Familienstimmung im All
Vor 20 Jahren wurde die internationale Zusammenarbeit in der Raumstation ISS vertraglich vereinbart. Der Astronaut Thomas Reiter ist optimistisch, das sie trotz der neuen Gegensätze zwischen Moskau und Washington weiter gehen wird.
Die Internationale Raumstation (ISS) ist eine bemannte Raumstation, die in internationaler Kooperation betrieben und ausgebaut wird. Sie befindet sich seit 1998 im Bau und derzeit das größte künstliche Objekt im Erdorbit. Die Verträge für die ISS wurden am 29. Januar 1998 von 15 sehr unterschiedlichen Nationen unterzeichnet. Seit mehr als 17 Jahren wird die Internationale Raumstation permanent von Astronauten bewohnt, die dort wissenschaftlich zusammen arbeiten. Die Regierung von US-Präsident Trump hat bekannt gegeben, dass sie die Finanzierung dieser internationalen Kooperation bis zum Jahr 2025 einstellen will.
Gemeinsame Ziele
„Inzwischen ist das eine gemeinsame Familie“, sagte der Astronaut Thomas Reiter, der selbst auf der ISS gearbeitet hat, im Deutschlandfunk Kultur. „Man verfolgt gemeinsame Ziele im Weltraum, die dem Wohle aller dienen.“ Das mache sich bereits in der Ausbildung und in der Zusammenarbeit am Boden bemerkbar. Es seien nicht nur die Astronauten, die zusammen arbeiteten, sondern dazu gehörten auch große Wissenschaftlerteams und Ingenieurteams, die für den Betrieb sorgten. Wenn er deshalb von „Familie“ spreche sei das nicht etwa eine verklärte Sicht, sondern bestimme den Alltag.
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Vor 20 Jahren unterzeichneten 15 verschiedene Staaten die Verträge zum Bau und Betrieb der Internationalen Raumstation ISS. Wichtigste Partner waren und sind dabei die USA und Russland, zwei Staaten, die auf der Erde in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch etliche Konflikte miteinander auszufechten hatten und immer noch haben.
Ich habe deshalb Thomas Reiter, heute Koordinator internationaler Agenturen und Berater des Generaldirektors bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, zuvor als Astronaut mit insgesamt 350 Tagen länger im Weltall als jeder andere Europäer, ich habe Thomas Reiter gefragt, was für ihn eigentlich die größere Leistung im Zusammenhang mit 20 Jahren ISS ist – die wissenschaftliche oder die politische?
Thomas Reiter: Na ja, aus meiner Sicht sind in beiden Bereichen wirklich Höchstleistungen erbracht worden. Rein technisch, der Zusammenbau eines so großen Objektes im Erdorbit ist bisher wirklich einmalig gewesen, wenn man sich vorstellt, wie viel Millionen von Teilen dort zusammengebaut werden mussten, die dann dort oben passen mussten und auch zusammen funktionieren mussten, das ist schon etwas Besonderes.
Politisch gesehen halte ich es auch für absolut beachtlich. Man muss sich, glaube ich, noch mal in Erinnerung rufen, dass Mitte der 90er-Jahre der Grund für dieses Abkommen, für dieses intergovernmental agreement, mit 15 Nationen ja nicht nur technische, wissenschaftliche Aspekte waren, sondern das fand statt zu einer Zeit, als die Sowjetunion auseinandergebrochen war, und einer der großen politischen Ziele war es damals, eben gerade diese vielen Spezialisten in Russland davor zu bewahren, dass sie also ihre Arbeitsplätze verlieren, in irgendwelche anderen Staaten abwandern Irak oder Nordkorea, und das wird heute hin und wieder vergessen, dass eben eines der großen Ziele wirklich eben auch diese politische Zusammenarbeit war.
