150 Jahre Öl von der Waterkant

Von Claudia Thoma |
Mit einem Bauern aus Dithmarschen fing es an. Beim Graben eines Brunnens stieß er auf ölhaltige Sande. Der Beginn des schleswig-holsteinischen Ölzeitalters. 1870 dann wurde die Heider Ölkreide entdeckt, in Kreide gebundenes zähflüssiges Öl.
Schon in der Pionierphase begannen Chemiker aus der zähen Masse Leuchtpetroleum zu produzieren. Und in den 1930er Jahren stießen Techniker in über 2000 Metern Tiefe in den Salzstöcken auf flüssiges Öl. Der frühe Ölfund hat die Menschen der Bauernregion geprägt und die Landschaft verändert. Raffinerien und Förderanlagen breiteten sich aus. Arbeitsplätze entstanden.

Das Meer, das Land. Ausgedehntes flaches Marschland, der Nordsee abgetrotzter fruchtbarer Boden.
Vor 150 Jahren weideten die Kühe und Schafe des Dithmarscher Bauern Peter Reimers auf seinem Acker. Wie immer. Und wie immer brauchten sie Wasser.
Bauer Reimers wollte fürs liebe Vieh einen Brunnen ausheben. Und während er grub und auf Wasser hoffte, stieß er auf ölhaltige Sande. Im Frühjahr 1856 war das, es geschah bei Heide-Hemmingstedt und drei Jahre vor den Aufsehen erregenden Ölfunden in Pennsylvania.
1856. In Holstein begann das Erdölzeitalter. Die Dithmarscher Blätter meldeten es ein paar Tage später.

"Heide, den 3. April. Vor kurzem machte der Landmann Peter Reimers auf seinem in der Nähe Hemmingstedts gelegenen Lande den Versuch Wasser zu finden, und er war so glücklich eine Entdeckung zu machen, die muthmaaßlich sehr gewinnreich für ihn werden wird; er fand nemlich daselbst unter 20 Fuß Sand … ein Asphaltlager. Sobald längere Bohren herbeigeschafft sind, werden weitere Nachforschungen angestellt werden, Proben dieses Asphalts sind nach verschiedenen Orten zur näheren Untersuchungen versandt."

Ob der Bauer, der das Ölzeitalter in Dithmarschen zufällig heraufbeschwor, dadurch reich wurde, ist mehr als unwahrscheinlich, sagt Hinrich Dürkop. Er hat eine Chronik über die Erdölwerke Heide-Hemmingstedt verfasst.

"Bauer Reimer hat nichts davon gehabt. Bauer Reimers hat das Land gegeben, seinen Namen gegeben, hat auch später als er klapperig wurde, viele Grundstücksansprüche seiner Frau übertragen, die dann auch später noch mal davon gelebt hat und verkauft hat."

13 verschiedene Unternehmen sollen es gewesen sein, die bis zum Ersten Weltkrieg auf dem Gelände nach dem braunen Gold suchten. Getrieben von der Hoffnung auf einen großen Ölsee zu treffen. Die Hoffnung war da, der Ölsegen nicht.

Ein Lehrer hatte 1856 beim ölhaltigen stinkenden Sand den richtigen Riecher. Er brachte eine Handvoll des Schlamms zu einem befreundeten Apotheker in Heide. Dieser wiederum kannte den Geologen und Chemiker Ludwig Meyn. Der Experte für Gesteins- und Bodenkunde war damals Privatdozent an der Universität in Kiel und neugierig. Mit einem schlichten Handbohrer ausgerüstet, machte sich Meyn auf den Weg nach Dithmarschen. Auf dem Acker von Bauer Reimers setzte er zur ersten Erdölbohrung überhaupt an.

"Er kam zwölf Meter tief, das erhoffte flüssige Öl fand er indessen nicht."

Der Geologe und Bodenkundler Meyn bohrte an der richtigen Stelle, aber der Erfolg blieb ihm versagt. Erst 80 Jahre später sollte dort die Bohrung "Holstein 2" auf flüssiges Öl stoßen.

