Liberalen in Berlin der Vorherrschaft des Militärs, das keiner parlamentarischen Kontrolle unterstand. Mit verheerenden Folgen. Das Militär zwang der Regierung Kriegspläne auf, die dann 1914 unausweichlich in den Ersten Weltkrieg führten. Der Niederlage folgten wirtschaftliche Not und der Aufstieg Adolf Hitlers.
Zunächst aber bedeutete Königgrätz den Hinauswurf Österreichs aus der deutschen Geschichte. Die geschwächte Donaumonarchie war nicht mehr imstande, ihrer früheren Rolle als Garant der Ordnung in Osteuropa gerecht zu werden. Dort loderten nun nationale Leidenschaften. So, wie auch im wilhelminischen Reich der Nationalismus wucherte.

Europa braucht Regionen, keine Nationalstaaten

Königgrätz hat zur Vereinigung Deutschlands geführt und zugleich Europa gespalten. Heute ist das Projekt der europäischen Einigung als Antwort auf die Katastrophen der Geschichte erneut ins Stocken geraten. Es ist der Mangel an demokratischer Teilhabe, der die Europäische Union schwächt. Und es ist der wieder wachsende Nationalismus.
Wer Europa heute neu denken will, darf es nicht um jeden Preis zusammenzwingen. Er muss es vom Kopf auf die Füße stellen. Europas Kopf ist Brüssel, seine Füße sind die Regionen. Mit der immer nur versprochenen Subsidiarität muss jetzt ernst gemacht werden.
Die Regionen sind den Bürgern am nächsten. Sie sind aber zu klein für die alten Machtspiele der Nationalstaaten. Europa tanzt nach Deutschlands Pfeife: Auch dies war ein Argument der Brexit-Wähler. Zuerst Schotte, Wallone oder Katalane unter einem starken europäischen Dach sein zu wollen, statt Brite, Belgier oder Spanier, schadet Europa nicht. Ein Europa eng vernetzter Regionen kann gelingen. Ein "Europa der Vaterländer" oder gar ein europäischer Supernationalstaat wird scheitern.

Wolfgang Herles, Jahrgang 1950, ist Publizist und Fernsehjournalist. Er moderierte mehr als vier Jahrzehnte lang politische Magazine, Talkshows und das Kulturmagazin "Aspekte" im ZDF und Bayerischen Rundfunk. Zuvor studierte er Neuere deutsche Literatur, Geschichte und Psychologie in München und besuchte nach seiner Promotion die Deutsche Journalistenschule. 2015 erschien sein Buch "Die Gefallsüchtigen. Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik" (Knaus). Herles lebt in München und Berlin.

Der Journalist und Schriftsteller Wolfgang Herles posiert am 14.03.2015 auf der Buchmesse Leipzig
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