Keine politische Verstimmung
Kassel: Nun hat sich die ja auf der Erde verändert inzwischen. Manche Menschen reden sogar von einer Rückkehr des Kalten Krieges. Das ist vielleicht ein bisschen übertrieben, aber das Verhältnis gerade zwischen den USA und Russland ist ja doch ein sehr viel schwierigeres inzwischen als vor 20 Jahren. Wirkt sich das irgendwie auch auf die ISS und auf die Zusammenarbeit aus?
Reiter: Bisher kann ich sagen: Gott sei Dank nicht. Auf Arbeitsebene funktioniert das in bewährter Weise wie schon in den vergangenen 20 Jahren. Klar, da gibt es auch mal Situationen, wo es mal ein bisschen knirscht, das hat dann aber mehr so programmatische Gründe, aber im Großen und Ganzen – und dabei klopfe ich wirklich auf Holz – funktioniert die Zusammenarbeit jenseits dieser Querelen, die beispielsweise mit der Situation in der Ukraine entstanden sind, und jetzt gerade die Situation zwischen USA und Russland, die natürlich auch nicht besonders positiv ist, in der Raumfahrt macht sich das … oder zumindest im ISS-Programm macht sich das bisher noch nicht bemerkbar.
Kassel: Sie kennen ja zwei Raumstationen aus eigener persönlicher Erfahrung. Sie waren sowohl an Bord der Mir, also der russischen beziehungsweise sowjetischen Raumstation und dann später auch auf der ISS. War das eigentlich atmosphärisch ein grundsätzlicher Unterschied?
Reiter: Das kann man schon sagen. Auf der Mir-Station zunächst mal, was die Rahmenbedingungen angeht, war das noch etwas rustikaler. Wir hatten seinerzeit ein Andocken von einem amerikanischen Shuttle STS-74, und man hat schon gemerkt, dass das für beide Seiten noch so ein bisschen neu war, wirklich neues Terrain, das man da begangen hat. Inzwischen ist das zu einer Selbstverständlichkeit geworden, mal ganz abgesehen davon, dass natürlich die Internationale Raumstation aufgrund ihrer Größe – sie ist ein Vielfaches größer als die Mir-Station – viel mehr Komfort bietet.
Kassel: Ist es eigentlich, wenn man auf der ISS ist, plötzlich völlig egal, aus welchem Land ein Kollege kommt, welche Raumagentur ihn geschickt hat oder redet man doch mal drüber?
Reiter: Na ja, also inzwischen ist das eine gemeinsame Familie, man verfolgt gemeinsame Ziele im Weltraum, die dem Wohle aller dienen, und das macht sich bereits in der Ausbildung, in der Zusammenarbeit hier am Boden bemerkbar. Es sind ja nicht nur die Astronauten, die da zusammenarbeiten, sondern da gehören große Wissenschaftlerteams dazu, Ingenieurteams, die für den Betrieb sorgen.
Wenn ich jetzt sage, dass man sich da schon so ein bisschen wie so eine große Familie fühlt, ist das nicht so eine verklärte Sicht, sondern dann ist das wirklich das, was man eigentlich tagtäglich empfindet. Das wird auch immer, wenn so Kongresse stattfinden, die ja in der Raumfahrt jedes Jahr an verschiedenen Orten immer wieder stattfinden, man trifft die Leute, mit denen man mehr oder weniger regelmäßig zu tun hat, und da merkt man, das ist ein enorm guter Zusammenhalt.
Zukunft der ISS
Kassel: Wie lange wird uns denn die ISS für solche und andere Zwecke noch zur Verfügung stehen?
Reiter: Also vorletztes Jahr haben die ESA-Mitgliedsländer beschlossen, sich bis 2024 an dem Programm zu beteiligen. Wir wissen, aufgrund von Untersuchungen, die wir in Europa ebenso wie die anderen Partner gemacht haben, dass rein technisch die ISS bis mindestens 2028 betrieben werden könnte mit einem vertretbaren Wartungsaufwand. Wie jetzt die Entscheidung fallen wird, ob man dann noch mal den Betrieb über 2024 hinaus verlängert, und dann tatsächlich um vier Jahre oder ein bisschen weniger, das kann ich natürlich schwer voraussagen.