Das Ölsandlager rund um Heide in Dithmarschen war so groß, dass Meyn zusammen mit zwei Sponsoren weitere Bohrungen ansetze. Die Kühe und Schafe grasten ungerührt neben den ersten Ölbohrarbeiten weiter. Und der erste Schacht- und Abbauturm und dem Feld von Bauer Reimers stand noch einsam in der Landschaft.
Ludwig Meyn, der rührige Geologe und Bodenkundler, stieß "nur" auf bitumhaltigen Sand und Ölkreide. Vom Dänischen König erhielt er Jahre später das Privileg zur Ausbeute bitumhaltigen Sandes.

Gemeinsam mit den Heider Sponsoren wagte Ludwig Meyn schließlich sogar den Bau einer Fabrik. (Das erste Erdölwerk war gegründet.) 1858 wurde die Arbeit aufgenommen. Noch in der Pionierphase, bis etwa 1862, experimentierte der Chemiker Ludwig Meyn mit der übel riechenden, zähflüssigen Masse. Aus dem Ölsand wurde in dieser Zeit Asphalt und schweres Maschinenöl gewonnen. Eines seiner ersten Produkte war Petroleum für Lampen, so genanntes Solaröl, helles Leuchtöl, das die üblichen rusenden, stinkenden Tranfunseln und Talklichter verdrängte. Derek Mösche, Pressesprecher bei RWE-Dea:

"Und er hat dann aber auch Zusätze zur Lackierung von Särgen hergestellt. Also er hatte ne breite Palette von Produkten. Der eigentlich Run auf das Produkt setze erst ein, als das Automobil sich durchsetzte."

Die zunehmende Petroleumeinfuhr aus Amerika aber wurde immer stärker zur Konkurrenz. Die Nachfrage nach Leuchtöl stieg aber weiter. Der findige Chemiker Meyn gab nicht auf. Mit weiteren Tiefbohrungen stieß er 1865 auf brennbare, ölhaltige Kreidevorkommen. Geschätzter Ölkreidevorrat: 15 Millionen Tonnen. Für 100 Jahre sollte die Kreide ausreichen, so schätzte man damals. Im platten Dithmarschen begannen die ersten Versuche im Bergbau.

Ab 1920, und zunächst nur für kurze Zeit, bauten Arbeiter im nördlichsten deutschen Stollen die ölgetränkten Kreidebrocken ab. Eine harte, aber gut bezahlte Arbeit.

Dürkop: "Wer sein Geld regelmäßig bekam, hatte seine Möglichkeit sich ein Haus zu schaffen, ne Familie zu gründen und seine Kinder in die Schule zu schicken. Und ein Fall ist belegt, wo die Erdölgesellschaften dann tatsächlich mal Geld locker machten, damit der Lehrer ein eigenes Schulgebäude bekam."

Bergbau im Bauernland Dithmarschen. Der hölzerne Förderturm wurde zum neuen Wahrzeichen. Bis 1926. Dann wurde der Ölkreide-Abbau bei Heide-Hemmingstedt wieder eingestellt. Etwa 12.000 Tonnen Ölkreide waren bis dahin gefördert worden, aber die Öl-Konkurrenz aus Amerika war stärker.
Dann, in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, wurde die Bergbauarbeit fortgesetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurde jeder Tropfen Öl gebraucht.

Mösche: "In einem Stollensystem von zwölf Kilometern Länge haben die dort im klassischen Bergbau diese Ölkreide abgebaut und in Loren raustransportiert. Und diese zähflüssige Masse wurde dort rausgelöst."

Rund 160.000 Tonnen Ölkreide wurden gewonnen.

"Und man hatte dann am Boden dieser Stollen auch Abflussrinnen für flüssiges Öl drin. Und dieses Öl wurde dann mit Schöpfkellen händisch abgeschöpft und weiter verarbeitet."

