Wie haben die vier Politiker angefangen? Was waren ihre Pläne, Hoffnungen - und ihre ersten Schritte im Bundestag? Das können Sie in der Sendung von Martin Hartwig "Wo, bitte, geht's zur Abstimmung" vom 5.10.2003 nachhören: Audio Player
Im Maschinenraum der Politik
31:58 Minuten
Was machen 16 Jahre Abgeordnetendasein mit einem Politiker? Unser Autor Martin Hartwig hat 2003 vier Bundestagsneulinge begleitet und sie jetzt, 15 Jahre später, wieder getroffen. Was ist aus ihnen geworden?
Markus Kurth, Petra Heß, Georg Nüßlein und Angelika Brunkhorst - als sie 2002 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag gewählt wurden, waren sie aufstrebende und junge oder doch zumindest relativ junge Politiker. Wo stehen sie heute, 16 Jahre später? Wie haben sie Politik gemacht - und was hat die Politik mit ihnen gemacht? Die ganz große Karriere hat keiner der vier hingelegt, auch wenn Nüßlein etwa stellvertretender Fraktionschef der CSU ist. Sie sind das geworden, was man freundlich Fachpolitiker nennt. Oder etwas spöttischer: Hinterbänkler. Arbeitsbienen im Politikbetrieb.
"Ich weiß zum Beispiel, dass Frank Plasberg immer Bärbel Höhn eingeladen hat, weil er sie aus Nordrhein-Westfalen kannte, vom WDR", sagt Markus Kurth. "Und wenn es um Sozialpolitik ging, dann habe ich vom Büro Bärbel Höhn oder von ihr selbst dann die Bitte bekommen, doch mal ein kleines Briefing vorzubereiten. Dann wurde sie – wenn man so will – gebrieft, gecoacht und hat dann das vertreten, was ich da genauso hätte vertreten können. Aber ich war einfach nicht auf dem Radar von Frank Plasberg. Nach dem Motto: Markus Kurth – wer ist das?"
(Parlamentspräsident): Das Wort hat die Kollegin Heß!
"Also, ich verstehe mich in erster Linie als Vertreterin des Wahlkreises. Ich verstehe mich wirklich als Mittler und als Bindeglied zwischen den Wählern und dem Bund. Da fallen unwahrscheinlich vielfältige Aufgaben und Bereiche an, und um die hab ich mich jetzt zu kümmern. Erst in zweiter Linie verstehe ich mich als Bundestagsabgeordnete hier in Berlin."
Petra Heß, die Kümmerin. Eine echte Wahlkreispolitikerin. Mit 41,8 Prozent Erststimmen holte sie 2002 das Direktmandat im Wahlkreis 192, Gotha-Ilm-Kreis. Von Anfang an interessierte sie sich weniger für die großen Linien der Politik in Berlin als für die konkrete Arbeit vor Ort. Darin hat die gelernte Kindergärtnerin viel investiert.
Jeder Wahlkampf kostete sie so viel wie ein Kleinwagen
Egal, ob Wahlkampf, Geburtstagsbesuch oder Teilnahme an der Jahresvollversammlung der Kaninchenzüchter – immer hatte sie ein Geschenk dabei und immer hatte sie auch eigenes Geld in die Hand genommen. Ungefähre Dimension: pro Wahlkampf ein Kleinwagen. Gedankt wurde es ihr nicht. 2009 verlor sie das Direktmandat an den Konkurrenten von der CDU und damit auch ihren Sitz im Bundestag. Denn Platz vier auf der Landesliste reicht in Thüringen für eine SPD-Kandidatin nicht. In ihrem Wahlkreis wurde sie zuletzt gar nur dritte Kraft.
"Enttäuschend war für mich die letzte Wahl 2017 und zwar das Ergebnis in meiner eigenen Heimatgemeinde. Ich bin ein Mensch... bei mir konnten die Leute abends um elf klingeln und konnten sagen: Petra, ich habe da ein Problem. Kannst du uns dabei behilflich sein? Und dann hab ich mir das angehört und hab mir das aufgeschrieben und dann bin ich losmarschiert und hab das gemacht und hab mich gekümmert. Und dann gibt es einen AfD-Kandidaten, der noch nie in der Gemeinde war, den kein Mensch kennt, der kein Plakat von sich hängen hatte, sondern es waren miese Sprüche, die wirklich dann als Plakatsprüche da hingen. Und der kriegt mehr Stimmen als ich."
