20 Jahre ARD-Aussprachedatenbank

Wie sagt man das richtig im Fernsehen?

Deniz Yücel am 21.07.2016 in Berlin
Deniz Yücel - Yüschel, Yüzel oder Yüschäll? © imago stock&people
Von Tobias Wenzel |
Seit 20 Jahren arbeiten die Sprecher der "Tagesschau" mit einem unverzichtbaren Arbeitsmittel: der ARD-Aussprachedatenbank. Unser Autor Tobias Wenzel hat sie in Frankfurt besucht, aber in Berlin seine phonetische Reise begonnen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert schweigt. Er steht im Reichstagsgebäude und hat einen Zettel in die Hand gedrückt bekommen, mit der Bitte, das sehr lange Wort darauf laut zu lesen. Den Namen, mit dem die Nipmuck-Indianer einen See in den USA bezeichnen.
"Nein, ich denk nicht dran, es zu versuchen."
Draußen vor dem Parlament trauen sich dagegen einige Passanten:
Mann 1: "Chargoggagoggman..."
Frau: "... chauggagoggchaub..."
Mann 2: "... unagungamaugg."
Wie soll man das nur artikulieren? In einem Kellerbüro des Hessischen Rundfunks in Frankfurt kennen die Mitarbeiter die Antwort nicht nur auf diese Frage.
Henrike Scharfenberg: "Schönen guten Tag. Henrike Scharfenberg mein Name."
Henrike Scharfenberg arbeitet für die ARD-Aussprachedatenbank. Gerade telefoniert sie mit der südkoreanischen Botschaft, um für eine Hörspielproduktion die Aussprache eines Naherholungsgebiets zu erfragen.
Henrike Scharfenberg: "'Tschukksung?"
Dann transkribiert sie das Ergebnis in internationaler und vereinfachter Lautschrift und zeichnet es mit dem Mikrofon auf. Die so erzeugte MP3-Datei können sich nun Sprecher und Journalisten von ARD und mittlerweile auch von ZDF, ORF und SRF anhören. Rechercheanfragen werden oft innerhalb von wenigen Minuten bearbeitet. Über 380.000 Einträge verzeichnet die Datenbank, die Aussprache eines deutschen Dorfes ebenso wie die eines Musikers aus Aserbaidschan. Fremdsprachliche Wörter sollen so original wie möglich, aber auch so deutsch wie nötig erfasst werden, erläutert Roland Heinemann, der Leiter der Datenbank. Die deutschen Hörer sollen nicht verstört und die Muttersprachler nicht vor den Kopf gestoßen werden.
Roland Heinemann: "Wir loten im Gespräch miteinander aus: Geht das? Oder geht das nicht? Ab wann, lieber ungarischer Kollege oder liebe ungarische Kollegin, tut es dir weh? Und so haben wir die Grenzen unserer Eindeutschungen für weit über dreißig Sprachen erarbeitet."
Aus Datenbank: Xavier Naidoo: "Morge! Hier ist Xavier Naidoo."

Am sichersten sind Selbstauskünfte

Selbstauskünfte sind die sichersten. Aber manchmal nicht möglich. So sitzt der Türkei-Korrespondent der Zeitung "Die Welt" gerade im Gefängnis. Und die Aussprachen in den Medien variieren munter:
Mann: "'Dänniss Jü'dschäll"
Frau: "'Dänniss 'Jüttschel"
Mann: "'Dänniss 'Jüttsel"
Bis die Schwester des Journalisten von Anne Will interviewt wird und den Namen ihres Bruders ausspricht und der Chef der Datenbank mithört und mitspricht:
"'Dänniss Jü'dschäll"
Gerade sucht Roland Heinemann den Eintrag zum türkischen Außenminister:
Roland Heinemann: "Ç-Çavuş … Çavuşbaşi ..."
Jan Hofer: "Çavuş-oğlu, da ist er."
Jan Hofer greift in der Kantine des Norddeutschen Rundfunks in Hamburg über sein Smartphone auf die App der Aussprachedatenbank zu.
Jan Hofer: "Jetzt spiele ich das Audio ab."
Sprecherstimme Datenbank: "Mevlüt Çavuşoğlu."

Ein unverzichtbares Arbeitsmittel und Zeichen der Wertschätzung

Der Chefsprecher der "Tagesschau" kennt noch die Zeiten vor der ARD-Aussprachedatenbank. Da recherchierten er und die anderen Sprecher noch mühsam selbst und lagen bei der Aussprache oft daneben. Werner Veigel war dann manchmal so etwas wie das Korrektiv.
Jan Hofer: "Und ich kann mich noch erinnern, dass ich morgens beim Frühstücksfernsehen um halb sechs mal einen Anruf von ihm bekam: 'Jan, das wird so und so ausgesprochen.' Und ich: 'Ach, Werner, es ist halb sechs.' Und er antwortete: 'Auch um halb sechs wird das richtig ausgesprochen.'"
Für Jan Hofer ist die ARD-Aussprachedatenbank heute ein unverzichtbares Arbeitsmittel.
Jan Hofer: "Bei uns gibt es ja den Grundsatz 'Die Nachricht steht im Vordergrund'. Und wenn sich jemand über ein Detail ärgert, dann verfolgt er die Nachricht nicht mehr, sondern er kümmert sich nur noch darum, was da falsch ausgesprochen wurde. Und das wollen wir natürlich nicht. Und deswegen legen wir da schon großen Wert drauf. Wir sind da vielleicht in Deutschland auch ein bisschen pingeliger als in anderen Ländern."
Roland Heinemann: "Ich halte es vor allem für ein Zeichen von Wertschätzung anderen Menschen, anderen Kulturen gegenüber."
Anhand eines Youtube-Videos aus dem indonesischen Fernsehen überprüft Roland Heinemann auf die Bitte eines Schweizer Journalisten hin die Aussprache des zurückgetretenen Gouverneurs von Jakarta.

"Wir sind nicht die Polizei"

"Basuki Tjahaja Purnama."
"Jetzt kommt wieder etwas Aktuelles: 'Südkorea, Wahlen, Präsident: Linkspolitiker Moon'."
Zu seinen Mitarbeiterinnen: "Da müssten wir mal gucken, bitte! Südkorea. Moon Jae, haben wir den?"
Laut Eilmeldung ist der Politiker Südkoreas neuer Präsident.
"Das ist der. Moon Jae-in. Den haben wir."
Roland Heinemann: "Wir sind nicht die Polizei. Wir geben Empfehlungen ab und wenn man unsere Empfehlungen befolgt, das heißt in der Datenbank nachguckt, gut. Wenn nicht, auch gut."
Wer den US-amerikanischen See in der Sprache der Nipmuck-Indianer im deutschsprachigen Rundfunk angemessen artikulieren möchte, wird allerdings kaum auf die Hilfe der ARD-Aussprachedatenbank verzichten wollen:
Aussprache des US-amerikanischen Sees Chargoggagoggmanchauggagoggchaubunagungamaugg:
"Tscherr'goggeggogg-männ'tschohgeggogg-tsche-banne'gang-gemmohg."