Ein Spiegel der Geschichte
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Am 1. August wird der älteste Zoologische Garten Deutschlands 175 Jahre alt. Zum runden Jubiläum geht es nicht allein um Panda, Gorilla und Co. Der Hauptstadt-Zoo verrät viel über eine Gesellschaft und die Beziehung zwischen Mensch und Tier.
Es wäre das passende Geburtstaggeschenk gewesen: Pandanachwuchs pünktlich zum 175. Geburtstag des Berliner Zoos, dem ältesten Zoo in Deutschland und dem einzigen, der hierzulande Pandas hält. Bis jetzt allerdings kaut die schwarz-weiße Pandadame Meng-Meng den Bambus in ihrem großen Gehege immer noch alleine. Siebenmal hatte sie sich mit Panda Männchen Jiao Qing getroffen. Und weil die Pandas im Berliner Zoo noch jung und unerfahren in Liebesdingen sind, haben Experten Anfang April auch noch nachgeholfen: Meng Meng wurde künstlich besamt, um die Nachwuchs-Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Gerade mal so groß wie eine Ratte ist ein Panda-Baby bei der Geburt, sagt Zoodirektor Andreas Knieriem:
"Ja, größer sind die nicht. Und dann kriegen die alles über die Milch, das ist bei allen Bären so, die werden immer klein geboren und eine sehr fettreiche Milch dient dann dazu, dass die schnell groß werden."
Pandas sind zur Zeit die Stars im Zoo
Ob es mit dem Panda-Nachwuchs in Berlin wirklich klappt, weiß allerdings immer noch niemand so ganz genau. Alle Panda-Weibchen weltweit können in der Regel nur einmal im Jahr, und dann auch nur in einem Zeitraum von 24 bis 72 Stunden im Frühjahr, befruchtet werden. Fast alle Panda-Babys werden dann Ende Juli, Anfang August geboren. Die Pandas sind zur Zeit die Stars im Berliner Zoo, sagt Zoodirektor Andreas Knieriem,
"Die haben einfach was, Pandas sind schon Tiere, die ja Bären sind und trotzdem irgendwie uns einnehmen. Wenn man sie anschaut, also ich gehe ja manchmal abends hier entlang und sehe dann auch beide hier, und dann ist man schon fasziniert."
Die Pandas sind eine Leihgabe der chinesischen Regierung für zunächst 15 Jahre. Im Juli 2017 kam sogar Bundeskanzlerin Andrea Merkel, um die beiden Pandas standesgemäß zu begrüßen.
"Ich glaube, dass dieses Ereignis heute symbolisch steht für die Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern. Und nun haben wir zwei sehr sympathische Diplomaten hier, nämlich die beiden Pandabären, und ich denke, Jiao Qing und Meng Meng werden Sonderbotschafter unserer beiden Länder sein. Und ich glaube, ich darf sagen für diejenigen, die im Berliner Zoo Verantwortung tragen, sie werden alles tun, damit sich die beiden hier wohlfühlen in Deutschland."
Offenbar fühlen sie sich wohl. Vor dem Panda-Gehege steht jeden Tag eine Menschentraube, um den beiden beim Schlafen oder Bambusfressen zuzusehen.
Der artenreichste der Welt
Insgesamt fast 20.000 Tiere leben auf dem Gelände zwischen dem Bahnhof Zoo und dem Tiergarten mitten in der westlichen Berliner City. Mit 1.400 Arten ist der Berliner Zoo der artenreichste der Welt und mit 3,5 Millionen Besuchern pro Jahr einer der bestbesuchten. Viele Besucher sind Stammgäste:
"Ja, ja, wir haben so eine Jahreskarte gekauft, diesmal sind wir das vierte Mal da. – Ich frische hier meine Kindheitserinnerungen auf und da waren wir jeden Sonntag im Zoo - Wir hatten gerade ein schönes Erlebnis, die Elefanten haben gebadet und das war sehr schön. – Wir sind zweimal im Jahr etwa im Zoo, weil es viele Tiere gibt, die man sonst nicht sieht und es ist immer ein Unterschied, ob man das im Fernsehen anschauen kann oder ob man das im Original in natura sieht, wir machen das ganz gerne."
Vor 175 Jahren war ein Zoo die einzige Möglichkeit, Tiere aus anderen Ländern zu sehen, ohne dorthin reisen zu müssen.