"Es hinterlässt Wunden"
18,6 Prozent der Erststimmen hatte Petra Heß bei den Wahlen vom September 2017 noch bekommen. Weniger als die Hälfte von 2002. Und dabei schnitt sie sogar noch deutlich besser ab als ihre Partei – wie sie ohnehin immer die persönlich besten Ergebnisse der SPD in Thüringen holte: quasi die Einäugige unter den Blinden. Einen sicheren Listenplatz hat ihr das aber nicht eingebracht. Bei der letzten Wahl musste sie einer deutlich jüngeren Genossin weichen, die gerade mal fünf Jahre in der Partei ist.
"Es hinterlässt Wunden bei denjenigen, von denen man eigentlich erwartet, vorausgesetzt hat, dass man auch ein Stück weit Rückendeckung bekommt, bei denen hinterlässt's Wunden. Da sage ich: Da vergesse ich auch nicht! Bei den betreffenden Kandidaten? Hätte ich vielleicht genauso versucht. Da muss ich sagen: Das ist halt so. Das ist entschieden, und diejenigen sitzen jetzt im Parlament. Es tut nur manchmal so ein bisschen weh, wenn ich dann auf der Zuschauertribüne sitze und denke dann: Mit meinem Ergebnis hätte ich es eigentlich verdient, da unten zu sitzen."
Gänzlich unverschuldet ist das Ausscheiden aber auch nicht. Unter anderem durch die Annahme einer 3000-Euro-Spende des Waffenfabrikanten Heckler und Koch, was ihr als Mitglied des Verteidigungsausschusses besonders übel genommen wurde. Genauso wie die öffentliche Kritik an der Errichtung eines Asylbewerberheimes in ihrem Heimatort Crawinkel: Zu dieser Zeit war sie immerhin Ausländerbeauftragte des Landes.
In der Parteilinken, vor allem bei den Jusos, hat sie sich damit wenig Freunde gemacht, wobei sie als Mitglied des konservativen Seeheimer Kreises dort ohnehin unter Beobachtung stand.
Seeheimerin wider Willen
"Ich muss sagen, ich wollte nie in irgendeinen Kreis, weder zur Parlamentarischen Linken, noch zu den Netzwerkern, noch zu den Seeheimern. Ich habe aber dann gemerkt in meiner aktiven Zeit als Bundestagsabgeordneter, dass man nirgendwo dazugehört, dass man irgendwo dann nur noch so eine Einzelkämpferin ist. Und das wollte ich nicht. Peter Struck hat mir dann gesagt: Du bist Verteidigerin, du musst zu den Seeheimern gehen. Ich habe dort gemerkt: Ich bin da nicht mit allem einverstanden gewesen. Aber inhaltlich, fachlich hat man da gut miteinander gearbeitet."
Die Mitgliedschaft im Verteidungsausschuss des Bundestags war kein Wunschposten, aber sie widmete sich der Aufgabe dann auf ihre Art.
"Um das so zu machen, dass es das ich selber auch erfasse, begreife, dass ich weiß, was ich tue, habe ich mich entschlossen, Reserveoffizier bei der Bundeswehr zu werden. Das habe ich über die ganzen Jahre durchgezogen. In einer Zeit, wo andere Sommerpause hatten, bin ich zur Bundeswehr und habe dort gearbeitet."
Bis heute nimmt Petra Heß, inzwischen Fregattenkapitän der Reserve, an Übungen teil. Die Bundeswehr dankte es ihr insofern, als sie sie nach dem Ende ihrer Zeit als Ausländerbeauftragte mehrere Monate in einer Reserveübung quasi zwischenbeschäftigte. Als sie 2009 aus dem Bundestag ausschied, gab es allerdings keinen Plan B. Es ist für Abgeordnete ohnehin nicht ganz einfach, draußen wieder Fuß zu fassen.
