"Younger than Yesterday" - Ein Buch zum Streiten
Jimi Hendrix und die Beatles sind drin - die Rolling Stones und Janis Joplin nicht. Wie erzählt man die Geschichte eines der bedeutendsten Jahre der Popmusik? Die Autoren von "Younger than Yesterday" haben sich dafür entschieden, auf viele prominente Musiker zu verzichten.
"I was born in 67, the year of Sgt. Pepper and Are you Experienced."
Es ist 2009, als Steven Wilson im Song "Time Flies" seiner Band Porcupine Tree diese Zeilen singt. In seinem Geburtsjahr 1967 erblickt auch "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" der Beatles das Licht der Welt – es gilt vielen noch heute als bestes Album aller Zeiten. Im selben Atemzug nennt Wilson "Are you Experienced". Das wiederum ist das Debutalbum von Jimi Hendrix, klingt vollkommen anders, war aber ähnlich revolutionär und rangiert ebenfalls häufig weit vorne in den Bestenlisten der Pop- und Rockmusik.
1967 kulminiert die Entwicklung der Popmusik in einer Vielzahl weiterer herausragender Alben. Als "´Sattelzeit` der kurzen und beschleunigten Popgeschichte" bezeichnet das neue Buch "Younger than Yesterday – 1967 als Schaltjahr des Pop" die Mitte der 60er-Jahre, mit 67 als Höhepunkt. Die Herausgeber Christoph Jürgensen, Gerhard Kaiser und Antonius Weixler versammeln in ihrem Band zwölf Alben in zwölf Kapiteln. Vertreten sind weitere Debuts, zum Beispiel von Pink Floyd oder Velvet Underground sowie große Werke von den Byrds, Bob Dylan oder Aretha Franklin. Der Kenner bemerkt aber natürlich sofort Lücken im Inhaltsverzeichnis: Wo sind die Rolling Stones, Janis Joplin oder Cream, die ebenfalls 67 wegweisende Alben veröffentlichet haben. Das seien letztendlich pragmatische Entscheidungen, erklärt Herausgeber Jürgensen bei der Podiumsdiskussion "1967 & der Pop" im ICI Berlin:
"Welche Alben wollen wir aus Sicht der Zeit und welche wollen wir ex-post drin haben. Das ist Kanon-pragmatisch. Und es fehlt immer etwas. Es sei denn, man nimmt alle Platten, die 67 veröffentlicht wurden und nimmt sozusagen das rein Additive. Und das ist ein Versuch, insgesamt kulturgeschichtlich triftige Alben auszuwählen, die insgesamt ein Bild der Zeit ergeben. Auch wenn auch Leonard Cohen natürlich nicht drin ist. Wir könnten immer noch mehr Namen nennen und dann kämen wir bei 800 Seiten und dann bei 1600 Seiten raus. Ich glaube nicht, dass das Zeitbild das entsteht viel deutlicher wäre. Es würden immer noch mehr Details sein, aber das große Portrait wäre gar nicht deutlicher durch immer noch mehr Platten."
Es ist 2009, als Steven Wilson im Song "Time Flies" seiner Band Porcupine Tree diese Zeilen singt. In seinem Geburtsjahr 1967 erblickt auch "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" der Beatles das Licht der Welt – es gilt vielen noch heute als bestes Album aller Zeiten. Im selben Atemzug nennt Wilson "Are you Experienced". Das wiederum ist das Debutalbum von Jimi Hendrix, klingt vollkommen anders, war aber ähnlich revolutionär und rangiert ebenfalls häufig weit vorne in den Bestenlisten der Pop- und Rockmusik.