Mit dem Kriegsende kam auch das Aus für den aufwendigen, aber wenig gewinnbringenden Abbau von Ölkreide. Der wirkliche Durchbruch in der schleswig-holsteinischen Ölfördergeschichte kam, als man 1935 in 2400 Metern Tiefe auf flüssiges Öl stieß. Grund auch für die Reichsmarine ins Ölgeschäft einzusteigen.

Fünf Jahre später wurden Spitzenfördermengen von über 200.000 Tonnen erreicht. Die Öllagerstätte Heide wurde zum drittgrößten Erdölfeld Deutschlands. Und jeder der durch Dithmarschen fuhr, konnte sehen, dass die "Hölle" brannte. Die Bohrprogramme wurden verstärkt, der Verarbeitungsbetrieb ausgebaut. Die Fremdkörper im Dithmarscher Bauernland wurden größer. Mehrere hundert Arbeitskräfte sollten an das Ölförderwerk gebunden werden.

"Da gab es dann Programme gegen den allgemeinen Strom der Abwanderung, der zu der Zeit herrschte in die großen Betriebe von Hamburg, dann aber auch die Werften mit ihrem Stahlbau."

Es war nicht einfach der Abwanderung entgegenzuwirken. Im Hamburger Raum waren die Löhne fast doppelt so hoch. Und Fachkräfte für Mineralöl, die gab es an der schleswig-holsteinischen Westküste kaum.

"Die eigentliche Ausbildung hat dort aber nicht stattgefunden. Man hat versucht Fachkräfte aus anderen Betrieben, Bergbau, Kalibetrieb in Niedersachsen zum Beispiel dorthin zu locken."

Die Bedeutung des Ölwerks stieg, als bekannt wurde, dass die Ölvorkommnisse an der Nordsee wirtschaftlich nutzbarer als gedacht waren. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze galten als sicher. Gearbeitet wurde rund um die Uhr.

"Das war ein großer Anreiz auch aus den umliegenden Orten seine Wohnung zu suchen, um auf dem Werksgelände dann seinen sicheren Arbeitsplatz zu finden."

Mehr und mehr setzte sich der Begriff "Deaner" durch. Ganze Familienclans verdingten sich bei der Raffinerie, identifizierten sich mit dem Werk. Die DEA baute Siedlungen für die Mitarbeiter. Hans Kühn, Produktionsleiter in der Raffinerie Heide.

"Wir sind mit der größte Arbeitgeber in Dithmarschen, in dieser strukturschwachen Region, viele Haushalte hängen dran. Die Mitarbeiter fühlen sich dem Standort verbunden."

Die Identifikation mit dem Werk ging soweit, dass die Bevölkerung mitgeholfen hat, das Werk in Gang zu halten, sagt Hinrich Dürkop.

"Denn es lieferte ja Wärme, die Leute kriegten auch Naturalien. Gut man konnte da keine Kohlen mit nach Hause nehmen, aber in Thermosflaschen wurde dann gerne mal Benzin abgefüllt und mit nach Hause genommen."

1955 heißt es lapidar im Hamburger Anzeiger.

"’Bauern und Bohrtürme, nicht mehr ungewöhnlich’". Die einstige freie Bauernrepublik - das schleswig-holsteinische Dithmarschen - und das flüssige Gold aus den Tiefen der Nordsee. Sie pflegen eine unaufgeregte Koexistenz."

Mit voranschreitender Technik nach dem zweiten Weltkrieg, waren umfangreiche seismische Untersuchungen des Bodens möglich. Vor allem für die Flanken der vielen Salzstöcke interessierten sich die Geologen. Anfang der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde auch in Ostholstein nach Öl gebohrt. Auf einer Länge von 65 Kilometern reihte sich eine Lagerstätte an die andere. Das Offshore-Ölfeld Schwedeneck-See vor dem Kurort Damp folgte. Im Jahr 2000 wurde die Stätte geschlossen.

Mösche: "Weil halt der Wasseranteil immer höher geworden war, und der Ölanteil immer niedriger. Wir hatten zu der Zeit einen sehr niedrigen Ölpreis, 1998 von 10 Dollar pro Barrel Öl. Daraufhin hat man dann beschlossen die Produktion einzustellen und rückzubauen."

Bis 2000 wurden allein in Ostholstein 17 Millionen Tonnen Erdöl gefördert. Mit dem Ende der Ölproduktion im Osten wurden die Ölreserven vor der Küste Dithmarschens wieder interessant, vor allem vor Büsum, im dortigen Salzstock, vermuteten Geologen Öl. Gewinnbringend war das Ölvorkommen dort aber nicht. Erst mit der Bohrung Mittelplate stieß man auf wirtschaftlich nutzbare Mengen. Der Bau der Bohrinsel Mittelplate folgte.

Seit über 20 Jahren wird mitten aus der Nordsee, von der Bohrinsel Mittelplate im Nationalpark schleswig-holsteinisches Wattenmeer Öl gefördert. Mittelplate ist die größte deutsche Erdöllagerstätte. Mit 21 Bohrungen wurden bisher zehn Millionen Tonnen Öl gefördert. In der Raffinerie Heide wird heute vor allem das Nordseeöl verarbeitet. Hans Kühn.

"Das ist ein sehr schweres schwefelreiches Rohöl. Und dieses schwere Rohöl, das einen hohen Rückstandsanteil hat, wird dann im Wesentlichen durch den Hydrocracker der Raffinerie in leichte Komponenten, vor allem in Kraftstoffe, wie Dieselkraftstoff oder Ottokraftstoff und Düsentreibstoff umgewandelt."

Mit moderner Bohrtechnik wird das Nordseeöl seit sieben Jahren aus dem östlichen Teil der Lagerstätte auch von Land aus gefördert. Diese Förderbohrungen gehören zu den längsten der Welt. Sie führen direkt durch den Büsumer Salzstock. Vor zwei Jahren wurde von der Bohrinsel Mittelplate aus eine Pipeline direkt zu der Aufbereitungsanlage, der Landstation Dieksand, in Friedrichskoog gelegt. Durch Edelstahlleitungen wird das Öl wetterunabhängig von Mittelplate an Land gepumpt. Derek Mösche:

"Hier kommt das Öl an, das dickere Rohr ist die Ölpipeline, und das kleinere die Wasserpipeline, denn wir trennen ja hier in der Landstation das Wasser vom Öl. Pumpen dann über die dünnere Leitung das Wasser zurück zur Mittelplate, um es dann in den Untergrund reinzupressen."

Die Kapazität der Förderstation an Land musste verdoppelt werden, seit das Öl ausschließlich durch die Pipeline gepumpt und nicht mehr wie früher mit Schiffen transportiert wird. Fördermeister Klaus Wiese kann vom Überwachungsraum aus die Förderungen auf Mittelplate kontrollieren.

"Wir haben von hier aus die Möglichkeit zu sehen, was wir von der Mittelplate zurzeit an Öl geschickt, verpump, bekommen und was die Kollegen uns an Gas schicken. Die Gesamtmenge, die liegt bei 250 Tonnen pro Stunde."

Das Ölvorkommen in der Nordsee ist größer als man anfangs vermutete. Auch im niedersächsischen Teil des Nationalparks Wattenmeers rechnet man mit Reserven von 15 Millionen Kubikmeter Erdöl. Vor allem die Erdgasförderung sei drastisch gestiegen.

"65 Prozent der deutschen Reserven der liegen hier vor der Westküste Schleswig-Holsteins."

Der hohe Ölpreis führt dazu, dass mit Hilfe neuer Verfahren auch die alten Ölfelder in Ostholstein wieder interessant werden. Auch die unwirtschaftlich gewordene Ölkreideförderung gewinnt heute erneut an Bedeutung. Forschungsbohrungen in Dithmarschen sollen jetzt Aufschluss bringen in diese weltweit einzigartigen Öl-Kreidelagerstätten.
Just dort, wo vor 151 Jahren Bauer Peter Reimers nach Wasser für seine Tiere buddelte und auf ölhaltigen Sand stieß.