Alle sind irgendwie gegen Hitler
06:03 Minuten
Vor zwei Jahren erzielte die ARD-Serie "Charité" über das berühmte Berliner Krankenhaus ziemlich gute Quoten. Jetzt läuft die zweite Staffel über die Jahre 1943-45 und die ist vor allem: "groschenhefthaft eindimensional", meint unser Kritiker.
Shanli Anwar: Vor zwei Jahren wurde die erste Staffel der ARD-Serie "Charité" über die Geschichte des berühmten Berliner Krankenhauses ausgestrahlt. Das war ein ziemlicher Erfolg mit Quoten, die sonst nur Sportübertragungen oder "Tatort"-Filme erreichen. Deshalb ist es kein Wunder, dass nun eine zweite Staffel folgt, sechs Teile à 45 Minuten. Spielte die erste Staffel noch zur Kaiserzeit, gibt es nun mit neuem Personal einen Sprung in die Jahre 1943-1945.
Unser Kritiker Matthias Dell hat die Serie bereits gesehen. Die Charité in der Nazi-Zeit – wovon erzählen die neuen Folgen genau?
Matthias Dell: In der bewährten Mischung verbinden sie große Geschichte, die sich an realen Figuren und Begebenheiten orientiert, mit gefühligen Geschichten, die erfunden sind.
Hier ist die Hauptfigur die erfundene Anni Waldhausen, gespielt von Mala Emde, eine junge Ärztin, die zudem schwanger ist, und an der einiges an groschenhefthaftem Schicksalspotential hängt: Das Baby hat einen Wasserkopf, was den Vater, der selbst Menschenversuche macht, es am liebsten loswerden lassen will; außerdem hat Anni einen Bruder, der bei der Wehrmacht und schwul ist, was neben der Euthanasie auch die Verfolgung von Homosexuellen zum Thema macht.
Shanli Anwar: Groschenhefthaft klingt ja nicht besonders ambitioniert – sind die Handlungen wirklich so klischeehaft?
"Nicht besonders elegant erzählt"
Matthias Dell: Ja, das muss man sagen, das ist schon sehr überschaubar, also dieses Herzschmerz-Ding, dann gibt es ein paar medizinische Fachbegriffe und ein bisschen zeithistorischer Hintergrund.
Dass das besonders elegant erzählt wäre, lässt sich nicht sagen. Alle Figuren sind nur Funktionen, jede hat eine Rolle, was man auch daran merkt, dass selbst gute Schauspieler wie Hans Löw, die anderswo vielschichtig sind, hier sehr reduziert wirken, die sind völlig eingeengt auf diese eine Rolle, die sie haben sollen, da geht es um gut und böse, nie um Ambivalenzen.
Und es gibt auch ein paar Randfiguren, die für das Lustige da sind, eine Schwester, ein Fahrer, die dann immer so schön Berlinern. Das sind so klassische Hanswurst-Figuren, einfach, komisch, das Herz dann irgendwie auf dem rechten Fleck.
Shanli Anwar: Jetzt ist die Nazi-Zeit ja aber das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Wie geht "Charité" mit den grausamen Aspekten der Geschichte um? Also, dass auch Ärzte mitgemacht haben bei der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik?
Matthias Dell: Erstaunlich gut gelaunt, möchte man sagen, denn es werden viele Sprüche geklopft, Witze gemacht. Und das ist dann schon bezeichnend für die Hilflosigkeit, wie "Charité" versucht, Schuld und Trauma zu besiegen, in dem gut gelaunt lauter Witze gemacht werden.
Nicht, dass es damals keine gab, aber diese süffige, pseudosouveräne Darstellung erzählt doch mehr über den Blick der Drehbuchautorinnen Dorothee Schön und Sabine Thor-Wiedemann von heute als über die Zeit.
Es gibt in "Charité" auch erstaunlich viele Leute, die gegen Hitler sind, die Bösewichter sind so schematisch-eindimensional wie die Hanswurst-Figuren, das ist alles so statisch und zugeordnet, dass man eigentlich nichts darüber erfährt, wie es eigentlich wirklich war.
Shanli Anwar: Der bekannteste Arzt der Charité in dieser Zeit war der Chirurg Ferdinand Sauerbruch. Wie wird der dargestellt?
Auch hier: Der Mythos der "Anständigen"
Matthias Dell: Als vor allem gutmütiger Patriarch, eigentlich die Karikatur davon, so wie Ulrich Noethen das spielt. Dabei ist Sauerbruch ambivalent in seinem Verhältnis zu den Nazis, die er anfangs begrüßt. Hier ist er dann der, der es von Anfang an besser gewusst hat, der fast alles hat kommen sehen, ganz dicke mit dem Widerstand ist.
Die Verbindungen gab es, aber sie sind eben so eindeutig erzählt, von Anpassung oder Feigheit keine Spur.
Und das ist eben nicht Ambivalenz, sondern schon die Erklärung, die man sich nach 1945 gebastelt hat, ich konnte ja nichts machen, ich hab's für unsere Jungs in der Wehrmacht gemacht, die irgendwie auch alle anständig, bloß verführt waren. Und das ist das wirklich Ärgerliche, wenn auch nicht Überraschende an Charité 2 – dass die gleichen Mythen erzählt werden wie in fast allen Filmen seit "Die Mörder sind unter uns", Hitler böse, SS ganz schlimm, Stauffenberg Held und ansonsten alle anständig, tendenziell widerständig, aber was soll man machen.
Shanli Anwar: Charité, die zweite Staffel, beginnt heute mit den Folgen 1 und 2 ab 20.15 Uhr in der ARD, vielen Dank!
(abu)