1967 - Jahr musikalischer Erneuerung

Verjüngung, Ironisierung und Entfaltung

The Beatles im Jahr 1967: Paul McCartney, George Harrison, Ringo Starr, John Lennon (v.l.n.r.)
The Beatles 1967: Mit dem Album "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band" wenden sie sich gegen gängige Mechanismen des Musikmarktes. © imago / United Archives
Von Till Lorenzen |
Unterhaltend und ernst: Dass Pop beides sein kann, zeigt sich 1967. David Bowie und Velvet Underground kommen zum Vorschein. Die Beatles und Bob Dylan haben als bekannte Musiker mit selbstreflexiven Alben Erfolg - ein Musikjahr als Wegmarke für die Freiheit der Kunst.
1967 wird für einige Popmusiker zum Jahr der Masken, Verkleidungen, Neuerfindungen, Rückbesinnungen, ja, sogar Zurückweisungen der eigenen Rolle im Musikbetrieb. Das darf man nun nicht ganz so wörtlich nehmen, es ist eher eine Geisteshaltung. David Bowie veröffentlicht 1967 sein erstes, selbstbetiteltes Album. Musikalisch ist es wenig innovativ und an den Kassen eher ein Flop, seine Rolle im Pop für die nächsten Jahrzehnte wird aber schon deutlich. Im Song "Rubber Band" ist Bowie schon nicht mehr Bowie, er imaginiert sich in andere Zeiten und eben eine andere Band.
Veränderung ist die Konstante in Bowies Karriere. Das Spiel mit Popkultur beherrscht er von früh auf. Der Songname "Rubber Band" erinnert nicht aus Zufall an das Beatles Album "Rubber Soul".

Komplexe Alben statt Hits

Musikalische Neuerfindungen ergeben sich aus dem Innovationsstreben der Bands. Bei vielen stehen nicht mehr Hits, sondern komplexe Alben im Vordergrund. Das gilt vor allem und immer wieder für die Beatles und ihr Album "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band".
Ein Album, mit dem sie sich gegen gängige Mechanismen des Musikmarktes wenden, argumentiert Christoph Jürgensen bei der Podiumsdiskussion "1967 & der Pop":
"Und dazukommt die Zurückweisung von allem was vorher für Pop interessant war. Unmittelbare Ansprache, Authentizität, in dem sie gerade sagen wir sind nicht wir, wir sind was anderes, wir sind auch gar nicht zeitgenössisch, wir sind fast aus der Zeit gefallen. Und wenn man das ein bisschen pointieren wollte, könnte man sagen, das ist eigentlich schon die Erfüllung der Postmoderne in gewisser Weise. Da werden die Unterebenen, die Unterschiede der Zeiten, der Stile, eingeebnet. Es kommt hier alles. Im weißen Album, ein Jahr später, kommt das noch stärker. Aber auch hier fängt das schon an, dass es eigentlich keinen kohärenten Stil mehr in gewisser Weise gibt. Und auch kein zeitgenössisches Soundgewand mehr, sondern ein Nebeneinander von ganz vielem."
Im postmodernen Sinne wäre die Innovation dann als Rekombination zu verstehen. Die Bands ironisieren, zitieren, spielen mit Traditionen und überschreiten Grenzen. Simple Kategorien wie Schwarz oder Weiß werden von den Musikern überwunden, sie schlüpfen immer wieder in neue Gewänder – und das nicht von Album zu Album, sondern innerhalb eines einzigen. Ein permanenter Versuch jung zu bleiben.

Dylan als Meister des Jüngerwerdens

Darin ist auch Bob Dylan ein Meister. Während die Welt um ihn herum die elektrische Gitarre feiert, legt er sie 1967 erstmal wieder in den Koffer. Vollkommen logisch, bemerkt Romanautor Frank Witzel:
"Bob Dylan schafft auf seine sehr poetische Art diesen Prozess des Jüngerwerdens. Die Erinnerungen kommen einem älter vor. Dadurch spürt man in der Gegenwart, im Hier und Jetzt eine Jugend. Während man sich zurückerinnert, fühlt man sich eigentlich älter, weil man von den Sentimentalitäten und den Dingen belastet wird, die man zurückgelassen hat. Das ist immer wieder ein Thema bei Dylan: Das was man abwirft, was man zurücklässt, welche Haut man annimmt. Dafür ist Dylan ja eigentlich ein Prototyp."
Dylan kehrt 67 mit seinem Album "John Wesley Harding" zu seinen Folkwurzeln zurück. Das allerdings ähnlich bewusst inkonsequent, wie seine Verarbeitung historischer und religiöser Figuren. Die Songs enthalten keine Refrains. Die Protagonisten wie der titelgebende Revolverheld John Wesley Harding oder der spätantike Kirchenlehrer Augustinus von Hippo werden dylanisiert. Er verdreht und ironisiert die Historie. Augustinus wird so vom geachteten Mann der Kirche zum Märtyrer.
Die Beatles und Dylan als etablierte Musiker haben mit ihren selbstreflexiven Alben Erfolg. Bowie scheitert noch an seiner Unbekanntheit. Velvet Underground hingegen verweigern von vorneherein jeglichen Pophabitus.

Wegmarke für die Freiheit der Kunst

Obwohl sie in der florierenden Kunstszene Andy Warhols in New York entstehen, interessiert sich kaum einer für ihr Debütalbum. Doch auch dahinter steckte Methode, sagt Christoph Jürgensen:
"Man könnte sogar sagen, dass man nirgendwo deutlicher merkt als bei Velvet Underground, dass Pop jetzt Kunst ist. Das ist eine Schockästhetik und ein Avantgardegestus, der ganz popfern ist, viel stärker noch als bei den Beatles. Hier werden kaum noch Zugeständnisse an ein Poppublikum gemacht, das ist auch nicht mehr adressiert, ein breites, jugendliches Publikum. Das ist Hochkunst, in den Texten, in den Themen. Aber auch in dieser Schock- und Überbietungsästhetik.
Die haben die Säle leerspielen wollen. Die wollen nicht, dass die Leute schreien und irgendwas nach vorne schmeißen, die wollten, dass die Leute schockiert sind und rausgehen. Das Gegenteil von The Grateful Dead. Nicht Improvisation für alle, sondern Improvisation für uns. Das ist tatsächlich ein Avantgardegestus und dementsprechend hat ja auch niemand die Platte gekauft. Heute kennt sie aber jeder, jetzt sind sie ungefähr so berühmt wie die Beatles damals."
Retrospektiv wird dadurch das Jahr 1967 noch schwerer greifbar. Gerade dadurch aber zur entscheidenden Wegmarke für die Freiheit der Kunst und kreative Entfaltungsmöglichkeiten. Werte, die 50 Jahre später wieder bedroht sind. Umso wichtiger scheint es, sich mit der Musik an diese wieder zu erinnern.

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