"Da kommt auch ein Gefühl auf: Was machst du jetzt beruflich? Wo steigst du jetzt ein? Was machst du? Wechsel in die Wirtschaft? Die Diskussion draußen in der Bevölkerung: Das ist Verrat! Jetzt Lobbyarbeit oder sonst was, ist Verrat. Wenn man irgendwo in eine öffentliche Verwaltung geht und sich bewirbt, dann heißt es: Die ist versorgt worden! Da steht man erst mal da und sagt: Was machst du jetzt?"
Seit September 2016 ist Petra Heß bei der Thüringer Landesvertretung in Berlin beschäftigt und dort zuständig für Sicherheitspolitik, Außenpolitik und Sport. Kein Versorgungsposten, wie sie betont, sondern eine echte Aufgabe.
Parteipolitisch ist sie nur noch auf Ortsebene aktiv, dort, wo 1990 alles anfing.
(Bundestagspräsident): Nächster Redner Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU Fraktion.
Münsterhausen ist gar nicht mal so fesch, wie es die urgesunden Strukturdaten von Bayerisch Schwaben nahelegen. Der Strukturwandel der Landwirtschaft und der Durchgangsverkehr haben in dem knapp 2000 Einwohner starken, langgezogenen Straßendorf Spuren hinterlassen.
Georg Nüßleins Haus macht allerdings was her. Ein großer kastenförmiger Bau. Er wirkt wie eine Villa, ist aber ein altes Elektrizitätswerk, hörbar am Brummen der Wasserturbine, das hier das Begleitgeräusch des Lebens ist und für den Abgeordneten eine gar nicht mal so kleine Einnahmequelle - nachzulesen in der amtlichen Veröffentlichung der Nebeneinkünfte der Parlamentarier.
Nüßlein bemerkt das Brummen kaum noch. Er setzt sich entspannt an den großen Esstisch im riesigen Wohnzimmer, das voll, aber nicht übervoll ist mit Stilmöbeln, Antiquitäten und Accessoires des vorletzten Jahrhunderts. Dazwischen immer wieder Jagdtrophäen - selbst geschossen. Eine sehr geräumige und durchaus stilsichere Mischung aus Industrie- und Heimatmuseum, Jagdzimmer und Bürgersalon.
"Ich habe das nie verleugnet, dass ich aus ganz normalen, einfachen, ländlichen Verhältnissen stamme, wo das Miteinander einfach ganz groß geschrieben ist. Ich wär ja auch kein Stadtmensch. Für mich ist Berlin etwas, was von Montag bis Freitag einigermaßen erträglich ist, wenn man vollzeitbeschäftigt ist. Freizeit in Berlin zu verbringen, ist für mich eine Katastrophe."
Mehr Politiker geht nicht
Nüßlein ist 49 Jahre alt und in der fünften Legislaturperiode Bundestagsabgeordneter. 2002 hatte er sich in einer Kampfkandidatur gegen einen parteiinternen Konkurrenten durchgesetzt und den alten Wahlbezirk von Theo Waigel übernommen. Das war das letzte Mal, dass Nüßlein sich um seinen Einzug in den Bundestag Sorgen machen musste. Noch ist die CSU hier eine sichere Bank. ...
"Ich komme aus der Wirtschaft. Und für mich war am Anfang des Allerschlimmste die Wiederholung, die Redundanz in der Politik. Das war für mich ganz, ganz schlimm und extrem gewöhnungsbedürftig am Anfang, dass Dinge so lange gepredigt werden, bis der Letzte dann, wenn es glückt, dann auch noch das akzeptiert und mitzieht. Und das hat mich am Anfang richtig belastet, da bin ich mittlerweile ein bisschen gelassener, glaube ich. Ich sehe halt, dass es so sein muss, dass man die Leute mitnehmen muss. Dass Organisieren von Mehrheiten eine ganz, ganz schwierige Aufgabe ist."