Die Initiative zur Gründung eines Zoos in Berlin ging in den 40er-Jahren des 19. Jahrhunderts von Zoologie-Professor Martin Lichtenstein aus. Zusammen mit seinen Mitstreitern Alexander von Humboldt und Peter Lenné brachte er den preußischen König dazu, einen Teil seines Jagdreviers außerhalb der Stadt als Areal für den neuen Zoo zu stiften. Sumpfiges Dickicht wurde also in einen Schmuckgarten verwandelt, und Friedrich Wilhelm IV. schenkte seine im Tiergarten gelegene Fasanerie und die auf der Berliner Pfaueninsel gehaltenen Tiere der Berliner Bevölkerung. Außerdem gab es Riesenkängurus, Grizzleys und Eisbären, einen Löwen, Pumas, Emus und Wasserbüffel.
Nachdem der Eröffnungstag am 1. August 1844 ein Flop war, an dem Direktor Lichtenstein mit den Tieren fast alleine dastand, entwickelte sich der Zoo seit 1870 zu einem der führenden Zoos Europas und zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt in Berlin.
Obwohl heutzutage jeder Mensch jedes Tier in den Medien in Großaufnahme sehen kann, besitzt ein Zoo immer noch Anziehungskraft, sagt Andreas Knieriem. Es gehe beim Live-Erlebnis eben nicht nur um Sehen und Hören, sondern auch um das Riechen, Schmecken und Fühlen. Er möchte die Besucher darüber hinaus ein Stück weit zu Botschaftern für den Tier- und den Naturschutz machen:
"Früher war tatsächlich die Faszination für das einzelne Individuum wichtig, für das Tier, die Kreatur, das Fremde. Und das hat sich heute deutlich geändert. Wir haben heute weitestgehend bedrohte Tierarten, selbstverständlich immer vom Menschen bedroht - die Natur bedroht sich eigentlich nie selbst -, und was wir verstärken wollen, ist eben, dass die Menschen mit noch mehr naturwissenschaftlichem Engagement zu uns kommen. Also dass wir immer weiter abrücken von dem, 'ich gehe nur mal in den Zoo, weil ich meine Freizeit dort verbringen will', hin zu 'ich gehe aktiv in den Zoo, weil mich das interessiert und weil ich naturverbunden bin und weil ich ein Stück weit mehr helfen möchte'."
Artenschutz für das Fortbestehen der Erde
Sei es durch Geld für Artenschutzprojekte oder durch ein verändertes Bewusstsein dafür, wie wichtig weltweiter Natur- und Artenschutz für das Fortbestehen der Erde sind. Der Zoo habe einen Bildungsauftrag, sagt Knieriem.
Ein Tierpfleger steht deshalb gerade mit einem Mikrofon in der Hand mitten im Wolfsgehege:
"Dass wir das machen können, liegt daran, dass die Tiere wirklich von klein auf an uns gewöhnt sind, trotzdem muss ich gewisse Verhaltensregeln einhalten, ich bin hier nicht der Alpharüde oder Chef, ich bin außerhalb ihres Systems, das ist auch ganz o.k. so, ansonsten müsste ich die Rangordnungskämpfe jeden Tag mitmachen und dazu habe ich einfach nicht das Gebiss ..."
Die Wölfe wurden bereits hier im Zoo geboren. Damals, Ende des 19. Jahrhunderts, waren die meisten Tiere in den Zoos Geschenke fremder Herrscher, stammten aus den Kolonien oder wurden von Tierhändlern erworben, die auf sogenannten Tierfangexpeditionen vor allem Afrika als Selbstbedienungsladen begriffen. Die Transporte in die europäischen Zoos waren für die Tiere eine Qual, viele verendeten noch vor der Ankunft.
Heute stammen die Tiere überwiegend aus eigener Nachzucht oder werden mit anderen Zoos getauscht. Der Berliner Zoo leistet jetzt mit seiner Zucht einen wichtigen Beitrag zum Artenschutz, weil der Mensch dafür gesorgt hat, dass viele Tiere vom Aussterben bedroht sind, sagt Andreas Knieriem:
"Wir haben hier sehr sehr viele bedrohte Tierarten, zum Beispiel ob es Bonobo ist oder der Gorilla, den wir hier haben, oder der Orang-Utan zum Beispiel. Das kann auch die eine Giraffe sein, aus Uganda, die Rotschildgiraffe ist sehr wichtig, Okapi, Vogelarten. Wir haben den Edwardsfasan zum Beispiel. Oder sehen wir mal in Richtung Aquarium, in dem wir sehr viele Tierarten pflegen, nicht nur Fische, sondern auch Quallen, das geht bis über Amphibien, Reptilien, Insekten und Spinnentiere."