1967 kulminiert die Entwicklung der Popmusik in einer Vielzahl weiterer herausragender Alben. Als "´Sattelzeit` der kurzen und beschleunigten Popgeschichte" bezeichnet das neue Buch "Younger than Yesterday – 1967 als Schaltjahr des Pop" die Mitte der 60er-Jahre, mit 67 als Höhepunkt. Die Herausgeber Christoph Jürgensen, Gerhard Kaiser und Antonius Weixler versammeln in ihrem Band zwölf Alben in zwölf Kapiteln. Vertreten sind weitere Debuts, zum Beispiel von Pink Floyd oder Velvet Underground sowie große Werke von den Byrds, Bob Dylan oder Aretha Franklin. Der Kenner bemerkt aber natürlich sofort Lücken im Inhaltsverzeichnis: Wo sind die Rolling Stones, Janis Joplin oder Cream, die ebenfalls 67 wegweisende Alben veröffentlichet haben. Das seien letztendlich pragmatische Entscheidungen, erklärt Herausgeber Jürgensen bei der Podiumsdiskussion "1967 & der Pop" im ICI Berlin:
"Welche Alben wollen wir aus Sicht der Zeit und welche wollen wir ex-post drin haben. Das ist Kanon-pragmatisch. Und es fehlt immer etwas. Es sei denn, man nimmt alle Platten, die 67 veröffentlicht wurden und nimmt sozusagen das rein Additive. Und das ist ein Versuch, insgesamt kulturgeschichtlich triftige Alben auszuwählen, die insgesamt ein Bild der Zeit ergeben. Auch wenn auch Leonard Cohen natürlich nicht drin ist. Wir könnten immer noch mehr Namen nennen und dann kämen wir bei 800 Seiten und dann bei 1600 Seiten raus. Ich glaube nicht, dass das Zeitbild das entsteht viel deutlicher wäre. Es würden immer noch mehr Details sein, aber das große Portrait wäre gar nicht deutlicher durch immer noch mehr Platten."
Über Genregrenzen hinaus
Popmusik wird Mitte der 60er-Jahre sich und seiner Mittel bewusst und beginnt, das eigene Tun und Sein zu reflektieren. Daraus entstehen Alben, die sich als Kunstwerdung des Pop begreifen lassen. Die Musik wächst über simple Zuschreibungen wie Beat, Surf oder Blues hinaus und wird zum Stilmix mit dem Credo ´Alles ist möglich‘. Romanautor und Buchpreisträger Frank Witzel hat das Eingangskapitel über die Beatles beigesteuert. 67 sieht er als wichtiges Jahr für den Umgang mit musikalischem Erbe:
"Wenn man mal etwas Positives über die Weißen sagen darf: Nachdem man jahrzehntelang die schwarze Kultur ausgebeutet hat, mit Blues, Rock und Soul und so weiter, kommen ja hier jetzt mit der Klassik, mit der Avantgarde solche Elemente auch zum Tragen und vermischen sich auf eine sehr produktive Art und Weise."
In dieser Aussage steckt eine explizite und eine implizit mitschwingende Botschaft: "Younger than Yesterday" erzählt vor allem von weißen Musikern – mit Ausnahme von Jimi Hendrix und Aretha Franklin. Zudem ist es eine männlich geprägte Poperzählung. Aretha Franklin erhält als einzige Frau ein eigenes Kapitel. Die Bedeutung von Grace Slick für Jefferson Airplane sowie Nico und Moe Tucker für Velvet Underground wird aber deutlich betont.
"Wenn man mal etwas Positives über die Weißen sagen darf: Nachdem man jahrzehntelang die schwarze Kultur ausgebeutet hat, mit Blues, Rock und Soul und so weiter, kommen ja hier jetzt mit der Klassik, mit der Avantgarde solche Elemente auch zum Tragen und vermischen sich auf eine sehr produktive Art und Weise."
In dieser Aussage steckt eine explizite und eine implizit mitschwingende Botschaft: "Younger than Yesterday" erzählt vor allem von weißen Musikern – mit Ausnahme von Jimi Hendrix und Aretha Franklin. Zudem ist es eine männlich geprägte Poperzählung. Aretha Franklin erhält als einzige Frau ein eigenes Kapitel. Die Bedeutung von Grace Slick für Jefferson Airplane sowie Nico und Moe Tucker für Velvet Underground wird aber deutlich betont.
Wo bleiben die Singles?