Als Mann der Wirtschaft hat sich der frühere Banker und studierte Jurist schon vor 15 Jahren bezeichnet, und schon damals stimmte das nur bedingt, denn seine Parteikarriere ist deutlich länger und signifikanter. Der Jahrgangsbeste des Simpert-Kraemer-Gymnasiums Krumbach war schon mit 15 bei der Jungen Union aktiv und trat mit 18 der CSU bei. Seit 1996 besetzte er verschiedenste Positionen und Ämter in der Jungen Union und im Landkreis, bis heute ist er parallel zum Bundestagsmandat auch im Kreistag von Günzburg. Mehr Politik und ein geraderer Aufstieg gehen praktisch gar nicht.
"Ich fühle mich durchaus mittlerweile als Berufspolitiker, weil ich weiß, dass man erstens nach so langer Zeit eine Menge an Fachwissen, das man früher hatte und es sich auch weiterentwickelt hat, heute nicht mehr hat. Ich würde mich in meinem alten Beruf erst mal ein bisschen schwerer tun. Zweitens bin ich mir nicht sicher, ob man als Abgeordneter nach so langer Zeit noch resozialisierbar ist. Es ist schon eine andere Welt, eine eigene Welt. Und darum sage ich: Der Kontakt zu dem, was normalerweise so um einen rum passiert, ist ganz entscheidend, weil man relativ leicht Gefahr läuft und das Abgeordnetendasein mit normalen Leben verwechselt. Das darf man nicht tun."
Über 2000 Gesetzentwürfe hat er inzwischen abgestimmt
Wie viele neue Abgeordnete konnte sich Nüßlein den Ausschuss, in den er bestellt wurde, zunächst nicht aussuchen. Von Haus aus eher aufs Regionale orientiert, landete er - quasi mit Defensivauftrag - erst im Europaausschuss, dann Umwelt, jetzt Gesundheit.
"Da hatte ich erstmal einen Heidenrespekt davor, muss ich ganz ehrlich sagen, weil: Wenn du aus der Wirtschaftspolitik kommst, dann sind hundert Millionen richtig Geld. In der Gesundheitspolitik lachen die dich aus, wenn du nicht über Milliarden diskutierst. Trotzdem habe ich relativ schnell gelernt, was die Dimension dieses Themas ist, und mach das heute mit großer Freude."
Nüßleins Hauptgeschäft ist das berühmte Bohren der dicken Bretter. Vorstöße und Formulierungen müssen abgestimmt werden, mit den eigenen Leuten, dem Koalitionspartner und, und, und...
"Politik geht nie allein. Aber es gibt natürlich Dinge, die einem wichtig sind. Für mich gehört diese Gegenstimme zum Lissabon-Vertrag dazu. Da bin ich heute noch stolz drauf, weil meine Einschätzung richtig war. Diese historische Chance, eine andere Aufstellung zu wählen. Wie falsch es war, diese Chance verstreichen zu lassen mit einem Vertrag, der maximal die Kunst des Machbaren war. Es gibt ansonsten eine ganze Menge an Dingen, an denen ich immer wieder mitgewirkt habe: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz hab ich begleitet von der ersten Stunde bis heute. Da kenne ich auch jede Verästelung. Ich habe in den letzten Jahren im Gesundheitsbereich, glaube ich, sehr, sehr viel Beitrag dazu geleistet, dass das Thema Pflege anders akzentuiert ist, als es davor noch war."
Über gut 2000 Gesetze und Gesetzentwürfe hat Georg Nüßlein seit 2002 abgestimmt und über 500 mal davon namentlich. Als letztlich treues Mitglied der Regierungsfraktion hat er meist mit "Ja" votiert. Irgendwie schafft er es, gleichzeitig mitzumachen und auf Distanz zum Berliner System zu gehen.
Nüßlein hat einen Stargast für den örtlichen Wahlkampf organisiert. Wolfgang Bosbach - "alte CDU", wie Nüßlein sagt. Und die liebe man hier. Vor dem Auftritt macht der frühere, langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete noch bei seinem alten CSU-Kollegen Station.
