In unserer 6-teiligen Reihe "1966 – das Jahr, als die Popkultur explodierte" stellt Klaus Walter die unterschiedlichen Wechselwirkungen zwischen Zeitgeschichte und Pop/Rock dar. Jeweils montags in der Tonart am Nachmittag.
Ein Krieg spaltet die Welt
Während in Europa der Kalte Krieg tobte, spaltete der Vietnamkrieg die amerikanische Gesellschaft. Mit der "Ballade Of The Green Berets" schrieb Barry Sadler ein Loblied an die tapferen Soldaten und der Song kletterte auf Platz 1 der US-Charts.
1966 – wie selten zuvor spiegeln sich in der Pop-Musik gesellschaftliche Aufbruchsbewegungen und Umbrüche.
Der Kalte Krieg teilt die Welt in Ost und West, der Arsch der Welt ist Berlin, findet Wolf Biermann:
"Die ganze Welt hat sich in Ost und West gespalten. Doch Deutschland hat wie immer auch, die Position gehalten. Die Position als Arsch der Welt. Sehr fett und sehr gewichtig. Die Haare in der Kerbe sind aus Stacheldraht, versteht sich. Da selbst das Loch, ich mein' Berlin, in sich gespalten ist."
Als "stille Explosion" beschrieb die Band The Ugly aus Birmingham im Song "Quiet Explosion" im Januar 1966 die gespenstische Lage: Sänger Steve Gibbons singt vor einer psychedelisch-elektronischen Klangwand vom Hunger in der Welt, dem Wahnsinn des Wettrüstens und dem Kalten Krieg. Die Beatles hätten ihnen den Weg gewiesen, erklärte Gibbons später:
"Ihr Beispiel ermutigte uns, unsere eigenen Songs zu schreiben."
Der erste feministische Welthit der Pop-Geschichte
Während sich Musiker in Europa vor dem atomaren Inferno fürchten, verteidigen die USA in Südostasien den "Freien Westen" gegen die "kommunistische Bedrohung". Der anfangs noch verharmlosend sogenannte Konflikt in Vietnam wächst sich aus zum heißen Krieg. 1966 müssen mehr junge Amerikaner zum Militär als je zuvor. So kommt es zu einer auf den ersten Blick paradoxen Konstellation: Weite Teile der Jugend der westlichen Welt demonstrieren gegen den Krieg der USA in Vietnam, und konsumieren begeistert die Erzeugnisse der amerikanischen Pop-Kultur.
Was war eigentlich der populärste Song in den USA in diesem zugespitzten Jahr: 1966?
Was war eigentlich der populärste Song in den USA in diesem zugespitzten Jahr: 1966?
Nancy Sinatra, die Rächerin der gepeinigten Frauen. Ihr Lied von den Stiefeln, mit denen sie über ihn inwegfegen wird, ist der erste feministische Welthit der Pop-Geschichte, in den Jahrescharts 1966 in den USA reicht es allerdings nur für Platz 13.
Die Mamas & Papas träumen von Kalifornien und verewigen das gelobte Land der Hippies, die Heimstatt von Love & Peace. In den Jahrescharts belegt "California Dreaming" aber nur Platz 10. Was aber war der populärste Song 1966 in den USA?
Im Mai 1965 tappt Staff Sergeant Barry Sadler im vietnamesischen Dschungel in eine giftige Bambusfalle. Sadler ist Soldat bei den Green Berets, einer Spezialeinheit mit grünen Mützen. Im Lazarett schreibt der Sergeant einen Song. Im Marschrhythmus lobt er den Mut der Soldaten, die furchtlos springen, wenn es sein muss in den Tod.
Bob Dylan liefert Soundtrack zu Demonstrationen
Am 5.März 1966 klettert "The Ballad Of The Green Berets" an die Spitze der US-Charts. Und bleibt dort fünf Wochen lang.
Jon Savage: "Es ist eine gespenstische, düstere Ballade, sehr traditionell, mit einem militärischen Beat. Der Song klingt komplett anders als der Großteil der Popmusik dieser Zeit und das soll er auch."
Sagt der britische Pop-Historiker Jon Savage. Der Vietnamkrieg spaltet die amerikanische Gesellschaft und treibt die Welt auf die Barrikaden.
Die Protestbewegung wird maßgeblich getragen von der Pop-Kultur, den Soundtrack zu den Demonstrationen liefern Anti-Kriegslieder von Bob Dylan, Joan Baez und all den anderen. Aber es gibt auch die ganz anderen. Die gar nicht so schweigsame Mehrheit.
Die populäre Schlagersängerin Connie Francis träumt 1966 davon, als Krankenschwester in Vietnam zu arbeiten, da wo die Action ist.
"Green Berets war ein Protestvotum"
Unterdessen prophezeiht Henry Cabot Lodge, der amerikanische Botschafter in Südvietnam, "sensationelle militärische Erfolge" für das kommende Jahr 1967.
Jon Savage: "'Green Berets' war so erfolgreich, weil es ein Protestvotum war: für Patriotismus, für den Krieg, für traditionelle amerikanische Werte und gegen all die langhaarigen Kreaturen, die sich ausbreiten in den Jugendmedien und im Fernsehen."
Auch in Deutschland existiert 1966 eine schweigende Mehrheit: für Patriotismus, für traditionelle deutsche Werte, allerdings nicht so eindeutig für den Krieg. Die letzte Niederlage ist ja gerade erst zwanzig Jahre her.
Auf Platz eins der deutschen Hitparade landet der beliebte Matrosendarsteller Freddy Quinn. Auch er singt von einem 'Krieg, den keiner will', wenn auch im straff militärischen Duktus. Im selben Jahr macht sich Freddy Quinn noch einmal zum Sprecher der schweigenden Mehrheit.
"Wir", einfach nur "Wir", so heißt der Song, mit dem Freddy all denen aus der Seele spricht, die genug haben von Gammlern und Hippies, von Pazifisten und Antiautoritären. Wir gegen die – die Welt ist gespalten 1966, nicht nur im Kalten Krieg.