Netflix-Serie "1899"

Düstere Aussichten im Fin de Siècle

Im Still aus "1899" steht ein Mann mit zum Gebet erhobenen Händen in der Mitte einer düsteren Schiffskabine. Um ihn herum knien betende Menschen.
Die Netflixserie "1899" erzählt von europäischen Auswanderern, die sich auf einem Schiff in Richtung Westen aufmachen. © Netflix
Baran bo Odar und Jantje Friese im Gespräch mit Susanne Burg · 12.11.2022
Audio herunterladen
Die deutsche Science-Fiction-Mysteryserie "Dark" war weltweit ein Riesenerfolg. Nun haben die Schöpfer nachgelegt: "1899" heißt die neue Serie von Baran bo Odar und Jantje Friese. Im Gespräch erzählen sie, welche Folgen Corona fürs Filmen hatte.
Die Filmemacher Baran bo Odar und Jantje Friese bleiben ihrem Erfolgsrezept treu. Wie ihre Serie "Dark" ist auch "1899" wieder eine Mystery-Geschichte: Sie spielt auf einem Auswandererschiff auf dem Weg nach New York. Die Schiffsgäste haben Europa hinter sich gelassen und träumen von einer besseren Zukunft in Amerika. Bis sie auf dem offenen Meer ein zweites Schiff entdecken, das seit Monaten als vermisst gilt, und die Reise eine unerwartete Wendung nimmt.

Die Serie erfordert volle Konzentration

"Bei der ersten Staffel haben wir selber nicht geglaubt, dass so viele Menschen weltweit interessiert sind an so einer komischen, verschrobenen Geschichte, die aus unseren Köpfen entsteht", erzählt Regisseur Baran bo Odar über "Dark". "Die zudem noch düster ist und komplex. Man muss aufpassen, wenn man schon eine Folge nicht aufpasst, kapiert man schon gar nichts mehr."
Es sei schön zu sehen, dass viele Nerds Lust hätten an Mystery, Puzzlespielen und Komplexität. Sie selbst empfänden sich auch als Nerds, so Baran bo Odar und seine Frau Jantje Friese.

Redaktionell empfohlener externer Inhalt

Mit Aktivierung des Schalters (Blau) werden externe Inhalte angezeigt und personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt. Deutschlandradio hat darauf keinen Einfluss. Näheres dazu lesen Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können die Anzeige und die damit verbundene Datenübermittlung mit dem Schalter (Grau) jederzeit wieder deaktivieren.

"Wir sind an Fragen mehr interessiert als an Antworten", sagen sie. Sie seien aber auch interessiert daran, etwas anzuschauen oder zu lesen, was einen anspornt, Teil davon zu sein. „Man kann nicht nicht mitdenken bei Mystery.“ Ebenso gebe es andere Filme und Serien, die man einfach so nebenbei schauen könne.
Aber sie würden es eben mögen, mitzufiebern und eben nicht nebenbei am Handy Nachrichten zu lesen. Bei "Dark" hätten sogar Menschen versucht, per Notizbuch Symbole und Anhaltspunkte zu erfassen. Das hätten beide auch früher bei "Lost" selbst so gemacht. „Das fand ich so toll, weil es einen sehr aktiven Zuschauer generiert", sagt Baran bo Odar.

1899 als Mikrokosmos – mit ähnlichen Problemen wie heute

Und warum gerade 1899? "Das Fin de Siècle war eine superspannende Zeit", sagt Jantje Friese, das alte und das neue träfen an der Schwelle zum neuen Jahrhundert aufeinander. Viele Konflikte in der Zeit seien sehr polarisiert gewesen: zwischen Ständen, Mann und Frau, Präferenzen in der Sexualität - allesamt Themen, die uns heute noch beträfen. 1899 sei aber einfach auch eine „magische Zahl, eine schöne Zahl.“
Das Schiff, auf dem "1899" spielt, schaffe fast so etwas wie Laborverhältnisse: „Ein Mikrokosmos, ein abgeschlossener Raum, niemand kann irgendwo hin, drum rum ist nur Meer“. Man könne die unterschiedlichen Nationen mit all ihren Problemen und Umständen auf ein Schiff packen und gucken, was passiert. Dazu kämen Klassenunterschiede. Das Schiff bringe ganz viel als Repräsentant einer Welt mit.
Im Fernsehen wäre die Serie wohl nicht gelaufen: "Dark" funktioniere nur, wenn man die Serie bingen kann, also nach den eigenen Bedürfnissen in einem Rutsch oder in Abschnitten durchschauen. "'Dark' wäre ohne Netflix oder einen Streamer, der das Gleiche macht, nicht passiert", sagt Jantje Friese. Es sei richtig, den Zuschauenden zu überlassen, wie viel Informationen sie oder er aufnehmen wolle. In einer wöchentlichen Abfolge vergesse man sonst womöglich lose Fäden.

Möglichkeiten der Volume-Technologie

Ursprünglich wollten Odar und Friese die Serie "konventionell" mit Wassertanks und Nachbauten von Teilen des Schiffs drehen. Corona machte den Filmschaffenden aber einen Strich durch die Rechnung, etwa durch eingeschränkte Reisemöglichkeiten. Die Lösung war die "Volume"-Technologie. „Volume“ sei wie ein riesiger Fernseher, der in einer Halle steht und 70 Meter hufeisenförmig angeordnet ist, erläutert Baran bo Odar.
Set der Serie "1899", auf dem große gekrümmte Bildschirme, die einen Ozean zeigen, um eine runde Bühne herumstehen.
Wie beispielsweise bei Disneys "Mandalorian" ersetzen am Set zu "1899" riesige gekrümmte Bildschirme die klassischen Greenscreens.© Netflix
Das Volume bestehe aus lauter kleineren LED-Panels, die aneinandergesteckt sieben Meter hoch sind. Rechner spielten computergenerierte Landschaften und Innenräume auf. Das Besondere: Hintergrund und Kamera sind verbunden, bewegt sich die Kamera, verändert sich perspektivisch der Hintergrund. Was aus der Not geboren wurde, erwies sich als Segen. Gleichwohl hätten alle Beteiligte immer wieder dazulernen müssen.
Die Volume-Technologie biete auch hiesigen Filmschaffenden Möglichkeiten, findet Jantje Friese. „Denn plötzlich kann man Dinge erzählen, die man sonst nicht erzählen kann.“ Gerade im deutschen Markt seien Budgets oft limitiert. Mit der Volume-Technologie können man auch fantastische Welten schaffen, Sci-Fi, historische Stoffe. „Man kann überall hin.“ Und das könne eine totale Befreiung sein.

"1899" erscheint am 17. November 2022 auf Netflix.

(ros)
Mehr zum Thema