Es leuchtet sofort ein, warum Bosbach über Jahre der meist eingeladene Politiker in den Talkshows war. Er kriegt den Mund auf, hat immer eine Anekdote oder ein Bonmot am Start und kann praktisch im Alleingang beliebig große Runden bespielen. Bosbach erzählt von den schönen Bonner Jahren. als er Heimschläfer war.
Man bespricht den Gesundheitszustand von Kollegen - wie geht es Michi Glos? - die Tücken von Auftritten in Orten, die man nicht kennt und manchmal nicht findet und sinniert mit deutlicher Trauer in der Stimme - quasi Höchststrafe - über den verheerenden Zustand der SPD.
Was man vor dem "Aber" halt so sagt
Die Veranstaltung später am Abend wird ein voller Erfolg. Der Saal liebt die alte CDU tatsächlich. Bosbach hält völlig frei eine unterhaltsame Rede, die, etwas schärfer vorgetragen, durchaus auch bei der AfD durchgehen könnte. Er will stolz auf sein Land sein dürfen, kein Verharren in nationaler Schuld, kein Bleiberecht für kriminelle Ausländer, keine Zuwanderung in die Sozialsysteme, es mit der Diversität nicht übertreiben und 'man muss auch sagen dürfen'... Das alles aber eingebettet in unterhaltsame Geschichten, und einer grundsätzlichen Wertschätzung anderer Kulturen und vor allem einer grundpositiven Einschätzung der Lage in Deutschland. Was man vor dem "Aber" halt so sagt.
Am Ende dann Nationalhymne und Bayernlied. Gut gelaufen.
(Bundestagspräsident): Das Wort hat die Abgeordnete Brunkhorst.
Wohlde und eine Hausnummer - eine etwas merkwürdig anmutende Adresse. Es ist nicht ganz klar, ob das jetzt ein Ort ist oder ein Straßenname. Immerhin weiß der Taxifahrer wohin. Denkt er zumindest. Nach einer kleinen Irrfahrt durch verdorrte Maisfelder und Pferdekoppeln schimmert das rotes Dach eines Bauernhauses durch die Bäume. Wir sind da und werden lautstark empfangen.
Das Wort vom "Rückzug aus der Politik" wird hier gut illustriert. Mit dem Ruhestand ist das dann allerdings so eine Sache - bei drei Hunden.
"Ich werde im Oktober, also in Kürze werde ich 63. Und ich habe zwischendurch natürlich auch noch mal versucht, vielleicht noch mal beruflich irgendwas zu machen, aber es ist einfach schwierig in dem Alter. Und es kam dazu, dass 2014 auch wirklich, wenn Sie irgendwo verlauten lassen haben, dass Sie FDP sind und immer noch viel machen – das war schon ein ziemliches Knock-out-Kriterium. Das muss man einfach mal sagen. Und da sind einem auch keine Freunde aus der Wirtschaft, so aus den Verbänden zu Hilfe geeilt haben gesagt: Wir haben immer ganz gut zusammengearbeitet!"
Angelika Brunkhorst war 2003 als Nachrückerin für die FDP in den Bundestag eingezogen. Zehn Jahre später, nach dem Wahldesaster von 2013, musste sie wieder gehen.
"Ich persönlich habe damit gerechnet, dass es ja einen Denkzettel gibt. Dass wir sicherlich nicht das gute Ergebnis von 2009 wieder bekommen würden. Aber dass es dann unter fünf Prozent geht, das war dann schon eine Überraschung."
Die Trennung von der Partei war nicht im Guten
Die frühere Abgeordnete sitzt auf der Terrasse des alten Bauernhauses und blinzelt in die Sonne. Die Hunde haben sich beruhigt und liegen zufrieden im Schatten der Büsche. Den Hof, den ihr Mann noch vor einigen Jahren bewirtschaftete, wurde, mal abgesehen von dem Tennisplatz, der bei den Ställen vor sich hin moost, in den letzten Jahren gründlich saniert. Zeit war ja genug.
