20.000 Interessenvertreter in Brüssel

Anleitung zum Lobbyismus

Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Abstimmung
Wer hat ihnen was geflüstert? Mitglieder des Europäischen Parlaments während einer Abstimmung © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Von Thomas Otto |
Rein statistisch gesehen kommen auf jedes Mitglied des Europäischen Parlaments mindestens 20 sogenannte Interessenvertreter. Europa-Korrespondent Thomas Otto hat einen von ihnen getroffen und erklärt worauf zu achten ist - beim erfolgreichen Lobbyismus.
Sie reden mit Entscheidungsträgern in den EU-Institutionen, überhäufen Abgeordnete mit ihren Änderungsanträgen für Gesetzesvorlagen. Bezahlt werden sie von Unternehmensverbänden, Anwaltskanzleien, PR-Firmen, Denkfabriken, Beraterfirmen, Stadtverwaltungen und, und, und.
Sind Lobbyisten die heimliche Macht in der Politik?
In Brüssel, der europäischen Hauptstadt jedenfalls, arbeiten schätzungsweise über 20.000 Interessenvertreter. Rein statistisch wird jedes Mitglied des Europäischen Parlaments von mindestens 20 sogenannten Interessenvertretern, sagen wir mal "betreut".
Unser Europa-Korrespondent Thomas Otto hat einen von ihnen getroffen und erklärt uns worauf Sie achten müssen, wenn Sie als Lobbyist erfolgreich sein wollen.

Willkommen zum Telekolleg Lobbyismus. Heute lernen Sie, wie Sie als Lobbyist in Brüssel die Gesetzgebung der EU mitgestalten können. Und zunächst stellt sich Ihnen unser Experte vor:
"Ich heiße Konstantinos Maragkakis, ich bin leitender Berater bei Instinctif, einem Netz von Beratungsfirmen, die sich mit Unternehmenskommunikation und -strategie beschäftigen. Ich bin 42 Jahre alt, arbeite seit 2004 in Brüssel und seit Sommer 2015 für Instinctif."
Lektion 1: Der Kunde
Ihre Kunden können aus allen denkbaren Bereichen der Wirtschaft kommen und unterschiedlich groß sein. Egal ob internationaler Konzern oder mittelständischer Betrieb: EU-Gesetzgebung kann prinzipiell alle Unternehmen betreffen. Ein Beispiel:
Es gibt eine Firma X im Land Y in Südost-Europa, die sich mit einem nationalen Gesetz auseinandersetzen muss. Diese Gesetzgebung wurde sehr kurzfristig erlassen und hat finanzielle Auswirkungen auf das Unternehmen. Gleichzeitig gibt es einige Probleme mit dem Staatshaushalt. Deshalb will die Regierung so schnell wie möglich Geld einnehmen. Die Regierung hat aber gewisse europäische Verpflichtungen und wenn sie diese nicht erfüllt, könnte sie noch viel mehr verlieren.
Deshalb will unser Unternehmen erreichen, dass dieses neue Gesetz geändert wird. Ihre erste Anlaufstelle als Lobbyist:
Lektion 2: Die Kommission
Als Hüterin der Verträge und Besitzerin des Initiativrechts für neue EU-Gesetzgebung spielt die EU-Kommission für Sie eine zentrale Rolle:
Firma X könnte wahrscheinlich direkt an die zuständige Abteilung der EU-Kommission einen Brief schreiben und ihre Position erläutern. Jeder kann mit der Kommission in Kontakt treten und um ein Gespräch bitten. Bei so einem Treffen würde man dann sehen, welche Position die Kommission dazu hat.
Im Idealfall überzeugen Sie die Kommission so bereits vom Anliegen ihres Kunden. Herzlichen Glückwunsch! Waren Sie noch nicht erfolgreich, greifen Sie zurück auf:
Lektion 3: Das EU-Parlament
Das Parlament hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen und wird für Ihre Arbeit als Lobbyist immer wichtiger werden. Unser Experte Konstantinos Maragkakis rät:
"Man müsste auf den zuständigen Ausschuss zugehen, der sich mit dem Thema beschäftigt. Im nächsten Schritt könnte man sich mit Abgeordneten treffen und sein Problem schildern. Man könnte ihnen sogar Änderungsanträge zur fraglichen Gesetzgebung vorstellen. Ob der Abgeordnete diese unterstützt und übernimmt, liegt bei ihm. Beim Beispiel von Firma X aus Südost-Europa würde man vielleicht einen Abgeordneten aus diesem Land ansprechen. Dieser könnte die Kommission dazu befragen und damit Druck aufbauen. Aber das liegt ganz beim Abgeordneten."
Versuchen Sie, so viele Unterstützer wie möglich zu gewinnen, denn: Die Entscheidungsprozesse in der EU sind komplex und nie nur von einigen wenigen Akteuren abhängig. Deshalb sorgen sie auch dafür, dass ihr Kunde stets einen Informationsvorsprung besitzt. Aber Achtung! Ihr Engagement kann auch nach hinten losgehen:
Lektion 4: Worst Case Szenario
Die Kommission könnte sogar kehrt machen, sich an die Firma und den Mitgliedsstaat wenden und sagen, dass Firma X falsch liegt und das Gesetz vollkommen in Ordnung ist. Dann hätte man einen Boomerang-Effekt erzeugt.
Haben Sie alles richtig gemacht, sollte sich das Interesse ihres Kunden im Gesetzgebungsprozess niederschlagen. In unserem gar nicht ganz so fiktiven Beispiel war Konstantinos Maragkakis am Ende erfolgreich:
Schließlich löste der Fall eine offizielle Untersuchung der Kommission aus. Das erzeugte so viel Druck, dass der Kunde diesen nutzen konnte und die Regierung letztendlich ihre Gesetzgebung zurückziehen und ändern musste.
Lektion 5: Cowboys
Seien Sie bei ihrer Arbeit als Lobbyist stets auf der Hut, nur saubere Methoden zu verwenden! Sonst haben Sie ganz schnell einen Skandal am Hals, der Ihnen und vor allem Ihrem Kunden mehr schadet als nützt:
Wenn ich zum Beispiel nach Feierabend hinter verschlossenen Türen Treffen organisieren würde zwischen Vertretern von Unternehmen und Organisationen und Leuten, die in den EU-Institutionen arbeiten, dann würde ich dafür gefeuert werden. Und offen gesagt, würde ich auf solch ein Verhalten herabblicken. Denn damit würde ich meinen Kunden, jeden Anwesenden und auch mich selbst gefährden. So ein Verhalten ist völlig unprofessionell.
Wenn Sie diese fünf einfachen Lektionen beachten, steht Ihrer Karriere als Lobbyist nichts mehr im Weg. Außerdem sollten Sie lediglich noch: Englisch und Französisch fließend in Wort und Schrift beherrschen, in Brüssel gut vernetzt sein, sämtliche Institutionen und Abläufe der Gesetzgebung der EU kennen, idealerweise schon einmal für die Kommission gearbeitet haben…
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