1968 weltweit - alle Folgen hören Sie im Weltzeit-Podcast. Mit weiteren Einblicken aus Mexiko, Marokko, Tunesien, Kuba, Tschechien, Frankreich und den USA.
Schlagstock und "Uncle Ho" siegten
Dass Japan heute so konservativ ist, hat auch mit der Niederlage der linken 68er-Bewegung zu tun. Dagegen ist 1968 in Vietnam ein Wendepunkt zu Gunsten der bis heute regierenden Kommunisten. Zwei asiatische Länder - wir erzählen ihre 68er-Geschichten.
In Tokio ging es 1968 hoch her zwischen Demonstranten und der Polizei. Schlagstöcke und Tränengas auf der einen Seite, erregte Debatten mit Passanten auf der anderen. Und zwischendurch erklang bei den Aktivisten auf Japanisch die "Internationale".
Begeisterung in Japan für 68er-Proteste verpuffte
Kapitalismuskritik, Frieden und Umweltschutz waren die großen Themen, aber auch ganz praktische Fragen: Es ging für Studenten um die hohen Studiengebühren, um fehlende Plätze in Wohnheimen - und so weitete sich die Protestwelle zwischenzeitlich auf mehr als 300 Universitäten und Oberschulen aus. Anfangs gab es für sie viel Sympahtie in breiteren Bevölkerungsschichten, aber die Bewegung zersplitterte und konnte die bestehenden Machteliten nicht aufbrechen. Einige Anhänger der 68er-Ideen gibt es bis heute in Japan: Manche sind radikal, andere idealistisch.
Ausführlich erzählt in der Weltzeit eine Aktivistin der erste Stunde, die heute 69-jährige Seiko Oki:
"Wohin ist der Protest verschwunden? Ich glaube, der Bewegung fehlte ein gemeinsames Ziel. Es gab auch keine Anführer. Am Ende ging jeder seinen eigenen Weg. Man darf das vielleicht gar nicht sagen, aber das ist Teil der japanischen Mentalität. Erst gibt es eine große Begeisterung, aber die verpufft ganz schnell. Und dann will jeder wieder seine Ruhe haben."
Einer der wenigen Alt-68er, der es in hohe politische Ämter geschafft hat, ist Ex-Premier Naoto Kan:
"Im Grunde haben wir nichts erreicht. Fünfzig Jahre später ist unsere Welt noch immer konservativ, geradezu feudalistisch. Anders als in Deutschland hat unsere Revolte in Japan nichts bewirkt. Denn der Aufstand richtete sich irgendwann nicht mehr gegen den Staat, sondern nach innen. Die militanten Gruppen zerfleischten sich gegenseitig. Es gab sogar Tote! Und die Massen an Unterstützern zogen sich zurück. Sie hatten das Gefühl, den Kampf verloren zu haben."
In Vietnam läutete 1968 den Sieg der Kommunisten ein
In Ho-Chi-Minh-Stadt, dem früheren Saigon, im Süden des Landes trinken Hippster längst ihren Caffè Latte und in Souvenierläden hängen Hard-Rock-Cafe-T-Shirts neben Ho-Chi-Minh-Hemden. Der einstige Feind ist wieder präsent im Land. Auch Levis-Jeans und Nike-Turnschuhe werden in Vietnam produziert. Die USA werden als wichtiger Handelspartner gebraucht. Dem kann sich die kommunistische Einparteien-Diktatur ohne freie Presse und Opposition nicht verschließen.
Möglich ist das aber vor allem durch ein Gefühl der Überlegenheit, das 1968 seinen Anfang nahm. Damals drangen Vietcong-Kämpfer aus dem Norden, militärisch unterstützt durch China und Russland, erstmals in die südvietnamesische Hauptstadt Saigon ein, sogar die US-Botschaft wurde angegriffen, allerdings nicht erobert. Die Tet-Offensive erschütterte den Glauben an die Unsbesiegbarkeit der USA, wichtigster Verbündeter des Südens. Bauern in Sandalen mit Kalashnikovs drängten die mächtigste und am stärksten bewaffnetste Militärmaschinerie der Welt in die Defensive. Amerikas Trauma wurde Vietnams Heldenepos, der bis heute tief verankert ist. Genauso wie der Kult um den kommunistischen Führer "Uncle Ho", der 1969 starb, sieben Jahre vor der Wiedervereinigung Vietnams nach dem Sieg des Nordens.