Erobert das Rad die Städte zurück?
Die Fahrrad-Nutzung nimmt zu. 200 Jahre nach der ersten Radtour des Freiherrn von Drais fragen wir, wie sich die "Auto"-Städte erneut transformieren lassen und wie nachhaltig die "Öko-Maschinen" eigentlich in Zeiten von Elektroantrieben sind.
Jeden Monat treffen sich in Berlin begeisterte Radfahrer zur Fahrraddemo Critical Mass. Seit den 80ern gibt es diese besondere Rundfahrt durch die Stadt - inzwischen ein weltweites Phänomen - in Deutschland wohl in Hamburg mit den meisten regelmäßigen Teilnehmern. Was die Menschen am Rad fasziniert - 200 Jahre nach der ersten Radtour von Freiherr Karl von Drais - haben wir im Getümmel erfragt.
Die Critical-Mass-Events in ganz Deutschland sind die Spitze einer neuen Radbewegung, die sich auch in steigenden Absatzzahlen zeigt. Über 4 Mio. Fahrräder sind im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft worden. Nach Angaben des Deutschen Zweirad-Industrie-Verbands gibt es über 72 Millionen Fahrräder in Deutschland. Vor zehn Jahren waren es noch vier Millionen weniger. Genutzt werden sie hauptsächlich in den Städten.
Überzeugte Radfahrer wie auf der Messe Velo Berlin nutzen auch Lastenräder. Simone Rosenau vom Berliner Fahrrad-Laden "mogool-bikes" empfiehlt dabei die Variante Pedelec - mit Tretkraftunterstützung durch einen kleinen Elektromotor. Über die Frage, ob das Elektro-Rad dann überhaupt noch nachhaltig sei, kann sie nur lachen.
"Da kann man jetzt ganz viele Überlegungen anstellen. Wie viel Stahl ist umso ein Auto herum gebaut, wie viel Energieaufwand braucht es, m das zu fertigen? Und dann finde ich es ein bisschen ketzerisch, wenn man dann ei einem E-Bike überlegt, ja, dass das ja auch irgendwie Energie kostet nd braucht, um hergestellt zu werden. Und natürlich eröffnet ein Lastenfahrrad mit E-Moto andere Räume."
Lastenrad mit Elektroantrieb
Ab 2.500 Euro kostet ein vernünftiges Lastenrad mit E-Motor. Zehn Amperestunden leistet ein durchschnittlicher Fahrradakku. Je nach Belastung reicht das für ca. 40 bis 60 km, dann muss aufgeladen werden. Gefertigt werden die Akkus teilweise in Fernost, viele aber auch in Dänemark oder Deutschland. Im Gegensatz zu den Stahl- oder Alurahmen der Fahrräder, die zu 90 Prozent aus Taiwan oder China stammen. Selbst Anbieter, die auf Messen mit "Made in Germany" werben, geben zu, dass in Deutschland die importierten Teile lediglich zusammengebaut werden. Wer beim Fahrrad Wert auf regionale Produktion und kurze Transportwege legt, findet in Deutschland nur noch Nischenanbieter, die selbst Rahmen bauen. Wer in Großbritannien wohnt hat es da einfacher, sagt Henning Voss von Brompton – einer der weltweit führenden Hersteller von Falträdern:
"Tatsächlich ist das Löten der Stahlrahmen das Herzstück und auch die Identität dieser Marke. Und aufgrund des Details, das bei diesen Rädern wichtig ist, damit es nach zehn Jahren auch noch gut klappt, hat Brompton sich entschieden, die Rahmen immer noch komplett in London zu machen."
Aber wenn schon aus Asien importiert wird, sollte wenigstens sichergestellt werden, dass die Produktion ökologische Gesichtspunkte berücksichtigt, keine Arbeiter ausgebeutet werden.
