1966: Frauenemanzipation in der Popmusik

"These boots are made for walking"

Die Sängerin Nancy Sinatra im Jahr 1968.
Die Sängerin Nancy Sinatra im Jahr 1968 © picture alliance / dpa
Von Klaus Walter |
1966 - Anti-Baby-Pille und Minirock verändern die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern. Auch in der Popmusik treten immer mehr Frauen aus dem Schatten der Männer heraus und finden ihre eigene Stimme. Eine Entwicklung mit ganz speziellen Widersprüchen.
"Würdest du gerne ein dünnes italienisches Mädchen aufnehmen?"
Mit dieser Frage von Mann zu Mann beginnt die Geschichte des ersten feministischen Welthits. Der war allerdings alles andere als feministisch gedacht. Das Lied von den Stiefeln, mit denen SIE über IHN hinwegfegt, es stammt von einem ausgewiesenen Macho, Lee Hazlewood.
Billy Strange, der Arrangeur von "These Boots are made for walking” erinnert sich:
"Lee fragte mich ob ich ein dünnes italienisches Mädchen aufnehmen wollte. 'Nancy Sinatra wird von mir produziert und von dir arrangiert'."
Allerdings sollte Nancy Sinatra, das dünne italienische Mädchen, nicht so passiv bleiben, wie Lee Hazlewood sich das vorgestellt hatte.
Billy Strange: "Ein paar Wochen später suchten wir in Nancys Haus Songs aus und sie entschied sich für Boots. Das war ein Song von Lee! Er sagte: Nein, das ist ein Männersong, den kannst du nicht aufnehmen! Und sie sagte: Ich werde diesen Song aufnehmen. Lee bekämpfte sie bis aufs Blut aber sie beharrte darauf: ICH WERDE DIESEN SONG AUFNEHMEN!"
"And we recorded 'Boots' and it was the one song of the session that became a monster hit."
Boots wurde ein Monsterhit, obwohl es eigentlich ein Männersong war. Für Nancy Sinatra ging es nicht etwa um Hass. Sie fand den Song clever, sexy und funky.
Nancy Sinatra: "I never had a hate thing with it. It´s cute and sexy and funky which I just dearly love."

Hochgezogene Stiefel als modisches Symbol der Emanzipation

So wird ein Lied über die Rachegelüste eines eifersüchtigen Mannes zur Hymne einer sich emanzipierenden Frau. Und die übers Knie hochgezogenen Stiefel werden zum modischen Symbol dieser Emanzipation.
Jon Savage: "Die Erwartungen von Frauen an das Leben ändern sich rapide. Bis 1966 brauchten Frauen noch die Unterschrift ihres Ehemanns, wenn sie zur Bank gehen wollten. Es gab alle möglichen Dinge, die sie nicht tun durften."
Sagt der britische Pop-Historiker Jon Savage.
Dusty Springfield, "You don't have to say you love me”, ein Riesenhit 1966. Damit wird Dusty Springfield zu einem der größten weiblichen Popstars der Sechziger-Jahre, in ihrer britischen Heimat hat sie eine eigene Fernsehshow.
Und Dusty wird zur "gay icon", zu einer Ikone, verehrt und bewundert von schwulen Männern wie Neil Tennant von den Pet Shop Boys.
"Dusty hat eine der wunderbarsten Stimmen der Pop- und Soulmusik. Sie hat diese verletzliche Qualität in ihrer Stimme und diese fantastische Phrasierung. Sie verwandelt jeden Song in einen Dusty Springfield-Song."

Dusty Springfield wird zur Ikone der Schwulen

Wie so viele schwule Männer bewundert auch der junge Jon Savage in den Sechzigern Dusty Springfield. Und spürt eine heimliche Verbundenheit:
"Dusty war lesbisch, niemand wusste das und niemand sprach darüber, über Homosexualität in der Popmusik wurde überhaupt nicht gesprochen, Schwulsein war in England bis 1967 verboten, Homosexualität unter Frauen war nicht verboten, man hielt sie schlicht für nicht existent. Also suchten Lesben und Schwule förmlich nach Zeichen, nach Indizien des Anderen, nach einer Abweichung von der Heteronorm. Und bei Dusty Springfield wurden sie fündig. Dusty schien zu ihnen zu sprechen, ohne dass man Genaueres wusste. Aber so funktioniert Popmusik: zu viel Eindeutigkeit tötet manchmal die Illusion und den Traum."
1966 ist auch das Jahr der Widersprüche. Da forciert ein amerikanischer Macho gegen seinen Willen die Befreiung der Frauen. Und ein englischer Macho wird von den Girls geliebt, für Zeilen wie diese:
"Wer will die Zeitungen von gestern, wer will die Mädchen von gestern?" (The Rolling Stones: "Yesterday's papers")
Oder diese:
"Sie ist das übelste Ding der Welt, schau dir dieses bescheuerte Mädchen an." (The Rolling Stones: "Stupid Girl")
Oder auch diese:
"Unter meinem Daumen, das Mädchen, das mich einst in der Hand hatte." (The Rolling Stones: "Under my thumb")

Verachtung für die Girls - Und den Girls gefällt's

"Under my thumb" und "Stupid Girl", zwei Songs aus "Aftermath" von den Rolling Stones, eines der größten Alben 1966. Unter der androgynen Oberfläche der Stones lauert eine gewisse Geringschätzung von Frauen. Oder gleich: Verachtung für die Girls. Und den Girls gefällt's.
Jon Savage: "Wenn die Stones damals 'Under my thumb' spielten, drehten die Mädchen durch. Die Stones haben da viele alte Motive aus dem Blues übernommen. Es liegt an Songs wie 'Stupid Girl', dass 'Aftermath' nicht so gut ist, wie es sein sollte. Damals wurde das kaum diskutiert, heute kann man sich das gar nicht mehr vorstellen und das zeigt, dass sich viele feministische Ideen inzwischen durchgesetzt haben."
Dem Erfolg der Rolling Stones tut das allerdings keinen Abbruch. Die singen immer noch die alten Lieder, auch 50 Jahre danach.
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