Die "superclevere" Pianistin
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Die große Pianistin Clara Schumann wäre am heutigen Freitag 200 Jahre alt geworden. Sie galt als Wunderkind. Trotzdem habe sie ihr Talent immer wieder gegenüber ihrem Mann, Robert Schumann, behaupten müssen, sagt die Schumann-Expertin Ragna Schirner.
Mascha Drost: Der Lebenslauf von Clara Schumann war eine Fundgrube und ist eine Fundgrube für Mythen aller Art: das gedrillte Kind, die unterdrückte Ehefrau, die verhinderte Komponistin, Opfer männlichen Ehrgeizes, egal, ob des des Vaters oder des Gatten. Aber so einfach ist die Sache nicht, denn welche Stärke sich hinter der zarten und zerbrechlichen Fassade verbarg, das erkannten der Vater, das Publikum und natürlich auch jener junge Mann, der aus Mademoiselle Wieck Madame Schumann machte.
Über das Leben und die Kunst Clara Schumanns habe ich mit der Pianistin Ragna Schirmer gesprochen, die sich wohl wie keine andere Musikerin mit der Kunst und der Person Clara Schumanns beschäftigt hat. Dass sie selbst sich der Besonderheit ihres Lebens bewusst war, zeigt das folgende Zitat: "Die Menschen haben ja keinen Begriff, wie, um es in der Kunst zu etwas Bedeutendem zu bringen, die ganze Erziehung, der ganze Lebenslauf ein anderer sein muss als in gewöhnlichen Verhältnissen." Wie ungewöhnlich war der Lebenslauf von Clara Schumann für die damalige Zeit, das wollte ich zuerst von Ragna Schirmer wissen.
Ragna Schirmer: Das ist ein wunderbares Zitat, was sehr vieles zusammenfasst, denn ungewöhnlich ist ja schon Claras früheste Kindheit. Sie wurde von der Mutter getrennt - per sächsischem Gesetz, weil diese sich von Friedrich Wieck scheiden ließ, und deswegen musste Clara beim Vater aufwachsen. Und der Vater war ein sehr ehrgeiziger Klavierpädagoge, der natürlich das Talent seiner Tochter erkannte und durch ihren Ruhm natürlich auch seine Pädagogik wertgeschätzt wusste. Er hat also, sagen wir es mal kühn, behauptet: Wenn man bei mir lernt, dann kann man so spielen wie Clara, was sich natürlich in anderen Fällen nicht bewahrheitet hat.
Clara hat dann natürlich im Gegenzug - wenn man sich vorstellt, ein fünfjähriges Mädchen, das sich natürlich nach Liebe und Zuwendung sehnt - erkannt, dass sie die Liebe und die Zuwendung des Vaters durch ihre Leistung erhält; und ist dann entsprechend fleißig gewesen, ist aufgetreten, hat ganz, ganz vieles geleistet und hat dann mit Sicherheit – das kann man aus vielen Puzzleteilen zusammensetzen – die Musik auch als Zuflucht, als Sehnsucht, als Partner, aber auch als Kraftquelle für sich entdeckt. Insofern war das ihr Leben lang ihr großer Halt. Wenn sie das so formuliert, dass andere Menschen keine Ahnung haben, was das bedeutet, dann stecken da ganz, ganz viele Stunden, abertausende, am Klavier, aber natürlich auch im Nachdenken über Musik in der Reflexion über sich selbst, über das Auftreten, über die eigene Psyche und so weiter drin. Das drückt das sehr schön aus.
"Sie wusste ganz genau, was sie will, wer sie ist"
Drost: Wie eigenständig war sie denn durch ihre Kunst, also hat ihr Klavierspiel ihr einen Grad der Emanzipation eröffnet, der anderen Frauen vielleicht unmöglich war zu dieser Zeit?
Schirmer: Das auf jeden Fall, weil Künstlerinnen hatten natürlich auch auf dem Podium den Königinnenstatus, und den hat sie genutzt, und sie war auch sonst sehr eigenständig. Also die Erzählungen, wenn ich jetzt von der frühesten Kindheit berichte, klingen immer so, als hätte sie da nur Autoritätshörigkeit erfahren, aber es ist natürlich so, dass sie dann ganz genau wusste, was sie will, wer sie ist. Das hat sie auch in dieser nicht ganz unproblematischen Ehe natürlich immer wieder durchgesetzt. Robert Schumann hätte sie gerne zu Hause gesehen, hätte gerne gehabt, wenn sie nicht so viel reist. Dann hat sie aber ganz einfach argumentieren können, aber ich verdiene doch so viel Geld mit meinem Reisen und konnte sogar ihm das Gefühl geben: Ich mache das doch am Ende nur für dich, damit du frei komponieren kannst, damit du keine Geldsorgen hast, damit du dich um nichts kümmern kannst, lass mich reisen und Geld verdienen, dann kannst du hier zu Hause komponieren.