Bambus-Räder aus Ghana
Felix Habke von "My Boo" aus Kiel verfolgt nachhaltigere Ziele, als nur die Gewinnmaximierung. Er schiebt ein Fahrrad mit relativ dickem hellbraun- gemaserten Rahmen durch die Gänge der Messehalle:
"Der Rahmen ist aus Bambus, einem der am schnellsten nachwachsenden Rohstoffe der Erde, der während seines Wachsenes natürlich extrem viel CO2 bindet. Wir benutzen die Hanfseile, die den Rahmen dann zusammenhalten. Technisch hat der Bambus Vorteile, relativ stabil, verhälnismäßig leicht, dämpfende Eigenschaften wie ein Stahlrahmen und dennoch sehr verbindungssteif wie ein Aluminiumrahmen. Was fast noch spannender ist, ist die Herkunft des Rahmens. Der Rahmen wird in Ghana gefertigt, der Bambus wächst direkt in Ghana und unser Partner in Ghana ist ein kleines soziales Projekt."
Von 200 Rahmen im vorletzten Jahr hat dieses Projekt die Produktion im vergangenen auf über 400 gesteigert. Damit werden die Jugendarbeitslosigkeit in der Region bekämpft, Mikrokredite für Frauen finanziert und Schulen unterstützt. Soviel Nachhaltigkeit kostet: Das hochwertige BambusRad gibt es für 1800 Euro. Das ist etwa dreimal so viel wie der Durchschnittspreis eines Rades in Deutschland: Der lag im vergangenen Jahr bei 643 Euro. Das sind 15 Prozent mehr als noch 2015. Für Felix Habke ist das Fahrrad praktizierter Umweltschutz, eigene Gesundheitsvorsorge und das stahlgewordenen gute Gewissen.
Rad-Volksentscheid macht Druck auf Berliner Senat
Damit auch die Infrastruktur dafür gegeben ist, gibt es Initiativen der Zivilgesellschaft bundesweit. In der Hauptstadt haben es die Aktivisten des Berliner Volksentscheids Fahrrad mit mehr als 100.000 Unterschriften geschafft, Druck auf den Senat zu erzeugen. Einige Forderungen werden nun umgesetzt: Mehr und breitere Radwege, Abstellmöglichkeiten und Schnellwege. So soll die Zahl der Radler in Berlin von derzeit täglich einer halben Millionen weiter steigen, sagt Berlins parteilose Verkehrssenatorin Regine Günther:
"Zur Zeit beträgt der Anteil des Radverkehrs an allen Wegen in Berlin gerade mal 13 Prozent. Bis 2025 soll dieser Anteil in der Umweltzone auf 30 Prozent und in ganz Berlin auf mindestens 20 Prozent steigen."
Denn für die Umsetzung der Klimaschutzziele gibt es zu einer Wende in der Verkehrspolitik keine Alternative, meint auch Katrin Dziekan vom Umweltbundesamt. Hier würden auch die Pedelcs mit ihrer Elektrounterstützung eine wichtige Rolle spielen. Zwar gebe es noch keine guten Recycling-Möglichkeiten für die Akkus, aber trotzdem seien sie nachhaltiger als das eigene Auto.
"Also das Fahrrad ist generell ein nachhaltiges Verkehrsmittel, wir sparen Platz, wir sparen Luftschadstoffe, wir sparen CO2 Emissionen und wir tun was für die Gesundheit. Das heißt also für den einzelnen ist es nachhaltig, aber auch für die Gesellschaft. Also lieber aufs Fahrrad umsteigen, statt mit dem eigenen Auto zu fahren."
Vor allem wenn es dann noch ein wiederaufbereitetes altes Fahrrad ist. Tausende davon stehen noch in Hinterhöfen oder auf Dachböden – zu schade zum Wegwerfen.
Die Rückbesinnung auf das Fahrrad in den Städten ist weltweit zu beobachten. Die New Yorkerin Martha Roskowski, Vizepräsidentin von "Bikes for people", berät mit ihrer Organisation US-Metropolen, die ernst machen wollen mit der Verkehrswende.
"New York und andere Städte verteilen Platz um und schaffen auf viel befahrenen Straßen getrennte Räume für Radler. So dass sie, vom Autoverkehr durch Poller oder Kübelpflanzen abgeschirmt, sicherer und angenehmer radeln können. Das passiert jetzt überall im Land, führend ist New York. Es setzt sich die Erkenntnis durch: Städte, in denen Leute sich zu Fuß und mit dem Rad bewegen können, werden bessere Orte."