"In der Anfangszeit hat mich das jetzt gar nicht so sehr angegriffen. Ich habe gesagt: Das ist hier so. Was müssen wir jetzt tun, um wirklich diesen Einschnitt wieder wettzumachen? Ich habe natürlich auch an die Partei gedacht. Das hat es vorher noch nie gegeben: FDP im Bundestag raus. Und ich fühlte mich dann auch früher einfach auch taff genug zu sagen: Na gut, jetzt muss man die Lage irgendwie analysieren, und dann muss man gucken, wie man das parteiintern auch vor allen Dingen dann wieder auf die Füße kriegt."
Die Partei kam wieder auf die Füße, allerdings ohne Angelika Brunkhorst, die vor 2016 alle Parteiämter niedergelegt hat. Und das nicht im Guten…
"Es hat sehr, sehr viel mit parteiinterner Kommunikation zu tun. Und für mich ist immer wichtig gewesen, dass man über alle Entscheidungen, die anstehen, dass man darüber redet. Vor allen Dingen, wenn man sich alle naselang trifft - und nicht bestimmte Dinge aus der Zeitung erfährt zum Beispiel."
Angelika Brunkhorst führt die Probleme, die sie hatte, nicht darauf zurück, dass sie es als Frau im Männerclub FDP schwerer hatte, Rückhalt oder Verankerung in der eigenen Partei zu finden. Andererseits:
"Die Politikstile sind immer noch sehr unterschiedlich, finde ich. Das fängt dabei an, dass man als Frau immer versucht, doch mehr das Gespräch zu suchen also auch auf der Arbeitsebene. Und Männer sagen: Ach, das machen wir heute Abend mal so nebenbei. Und dann sind irgendwo Pflöcke eingeschlagen, wo man sich dann sagt: 'Ja, wann hatten wir das auf der Tagesordnung?'. 'Ja, das haben wir da schon mal vorbesprochen, das müssen wir hier jetzt eigentlich nur noch fertigmachen.' Und damit hatte ich zwischendurch schon auch ein Problem. Das ist so ein Übergehen."
(Sitzungspräsident): Das Wort hat der Abgeordnete Kurth.
Das Paul-Löbe-Haus in Berlin-Mitte ist eines der riesigen Parlamentsgebäude, in dessen 1000 Büros die Abgeordneten ihren Alltagsgeschäften nachgehen: unter anderem der Ausschussarbeit. In 21 Beratungssälen und auf acht Stockwerken wird angehört, diskutiert und abgestimmt.
Im großen "Europasaal" tagt der Ausschuss für Arbeit und Soziales. Gegenstand ist ein Antrag der FDP. 'Bürokratieentlastung für Unternehmen schaffen – Fälligkeitsdatum der Sozialversicherungsbeiträge verschieben'. Ob es den Unternehmen wirklich nützt, wenn man den Zeitpunkt der Abführung etwa der Krankenversicherung verschiebt und ob das ausgedachte Verfahren eine wirkliche Vereinfachung ist, bezweifeln die anderen Fraktionen.
Viele geben sich wenig Mühe zu verbergen, dass sie den ganzen Vorstoß für überflüssig halten. So werden Fragen an die eingeladenen Experten mit einem 'Dann frag ich mal…' eingeleitet - etwa so, wie man einem Kind signalisiert, dass man halbherzig ein Spiel mitmacht. Keine Sternstunde des Parlaments. Die Zuhörer: vor allem Praktikanten und eine Handvoll Interessenvertreter. Gefragt wird nach Rangfolge, also nach der Stärke der Fraktionen - heißt: Die Grünen sind als letzte dran!
"Smartphones in den Sitzungen sind ein Graus"
Kaum jemand hört noch zu, der Saal hat ohnehin schon begonnen, sich zu leeren. Viele sind mit ihren Handys beschäftigt. Eine der auffälligeren Veränderungen auch im Parlament.
"Smartphones in den Sitzungen sind ein Graus, ein Übel, aber eins, dem ich mich selber auch – zugegebenermaßen – nicht ganz entziehen kann", sagt Markus Kurth. "Es gibt auch nichts Blöderes, als selbst einen Wortbeitrag in einer Fraktionssitzung zu machen und dann auf einen Hügelmeer von gebeugten Rücken blicken zu müssen, wo alle dann auf ihren Smartphones herumwischen und man das Gefühl hat, es hört kaum jemand zu."
Markus Kurth ist eine feste Größe im Parlament geworden, hat einen sicheren Listenplatz und ist seit 2013 rentenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.
Mit fünf Legislaturperioden gehört er zu den alten Hasen. Nur 70 Abgeordnete des Bundestages sind schon länger dabei, in der eigenen Fraktion nur zehn.
"Also, man kann schon nach acht bis zehn Jahren deutliche Entlastung in der Hinsicht feststellen, dass man die Abläufe gut kennt. Man ist natürlich auch, wenn man ein einigermaßen gut anerkannter Fachpolitiker ist, wie ich es bin, auch relativ gut vernetzt. Man hat einen gewissen Beziehungsapparat oder ein Beziehungsgeflecht zu Journalisten aufgebaut. Man kann eine ganze Menge Arbeit dann auch einfach routiniert erledigen."
Potenzieller Koalitionssprengmeister
Dabei stand er zunächst unter erheblichem Druck: Er stimmte als einer von sechs Grünen gegen Hartz IV und hatte von der Presse schon das Label als Abweichler und potenzieller Koalitionssprengmeister bekommen. So kann man auch eine bundesweit bekannte politische Figur werden. Doch dann wechselte er recht schnell in die weiten Ebenen der Fachpolitik, zumal die rot-grüne Regierung ja dann auch Geschichte war.
"In der Opposition hat man ja eh nicht so große Möglichkeiten, jetzt breit in Talkshows oder in die Tagesschau zu kommen. Es sei denn, man vertritt steile Thesen und setzt Provokationen als Stilmittel ein. Aber das hat zu mir nicht so richtig gepasst, und ich hatte ein sehr komplexes Fachgebiet die ersten elf Jahre im Bundestag: nämlich die Behinderten-Politik - zusätzlich zur Sozialpolitik hatte ich das. Und Behinderten-Politik oder Politik für Menschen mit Behinderung eignet sich nicht wirklich für die Schlagzeilen, ist aber ein Feld, wo man fachpolitisch sich wirklich reinhängen muss und dann auch konkret was für Menschen bewirken kann."
Markus Kurth ist von den vier Abgeordneten sicher der mit der greifbarsten politischen Linie. Das ist für einen Listenkandidaten auch einfacher, er muss keine allgemeinen und heterogenen Wahlkreisinteressen repräsentieren, sondern nur seine linke Dortmunder Basis zufrieden stellen. Und über die große Linie ist man sich da ohnehin einig:
"Für mich gehört auf jeden Fall dazu eine Kritik gegenüber der Art und Weise, wie hier gewirtschaftet wird und wie hier Gewinne erzielt werden und wie Verteilungsfragen hier ablaufen in diesem Land. Insofern bin ich ein ein bisschen traditioneller Linker - als kapitalismuskritischer-, sehe aber sozusagen die ganzen Begrenzungen und Lebenssituation in den gegebenen Machtverhältnissen, da was zu ändern. Und dann versucht man natürlich, weil man ja nicht irgendwie Kathedersozialist sein will oder daueroppositionell, irgendwie mit den bestehenden Verhältnissen umzugehen und etwas zu verändern."
Der Preis von 16 Jahren Bundestag
Selbst wenn man nicht in der ersten Reihe mitspielt, einen Preis zahlt man für 16 Jahre Bundestag dennoch.
"Natürlich kann man nicht mehr alle persönlichen Beziehungen, Bekanntschaften, Freundschaften so pflegen, wie man das vor dem Einzug in den Bundestag getan hat. Und einiges bleibt dann auch auf der Strecke. Also, das realisiert man aber ja nicht sofort, sondern nur mit den Jahren, wenn man dann merkt, wie lange man bestimmte Leute nicht gesehen hat oder wie manche Beziehungen und Leute sich entwickeln. Und dann kommt man manchmal schon ins Grübeln. Aber ich will mich nicht beklagen, das ist das, was in der Tat dann auch im Nachhinein eine Biografie prägt."