Techno auf Blech
Sie sind eine weltmusikalische Institution: Die rumänische Band Fanfare Ciocarlia - auf deutsch: die "Lerchen-Bläser". Ihr 20-jähriges Bestehen feiert das zwölfköpfige Blechblasensemble mit dem neuen Album "Onwards To Mars" und einer Welttournee.
"Onwards to Mars" – ins Weltall wollen sich Fanfare Ciocărlia mit ihrem neuen, mittlerweile achten Album aufmachen. Das klingt, als sei die Band größenwahnsinnig geworden, als hätten sie den Bezug verloren zu ihren Wurzeln und zu ihrem Publikum. Doch die Freunde der Blechblasmusik können aufatmen: Auch nach 20 Jahren und mittlerweile fast 2000 Konzerten klingt die Fanfare noch immer so frisch, und energiegeladen wie am ersten Tag.
Die Geschichte der Band beginnt im Sommer 1996. Damals kam der junge Leipziger Toningenieur Henry Ernst in das kleinen Roma-Dörfchen Zece Prajini im Nordosten Rumäniens – und erlebte eine blasmusikalische Offenbarung.
"Ich bin eigentlich in das Dorf gekommen für 'ne Stunde, das war mein Plan. Mal hören, Blasmusik, das ist sicher was Komisches. Ich hab nie auf Blasmusik gestanden. Ich hab dann innerhalb von fünf Minuten 20, 25 Menschen erlebt, von ganz jung bis alt, die eine Blasmusik gespielt haben, die ich mir nicht in meinen Träumen hätte ausdenken können. Das war purer Techno auf Blech, extrem schnell, eine Wucht, eine Wand von Klang, wo ich einfach dasaß und dachte Wow, Wahnsinn!"
Aus der zufälligen Begegnung resultierte eine erste improvisierte Deutschland-Tournee mit Henry Ernst als Manager – und der Startschuss für ein Genre, das heutzutage gerne als "Gipsy Brass" bezeichnet wird. Dabei geht es darum, traditionelle Tänze, populäre Melodien und eigene Kompositionen so für ein Blechblas-Ensemble zu arrangieren, dass sie gleichzeitig fantasievoll, virtuos und doch tanzbar klingen. Natürlich ist der Sound von Fanfare Ciocărlia in den letzten 20 Jahren oft kopiert worden, ihre Raffinesse haben aber nur die Wenigsten erreicht: Denn bei den 12 Rumänen geht es eben nicht nur um größtmögliche Lautstärke und Geschwindigkeit, sagt Cimaj Trifan, Gründungsmitglied und erster Trompeter der Band
"Unser Erfolgsrezept besteht in der permanenten Arbeit – an uns selbst und an unseren Fähigkeiten. Wir wollen nicht nur eine Spaß- und Partyband sein, sondern wir versuchen, unseren musikalischen Horizont in alle möglichen Richtungen zu erweitern. Deswegen spielen wir immer gerne in anderen Ländern und mit anderen Musikern: Wir saugen diese Einflüsse auf, wir arrangieren sie um, wir mischen sie mit eigenen Kompositionen und dann geben wir sie – in unserer Interpretation – an das Publikum zurück."
Fanfare Ciocărlia spielte Song mit Cumbia-Band ein
"Fiesta de Negritos" ist so eine Komposition – im vergangenen Sommer im Rahmen einer Südamerika-Tournee ist sie entstanden. Damals trafen die Fanfare-Musiker bei einem Festival in Medellin auf Puerto Candelaria, eine der führenden Cumbia-Bands Kolumbiens. Obwohl die kein Wort rumänisch konnten, und die Roma kein Spanisch, verstanden sich die Musiker großartig – und in nur drei Stunden war der gemeinsame Song im Kasten.
Egal was Fanfare Ciocărlia machen, ob sie ein rumänisches Volkslied spielen, ob sie sich einem ganz neuen Genre öffnen oder einen Klassiker covern – über jedes Stück wird in der Band demokratisch abgestimmt. Denn nicht jede Adaption macht Sinn, sagt Cimaj Trifan
"Wir haben schon die unterschiedlichsten Stile gespielt: Jazz, Rock, Filmmusik oder Blues. Aber an erster Stelle steht für uns immer die Frage, ob uns ein Stück berührt, ob es uns Spaß macht und ob es uns nach vorne bringt. Eine Coverversion macht nur dann Sinn, wenn wir dem Stück noch etwas wirklich Neues hinzufügen können. Das war auch diesmal wieder so, als wir 'I put a spell on you' von Screaming Jay Hawkins aufgenommen haben. Wir kennen den Song seit Jahren, er läuft oft in unserem Tourbus, wir brauchten aber unbedingt einen Sänger, der diesen irren Gesang gut trifft: Den haben wir dann schließlich in einem Nachbardorf gefunden, den Blues Sänger Iulian Canaf. Er war begeistert von der Idee und so haben wir das Stück zusammen aufgenommen."
Gipsy Brass funktioniert überall
Mit ihrem neuen Album gehen Fanfare Ciocărlia jetzt auf eine große Welttournee, die die Band unter anderem nach Japan führt, wo sie sehr populär sind, aber auch nach Abu Dhabi und in die USA. Anfangs habe er sich noch Sorgen gemacht, erinnert sich Henry Ernst, wenn er mit seinen Musikern in Länder kam, in denen sie noch nie gespielt hatten. Doch mittlerweile weiß er: Gipsy Brass funktioniert überall.
"Fanfares Interpretationen, die sind einfach ansteckend. Man merkt das auch. Wir haben irgendwann mal in Mexiko City im Park gesessen, weil wir einen Titel arrangieren wollten. Im Hotel ging es nicht, keinen Raum gefunden, also die sind raus in den Park. Sie haben angefangen zu spielen und innerhalb von fünf bis zehn Minuten standen da 200 Leute, die waren alle angesteckt, keiner konnte mehr weitergehen. Insofern: Kommunikation, das läuft alles über Musik. Selbst an entlegensten Orten, wo wir dachten: rein geographisch, kulturell, das kann nicht hinhauen, funktioniert diese Musik und das ist das Faszinosum an Fanfare Ciocărlia."