Das Publikum bei der Podiumsdiskussion hinterfragt jedoch weniger die Bandauswahl, als die Konzentration auf Alben. Singles spielen im Buch lediglich vereinzelt eine Rolle. 1967 werden erstmals mehr Alben als Singles verkauft, für den Musikmarkt ist die Single aber natürlich noch von enormer Bedeutung. Allein das Label Motown veröffentlicht 120 Singles, von denen ein Großteil die Charts erobert. Frank Witzel konnte mit der Ansicht des Publikums durchaus etwas anfangen:
"Also ich glaube, die Singlecharts wären unbedingt ein Anlass, das mal ganz anders zu fassen. Man könnte, glaub ich, aber nicht die Arbeitsweise und Entwicklung der Bands so gut fassen, weil wir sie dann immer nur ausschnittweise haben. Was ich mir idealerweise gewünscht hätte, wäre tatsächlich meinetwegen ein Kapitel, das wirklich nur über Singles geht. Weil natürlich auch diese sogenannten One-Hit-Wonder, die auftauchen und dann wieder verschwinden, über ein Jahr etwas aussagen und die sind überhaupt nicht anders greifbar."
Der Gedanke hat natürlich seine Berechtigung. Für die Argumentation der Herausgeber spielt er allerdings eine untergeordnete Rolle. Ihr Blick richtet sich mehr auf Musik als Gesamtkunstwerk, rechtfertigt Christoph Jürgensen:
"Natürlich wenn man das Jahr 67 holistisch abbilden will, dann müsste man sich unbedingt mit den Singles beschäftigen. Aber das wollen wir nicht, können wir nicht, tun wir nicht. Die Idee war schon, dass Pop sich zur Kunst entwickelt, natürlich nicht der gesamte Pop, aber es gibt eine Entwicklung insgesamt davon, dass Pop Kunst sein kann. Das ist wesentlich stärker ans Format Album gekoppelt, als ans Format Single. Weil es das Hochkunstformat ist, weil es Ganzheit erlaubt, weil es Zusammenhang, Narration erlaubt, weil es das Ausnutzen von Studiotechnik erlaubt, wird das Album zum Hochwertphänomen, das uns interessiert. Ein Kapitel zu den Singles wäre ein bisschen wie angeklatscht gewesen. Da hätten alle dann gesagt: Muss das auch noch drin sein, nur damit sie irgendwie alles drin haben?"
Der Gedanke hat natürlich seine Berechtigung. Für die Argumentation der Herausgeber spielt er allerdings eine untergeordnete Rolle. Ihr Blick richtet sich mehr auf Musik als Gesamtkunstwerk, rechtfertigt Christoph Jürgensen:
"Natürlich wenn man das Jahr 67 holistisch abbilden will, dann müsste man sich unbedingt mit den Singles beschäftigen. Aber das wollen wir nicht, können wir nicht, tun wir nicht. Die Idee war schon, dass Pop sich zur Kunst entwickelt, natürlich nicht der gesamte Pop, aber es gibt eine Entwicklung insgesamt davon, dass Pop Kunst sein kann. Das ist wesentlich stärker ans Format Album gekoppelt, als ans Format Single. Weil es das Hochkunstformat ist, weil es Ganzheit erlaubt, weil es Zusammenhang, Narration erlaubt, weil es das Ausnutzen von Studiotechnik erlaubt, wird das Album zum Hochwertphänomen, das uns interessiert. Ein Kapitel zu den Singles wäre ein bisschen wie angeklatscht gewesen. Da hätten alle dann gesagt: Muss das auch noch drin sein, nur damit sie irgendwie alles drin haben?"
Ein Buch wie sein Gegenstand
Die Diskussion rund um das Buch "Younger Than Yesterday" und das Musikjahr 1967 zeigt, wie vielfältig das Verständnis von Pop sein kann und wie herrlich es sich streiten lässt, wenn an sich doch alle einer Meinung sind.
"Younger Than Yesterday" ist ein Buch über 1967, das nicht einfach Biographien nacherzählt. Auf dichte Art werden Zusammenhänge hergestellt, Strömungen erkannt und in ihrer Bedeutung für die Musikwelt eingeordnet. Der Duktus der Autoren ist dabei Pop, die Vorgehensweise aber durchaus wissenschaftlich. Somit gebart es sich ganz wie sein Gegenstand: ambivalent.
"Younger Than Yesterday" ist ein Buch über 1967, das nicht einfach Biographien nacherzählt. Auf dichte Art werden Zusammenhänge hergestellt, Strömungen erkannt und in ihrer Bedeutung für die Musikwelt eingeordnet. Der Duktus der Autoren ist dabei Pop, die Vorgehensweise aber durchaus wissenschaftlich. Somit gebart es sich ganz wie sein Gegenstand: ambivalent.
Unsere Spotify-Liste zur 1967-Reihe: