Kristin Ross: "Luxus für alle. Die politische Gedankenwelt der Pariser Kommune"
Aus dem Englischen übersetzt von Felix Kurz
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2021
208 Seiten, 20 Euro
Luxus für alle!
05:10 Minuten
Die Pariser Kommune, heute vor 150 Jahren ausgerufen, war ein Versuch gelebter Utopie – der genau 72 Tage Bestand hatte. In ihrem Essay "Luxus für alle" betrachtet die US-amerikanische Romanistin Kristin Ross die Gedankenwelt der Kommunarden.
Vom 18. März bis zum 28. Mai 1871 dauerte die "Pariser Kommune". 72 Tage lang. 72 Tage kurz. 72 Tage, in denen gelebt, geträumt, verändert wurde: "Das Komitee wird zu unserer Erneuerung beitragen, zur Herstellung eines gemeinschaftlichen Luxus, zum Glanz der Zukunft und der Weltrepublik."
Wow, welch Worte: "Zum Glanz der Zukunft und der Weltrepublik", "Luxus für alle"... So, wie hier im Manifest der Künstlervereinigung aus dem April 1871, war der Moment zum Träumen in der Pariser Kommune für einen kurzen Moment offen.
"Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht. Die Internationale erkämpft das Menschenrecht." Auch dieser Text vom wohl bekanntesten Lied der Arbeiterbewegung stammt von einem Kommunarden. Es sind aber weniger diese Nachwirkungen der Kommune, die die Romanistin Kristin Ross in ihrem Essay "Luxus für alle" interessieren. Sie ist sich sicher: "Taten bringen Träume und Ideen hervor, nicht umgekehrt."
Taten statt Worte
Und daher hält sie es bei der Interpretation mit Karl Marx. Für den war das Bedeutende der Pariser Kommune nicht die Verwirklichung irgendwelcher vorgefertigter Theorien, sondern "ihr eigenes arbeitendes Dasein": "Mit anderen Worten, die schlichte Tatsache, dass es sie gegeben hatte, mitsamt all ihren Grenzen und Widersprüchen."
In Paris also wurde gemacht und nicht gedacht. Die Schulen für alle geöffnet, kostenlos und konfessionslos, die Mieten erlassen.
"Die Kommune glich insofern einem Laboratorium für politische Erfindungen, die ad hoc improvisiert oder aus früheren, je nach Bedarf umformulierten Szenarien und Sätzen zusammenmontiert wurden, gespeist aus Sehnsüchten, die auf den Volksversammlungen aufkamen. Wichtiger als irgendwelche von den Kommunarden beschlossenen Gesetze war schlicht die Art und Weise, wie ihre tägliche Praxis verfestigte Hierarchien und Trennungen aufbrach – allem voran die Trennung zwischen manueller und künstlerischer oder geistiger Arbeit."
Gemeinschaft neu organisieren
Trotzdem ist es gerade das Denken der Pariser Kommune, das Denken, das sich in ihrer Praxis, in den Handlungen der Kommunarden zeigte, was Kristin Ross bis heute zu wenig beachtet findet. Der Versuch, Gemeinschaft zu organisieren, jenseits bürgerlich-parlamentarischer aber auch staatssozialistischer Vorstellungen.
"Was Denker wie Morris, Marx, Reclus, Kropotkin und andere im Gefolge der Kommune ungeachtet politischer Selbstetikettierungen miteinander verband …, war eine Vorstellung von gesellschaftlicher Umwälzung, die auf eine umfassende freiwillige Föderation lokaler, freier Assoziationen zielt. In diesem Sinne können wir von der Entwicklung einer neuen, auf kommunaler Autonomie und dem lockeren Zusammenschluss solcher autonomer Einheiten beruhenden Vorstellung der Revolution sprechen."
Hier und heute anders leben
Diese Vorstellung, diese Welt der Pariser Kommune von 1871 sei uns heute viel näher als die "Welt unserer Eltern", behauptet Ross. Eine Art Modell für eine "Globalisierung von unten": "Unser Schlachtruf lautet nicht länger: 'Lang lebe die Republik!' Er lautet: 'Lang lebe die Weltrepublik!'"
Und weiter: "Es scheint mir insofern durchaus nachvollziehbar, wenn heute jüngere Leute auf der Suche nach Freiräumen und anderen Lebensweisen, befasst mit den Möglichkeiten und Grenzen, in einer zwar krisenhaften, aber weiterhin wachsenden kapitalistischen Weltökonomie hier und heute anders zu leben, sich für die Debatten geflüchteter Kommunarden und ihrer Weggefährten im Schweizer Jura der 1870er-Jahre interessieren... für Debatten darüber, wie dezentrale Gemeinschaften entstehen, sich entfalten und solidarisch 'föderieren' könnten."
So verfolgt Ross in ihrem Essay nicht nur die Spur, die die Kommune bei sozialistischen Theoretikern wie William Morris, Karl Marx und Pjotr Kropotkin hinterlassen hat. Sie sucht den Anschluss ans heute. Das Denken der Kommune, das helfen soll, "hier und heute anders zu leben".