Anfang des 20. Jahrhunderts zeigte der Zoo sogar Menschen. In sogenannten Völkerschauen wurde eine Eskimotruppe aus Grönland, Lappen mit ihren Rentieren oder afrikanische Naturvölker wie Tiere begafft.
Im Krieg wurde der Zoo zum Schlachtfeld
Der Erste Weltkrieg hat dem Zoo nur vorübergehend geschadet, danach entstanden viele möglichst naturgetreue Freigehege, das Robbenbecken, der Affenfelsen oder das Löwengehege. Im Zweiten Weltkrieg jedoch wurde der Zoologische Garten zum Schlachtfeld. Nur 90 Tiere überlebten die Bombenangriffe, erinnert sich ein Zeitzeuge:
"Gleich der erste Anblick war die herrliche Elefantenpagode, das war ja ein derartig schöner Bau, war nur noch ein Trümmerhaufen, und dann waren überall noch umgestürzte Bäume. Im Hirschrevier habe ich dann noch einen toten Hirsch gesehen, den musste man erschießen, über allem lagerte noch der Brandgeruch und in einigen Ruinen glommen noch die Glutreste, es war fürchterlich."
Nach dem Krieg übernahm Katharina Heinroth als Direktorin den Zoo und überzeugte die britischen Besatzer, dass er erhalten werden müsse. Zunächst baute man für die überlebenden Tiere in den leeren Gehegen Kohlsalat und Mohrrüben an, die Berliner schenkten dem Zoo ihre Haustiere, unter anderem Papageien. Brenzlig wurde es während der Berlin Blockade 1948/49, erinnert sich Katharina Heinroth:
"Es gab kein Heu und kein Stroh, denn das konnte man mit der Luftbrücke nicht herüberbringen, das war ein Spuk... Gottseidank kam mir der Gedanke, das Falllaub zu sammeln im Herbst, und es gab einen herrlichen Herbst, wie man ihn selten hat, ganz trockenes Laub haben wir fuderweise eingefahren. Meine Wärter haben zwar den Kopf geschüttelt und dachten: 'Was will die denn bloß damit?' Aber nachher haben sie sehr schön eingestreut und die Tiere haben das als Heu und Stroh gefressen, wie sie sonst Heu und Stroh nehmen und es uns nichts passiert im ganzen Winter über."
Publikumsliebling wurde der Eisbär Knut
Nach dem Krieg kamen nach und nach wieder neue Tiere in den Zoo im Berliner Westen. Im Ostteil der geteilten Stadt Berlin entstand der Tierpark, fünfmal so groß wie der Zoo. Dort stieg die Zahl der Besucher beinahe kontinuierlich jedes Jahr – auch nach der Widervereinigung. Absoluter Publikumsliebling wurde schließlich der im Dezember 2006 geborene kleine Eisbär Knut, erzählt der damalige Zoodirektor Bernhard Blaskiewitz.
Als er das erste Mal im Freigehege präsentiert wurde, kamen Fernsehteams aus der ganzen Welt und tausende Berliner:
"Hier kommt Knut. Da muss einem ja das Herz aufgehen, wenn man so einen kleinen Bären aufwachsen sieht, da die Mutter ihn nicht angenommen hat und sich das gut entwickelt hat, war er dann natürlich schon was ganz besonderes. Dennoch ist es für mich ja so unverständlich gewesen, in welchem Ausmaß die Öffentlichkeit auf den Bären reagiert hat, das war unwahrscheinlich. 'Wir wollen Knut, wir wollen Knut' ..."
Knut starb mit vier Jahren an einer Infektion. Vielleicht gibt es nun mit kleinen Pandas bald neue Stars im Berliner Zoo.
Ein neues Nashornhaus steht auf der Wunschliste
Wichtiger als Stars sind Zoodirektor Knieriem allerdings gute, tiergerechte Lebensbedingungen für alle Tiere. Er hat die Zahl der Tiere reduziert und will ihnen mehr Platz bieten. Das Raubtierhaus wird deshalb gerade neu gebaut, ein neues Nashornhaus steht auf der Wunschliste des Direktors, außerdem eine bessere Unterkunft für die Primaten und die Elefanten. Das historische Antilopenhaus beherbergt nicht mehr wie früher einzelne Tiere in kleinen Verschlägen, sondern unter anderem eine Ausstellung zur Geschichte des Berliner Zoos. Am 1. August wird der Zoo 175 Jahre alt.