Das ist natürlich superclever, weil da hat er nichts entgegenzusetzen. Dann hat sie während der Ehe schon unglaublich viele, sehr erfolgreiche Konzerte geben können, also auch finanziell erfolgreiche, und so hatte sie dann auch die Kraft als junge Witwe mit dann sieben Kindern, diesen Status zu etablieren und als berühmte Pianistin dann wirklich auch sehr, sehr wohlhabend zu werden.
Drost: Sie war ja ein Wunderkind, galt als die größte Pianistin ihrer Zeit. Was hat denn ihr Spiel ausgezeichnet, soweit man das anhand ihrer Werke und der zeitgenössischen Kritiken sagen kann?
Schirmer: Für Clara spielte immer das Melodiöse, das Liedhafte in der Musik die zentrale Rolle. In fast allen ihrer Konzerte – das kann ich aufgrund der Originalprogrammzettel nachvollziehen – tritt ein Sänger, eine Sängerin mit auf. Sie spielt also selten ganz alleine, und auch zusätzlich zu Orchesterkonzerten oder Kammermusik war immer ein Sänger mit Liedern oder Arien zugegen. Daran kann man schon erkennen, dass ihr das Genre Lied wirklich sehr am Herzen lag. Ihre Lieder sind auch von berückender Schönheit, die sie komponiert hat. Man merkt auch in anderen Werken, zum Beispiel ihre Präludien und Fugen, wie sie es schafft, selbst aus einem so spröden Format wie einer Fuge wirklich ein Lied zu formen, den Gesang herauszuheben. Man liest auch in ihren Tagebüchern und Briefen immer sehr viel, wenn sie auch über andere Musiker urteilt, dass ihr das Gesangliche fehlte oder das Gesangliche besonders schön war. Also das kantable der Musik war ihr zentrales Thema in ihrer Interpretation. Das ist natürlich etwas, was uns auch heute sehr viel Freiheiten gibt, dass wir atmen müssen. Auch bei ihren Werken ist das zentral wichtig, dass man immer wieder Luft holt, dass man das nicht metronomisch irgendwie abspult.
Meistens die einzige Frau auf dem Podium
Drost: Haben sich denn die Kritiken verändert, wenn man jetzt auf die Zeit als Wunderkind blickt und dann später auf die Zeit als reife Künstlerin? Sie hat ja wirklich sehr, sehr lange noch konzertiert.
Schirmer: Es ist erstaunlich, dass sie relativ selten wirklich schlimmen Gegenwind erfahren hat. Sie hat natürlich die ein oder andere Abfuhr auch in der Presse kassiert. Es gab auch Konzertreisen, die waren dann vielleicht in Gänze nicht so erfolgreich wie andere auch. Manchmal ist sie dann mit Liszt verglichen worden, und diesen Vergleich hat sie manchmal gewonnen und manchmal verloren. Da ist man aber als Künstler natürlich irgendwie hart im Nehmen. Aber so richtig große künstlerische Krisen im Sinne von, dass sie tatsächlich vielleicht über Jahre oder sowas Misserfolg hatte, das kannte sie nicht, aber natürlich hat sich ihr Repertoire und auch ihr Auftreten verändert im Laufe der vielen Jahrzehnte, in denen sie aufgetreten ist.
Am Beginn des 19. Jahrhunderts ist sie noch ganz das Wunderkind, was auf der Bühne die Virtuosität zur Schau stellt. Sie weiß auch, sich als Bühnenfigur zu positionieren. Sie überlegt sogar gemeinsam mit ihren Freunden, was sie anzieht und wie das wirkt. Sie weiß, dass sie in den allermeisten Fällen die einzige Frau oder das einzige Mädchen auf dem Podium ist, was natürlich auch eine spezielle Wirkung hat. Das weiß sie ganz genau.
Später dann tritt sie mit nachdenklicheren Werken auf, wendet sich auch anderen Komponisten zu, die jetzt nicht so die Virtuosität im Vordergrund haben, und versteht sich dann aber auch als Missionarin der damals ja neuen Musik, Chopin, Mendelssohn, allen voran Schumann natürlich, und ganz zentraler Komponist in ihrem Schaffen war Beethoven, den sie auch bis ins hohe Alter gespielt hat. Da positioniert sie sich auch als eine Interpretin, die seine Sonaten in Gänze aufführt, was nicht unbedingt üblich war. Man spielte eher mal so die Lieblingssätze – "Mondscheinsonate" ist ein wunderbares Beispiel dafür –, und sie hat aber immer die ganze Sonate gespielt. Das war zum Beispiel auch sehr mutig, ein Novum, und da prägen auch ihre erzieherischen Ideen im Konzertleben unser Leben noch heute.