In Anbetracht der Investitionen, die natürlich beachtlich sind, macht es schon Sinn, so viel wie möglich – ich will es mal platt sagen – da rauszuholen. Aber klar, irgendwann wird mal der Moment kommen, wo der Wartungsaufwand einfach sehr stark ansteigt. Wir haben das an Bord der Mir-Station gesehen, die dann 2001 zum Wiedereintritt gebracht wurde, und ich denke, ein gleiches Schicksal wird dann früher oder später – ich hoffe eher später – auch der Internationalen Raumstation bevorstehen.
Kassel: Wie sehen Sie denn die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit im Weltraum? Täuscht der Eindruck, den ich habe, dass es ein paar neue – das ist relativ offensichtlich, China und Indien zum Beispiel –, aber auch alte Raumfahrtnationen gibt wie die USA, die wieder stärker zu nationalen Alleingängen neigen, die das wieder zum Teil als Prestigeprojekt sehen? Ich meine, Donald Trump hat ja angekündigt, er will, dass die USA den ersten Menschen zum Mars schicken, und zwar alleine. Also ist die Zeit dieser Zusammenarbeit langsam wieder vorbei?
Reiter: Wissen Sie, was bei solchen Raumfahrtprogrammen eigentlich immer eine große Rolle spielt, ist der Zeithorizont. Solche Dinge lassen sich halt nicht in Zeiträumen von Legislaturperioden machen, und auch so eine erste Mission mit Astronauten zum Mars, denke ich, das wird noch ein paar Jahrzehnte, ich würde mal schätzen, vielleicht zwei Jahrzehnte dauern, da sind noch einige technologische Probleme zu lösen. Und wir sagen aus europäischer Sicht immer, Exploration des Weltraums ist eine internationale Aufgabe.
Viele unserer amerikanischen Partner bei der NASA, die sehen das genauso, und insofern bin ich da eigentlich trotz dieser Situation, die Sie in Ihrer Frage angedeutet haben, eher optimistisch, dass man sich darauf besinnt, dass man gemeinsam eben doch am ehesten diese Ziele erreichen kann und dann eben im Laufe der nächsten Jahre schaut, wie so diese Mosaiksteinchen, die man dann zusammensetzen muss, um so eine Mission gemeinsam zu machen, wie man die dann auch zustande bringt.
Forum für weitere Partner
Kassel: Das heißt, eine Raummission, ob es nun eine neue Raumstation irgendwann sein wird oder eine andere, an der neben Astronauten und Kosmonauten zum Beispiel auch Taikonauten beteiligt sind, halten Sie absolut für denkbar.
Reiter: Ich halte es für denkbar und auch für wünschenswert. Interessant ist übrigens, es gibt ein Forum, das nennt sich International Space Exploration Coordination Group, da sind inzwischen 14 Agenturen vertreten, unter anderem eben auch solche Raumfahrtagenturen aus Indien, aus China, aus Südkorea, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Dort tauscht man sich so über Ideen, Visionen aus.
Das ist nicht verbindlich, was die programmatische Einplanung angeht, aber es ist ein Forum, in dem eben auch so ein bisschen Vertrauen geschaffen wird, in dem man sich austauscht, und deshalb bin ich da eben zuversichtlich, dass sich daraus dann auch tatsächlich gemeinsame Programme entwickeln.
Kassel: Thomas Reiter, mit 350 Tagen im All so lange im All gewesen wie kein anderer europäischer Astronaut, heute Koordinator für internationale Agenturen bei der Europäischen Raumfahrtagentur ESA, über die Geschichte der Raumstation ISS und die zukünftige internationale Zusammenarbeit im Weltraum, denn vor genau 20 Jahren wurden die Verträge unterzeichnet, die den Bau und den Betrieb der Raumstation erst ermöglichten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.