In Deutschland werben die Grünen seit ihrer Gründung vor gut vierzig Jahren für die Verkehrswende. "Ohne Auto mobil" forderte die Ökopartei auf Wahlplakaten zur Bundestagswahl 1990. Heute regiert die Partei das Auto-Land Baden-Württemberg samt dessen Landeshauptstadt, die unter Feinstaub-Höchstwerten ächzt. "Ohne Auto" – davon ist nicht mehr die Rede. Aber mit Blick auf die Ballungsräume sagt der grüne Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann.
"Um die Luft sauber, um den Verkehr fließend zu halten, müssen wir den Anteil des individuell genutzten Autos zurückdrängen."
Das bergige Stuttgart kann und muss mit Hilfe der Elektromobilität den Radverkehr ausbauen, betont Ressortchef Hermann.
"Das wissen die. Beim Luftreinhalteplan, den wir dieses Jahr erlassen werden, werden wir das auch der Kommune ganz klar sagen: Radfahren verbessern, mehr Anteil beim Radfahren."
Deutsche Städte hinken hinterher beim Rad
Kopenhagen und Amsterdam peilen schon die 50 Prozent-Quote für den Radverkehr an, die badische Vorzeigestadt Freiburg immerhin 40 und die Aufsteigerstadt Mannheim 25 Prozent, allerdings erst für 2025. Eine Säule dieser Strategie: Die Radverleihstationen, die sich in deutschen Großstädten ausbreiten. Und kreuzungsfreie überregionale Radschnellwege, so Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz, SPD.
"Wir wollen die Verbindung von Heidelberg über Mannheim, Ludwigshafen und darüber hinaus, aber auch in Richtung Darmstadt und Karlsruhe gibt es schon erste Konkretisierungen. Wir haben auch einen innerstätischen Radschnellweg, den wir jetzt in den nächsten Wochen beschließen wollen -zusammen mit einem großen Grünzug, den wir entwickeln wollen. Das ist dann allein eine Investition von 20 Million Euro."
Und damit investiert Mannheim fast so viel, wie der Bund von 2017 an dem Bau von Radschnellwegen in ganz Deutschland jährlich zuschießt. Nämlich nur 25 Millionen Euro, bemängelt Ludger Kopmann vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club ADFC.
"Gleichzeitig bauen wir in Berlin drei Kilometer Autobahn für 400 Millionen Euro. Das heißt, wir kleckern im Bereich des Radverkehrs rum. Wir müssen die Pariser Verträge erfüllen. Das heißt: 25-Prozent-CO2-Reduzierung auch im Verkehrsbereich. Das wird nur mit dem Fahrrad gehen, und das geht nicht, wenn wir in diesem langsamen Kleckertempo der vergangenen zehn, zwanzig Jahre weitermachen."
Radwege, die vor Ampeln und Pollern abrupt enden, die im Winter als letztes oder gar nicht geräumt werden. Ampelphasen, die Radler an jeder Kreuzung ausbremsen - all das Standard, kritisiert Ludger Kopmann vom ADFC-Bundesvorstand.
"Es fehlt ein Gesamtkonzept in vielen Städten. Und der Mut, es da umzusetzen, wo der Autoverkehr mal was abgeben muss. Und das sind die kritischen Stellen in der Stadt in der Regel. Da muss endlich politischer Wille her, und da muss endlich was umgesetzt werden."
Wie machen es die USA?
Wie die sogenannte "protected lane" an Hauptverkehrsstraßen, die abgetrennte, Poller- oder Pflanzen-geschütze Radspur, die seit fünf Jahren den Verkehr in Portland, Chicago, und New York revolutioniert. Aber auch dort müssen die ausgebauten Radspuren an den Großen Straßen noch besser mit den Nebenstraßen vernetzt werden, findet Martha Roskowski von "Bikes for People", dem Zusammenschluss von Radlern und Fahrrad-Industrie in den USA. Das 30 Stundenkilometer-Tempo-Limit für Autos habe sich in diesen Quartiersstraßen bewährt.
"Wenn wir Autos verlangsamen und die Anzahl reduzieren können, dann können Radler diese alten Straßen bequem mitbenutzen. Das sieht man in vielen Städten, wie Barcelona oder Kopenhagen. Und dann können auch Kinder radeln".
Zehnjährige allein durch die Großstadt? – Kopenhagener sagen, das geht. Deutschland als Fahrrad-Paradies? Auf diesem Weg müssten wohl noch einige politische Ampeln auf grün gestellt werden.