Drost: Spielt da eigentlich ihr Geschlecht in der Wahrnehmung als Künstlerin eine Rolle?
Schirmer: Diese Frage wird immer viel gestellt. Natürlich hatten die Frauen im 19. Jahrhundert noch weniger Stimme als heute. Sie hatten kein Stimmrecht im politischen Sinne, aber auch ansonsten waren sie relativ abhängig auch vom Wohl oder Wehe dessen, wie sie sich positionierten oder positioniert wurden. Da war Clara natürlich nicht nur clever, sondern sie hatte dann aufgrund ihrer Biografie natürlich auch Glück, in Anführungsstrichen: das Tragische des jungen Witwenstatus war natürlich auch gleichzeitig eine Machtposition, denn die Witwenposition gab ihr die Möglichkeit, ohne dass es auch nur im Entferntesten anrüchig gewesen wäre, alleine zu reisen, alleine unternehmerisch tätig zu werden, Verhandlungen zu führen und Konzerte zu organisieren und so weiter. Da hat sie auch erkannt, dass sie nicht nur keinen Mann braucht, sondern dass eine erneute Ehe, abgesehen davon, dass sie das Andenken an Robert sicherlich nicht in dieser Art und Weise hätte für sich gefährden wollen, die hätte ihr vermutlich eher Privilegien wieder genommen.
Den Vergleich mit Robert Schumann gescheut
Drost: Frau Schirmer, Sie beschäftigen sich ja seit ungefähr 30 Jahren mit Clara Schumann, haben sich durch tausende Programmzettel gearbeitet, durch ihre Werke, die Biografie. Das ist ja eine fast schon symbiotische Künstlerbeziehung über die Jahrhunderte hinweg. Gibt es für Sie überhaupt noch etwas Überraschendes in diesem Leben?
Schirmer: Ja, immer wieder, und ich bin immer wieder dankbar auch durch die vielen Gespräche, die ich nach wie vor habe mit Schumann-Experten. Es gibt auch so viel Literatur. Ich gebe durchaus zu, ich bin zwar durch vieles schon durch, aber wenn ich jetzt das nochmal zur Hand nehme, entdecke ich wieder Neues. Es gibt auch immer wieder neue Aspekte, die mich dann auch zum Nachdenken bringen, zum Beispiel über die Komponistin Clara Schumann: Was bedeutete das eigentlich, dass sie so jung schon veröffentlichte im Gegensatz zu vielen anderen, die schon reifer waren. Was bedeutete das auch für ihr Selbstverständnis als Komponistin und für die darauffolgenden Auseinandersetzungen mit dem Komponieren an sich.
Drost: Und haben Sie schon eine Antwort darauf gefunden?
Schirmer: Ich glaube schon, dass sie sich da selber immer sehr kritisch gesehen hat im Lichte von anderen. Nehmen wir mal das direkte Beispiel Robert und Clara. Sie* war bei ihrem "Opus 1" ein ganz, ganz junges Mädchen, sie komponierte von 11 bis 16 schon einige Zyklen, und sogar das große Klavierkonzert ist schon "Opus 7", das ist also das siebte wirklich veröffentlichte Werk. Dadurch war sie immer die Begabte, aber natürlich auch die irgendwie kleine kindliche Clara, die ganz, ganz toll schon komponiert, sagen wir mal so. Im Gegensatz zu vergleichbaren Biografien wie zum Beispiel Mozart, der ja dann immer weiter komponierte, komponierte, komponierte und hauptsächlich schöpferisch tätig war, war sie in der Hauptsache Pianistin.
Wenn ein Robert Schumann sein "Opus 1" rausbringt mit 19 und die "Papillons Opus 2" sind dann schon wirklich ein Meisterwerk, wird er natürlich auch in der Rezension und der Presse entsprechend wahrgenommen. Diesen Vergleich hat sie dann folgerichtigerweise nicht nur gescheut, sondern da hat sie sich dann auch immer untergeordnet, sagt sogar über ihr Trio, es sei ja nur Frauenzimmerarbeit, nachdem er dann ein Jahr später auch ein Klaviertrio liefert. Das dürften einige der Gründe sein, warum sie das Komponieren dann auch nicht in der Weise weiterverfolgt hat, wie es ihr Talent durchaus zugelassen hätte. Sie hat sich als Pianistin verstanden, wohlwissend, dass natürlich der Ruhm einer Interpretin vergeht, wohingegen der Ruhm von Komponisten wächst, auch post mortem.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
*In der Audiofassung des Gesprächs sagt Ragna Schirmer "Robert", meint aber offensichtlich "Clara".