200 Jahre Friedrich Engels

Wie Corona den Wuppertalern ins Gedenkjahr grätschte

11:02 Minuten
Die Friedrich-Engels-Statue des chinesischen Künstlers Zeng Chenggangin. Das Denkmal ist ein Geschenk der Volksrepublik China an die Stadt Wuppertal, Engels' Geburtsstadt. Foto: Bernd Thissen/dpa | Verwendung weltweit
Auch beim Feiern musste Engels in seinem Jubiläumsjahr hinter Karl Marx zurückstehen, der vor zwei Jahren gefeiert wurde: Corona zwang das Projektteam in Wuppertal zu digitalen Veranstaltungen. © picture alliance / dpa / Bernd Thissen
Von Moritz Küpper |
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Friedrich Engels sollte in Wuppertal, ebenso wie Karl Marx 2018, ein rauschendes Gedenkjahr bekommen. Dann kam Corona. Doch das Engels-Projektteam lässt sich nicht unterkriegen: Nächstes Jahr wird einfach weitergefeiert.
Christoph Grothe steht im Schatten des Wuppertaler Opernhauses. Es ist ein sonniger Novembervormittag, die Autos rauschen im Hintergrund vorbei, die Sonne strahlt durch die bunten Blätter. Grothe, seit dem Jahreswechsel Geschäftsführer des Engels-Projektbüros, dreht sich zum Opernhaus um – und blickt zugleich auch zeitlich zurück.
"Wir hatten hier am 15.2. die große Eröffnungsveranstaltung von Engels 2020, dem Festjahr zum 200. Geburtstag von Friedrich Engels. Und wir hatten im Vorlauf schon Veranstaltungen im November, Januar. Das war der erste Höhepunkt des Engels-Jahres. Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen."
Grothe blickt sich um, zeigt in den nahegelegenen Park. Dort steht eine Engels-Statue: "Hier war alles voller Menschen, die ‚Roten Socken‘ sind im Engels-Garten aufgetreten. Gregor Eisenmann, ein international bekannter Lichtkünstler, hat den Engelsgarten illuminiert, und im Opernhaus haben wir das Engels-Jahr eingeläutet."
"Einen schönen Guten Abend, meine Damen und Herren. Das wunderbare Symphonie-Orchester Wuppertal. Das war schon so ein Auftakt, so ein bisschen Revolution klang ja schon an, in diesem Stück. Und das wird auch der rote Faden dieses Abends sein."

Boomtown Barmen

TV-Moderatorin Bettina Tietjen, eine gebürtige Wuppertalerin, führte durch den Abend. Der nunmehr abgewählte Wuppertaler Oberbürgermeister Andreas Mucke von der SPD begrüßte:
"Denker, Macher, Wuppertaler. Engels ist Teil unserer Stadtgeschichte. Er prägte unsere Stadt und sie prägte ihn. Reisen wir zurück in das frühe 19. Jahrhundert. Barmen und die Nachbarstadt Elberfeld waren Boomtowns in einem weitgehend noch agrarisch geprägten Deutschland."
Engels, geboren als Fabrikantensohn in eben Barmen, das seit 1929 Teil der damals neugegründeten Stadt Wuppertal war. Barmen war eine Stadt, in der die Industrialisierung wichtig, die politische Auseinandersetzung darüber aber wenig ausgeprägt war, weshalb Engels seinen Geburtsort früh verließ. Er wurde kongenialer Partner von Karl Marx bei der Entwicklung der Theorie des wissenschaftlichen Sozialismus. Was auch an diesem Abend direkt Erwähnung fand, als sich Mucke einen "ideologiefreien" Engels-Geburtstag wünschte:
"Er war ideologischer Wegbereiter der Arbeiterbewegung. Spätere Errungenschaften wie die Abschaffung der Kinderarbeit, der Acht-Stunden-Tag, Kündigungsschutz, Mitbestimmung und Demokratie in Unternehmen und Betrieben sind durch sein Denken inspiriert worden. Es gibt aber auch die andere Seite: Vielfach interpretiert, missverstanden und allzu oft missbraucht, hat das Gespenst des Kommunismus weltweit leider große Schrecken verbreitet."
Und es gab verschiedene Darbietungen, beispielsweise die Lesung eines Briefwechsels: "Marx an Engels:'Es ist möglich, dass ich mich blamiere'." Während sich draußen, im Dunkeln, nahe der Lichtinstallationen, Menschenmengen versammelten:
"Ich denke, es ist schon an der Zeit, so eine Persönlichkeit, bei so einem Jubiläum mal zu feiern, irgendwie. Seine diversen Aufsätze zur sozialen Situation der Arbeiter in Wuppertal, die soziale Frage, die politische Situation spitzt sich ja zu mit dem kapitalgesteuertem Kapitalismus und mit der Klimakrise müssen wir uns überlegen: Muss die Art von Wirtschaften heute noch sein oder gibt es Alternativen?"
"Ich weiß eigentlich recht wenig über ihn. Ich kenne das Thema eigentlich nur aus Schauspiel-Stücken mit Marx und Engels und mit London, wo die sich dann getroffen haben. Aber man weiß: Er ist hier geboren und er ist ein Sohn unserer Stadt, er gehört dazu."
"Ich meine: Wuppertal wird immer mit der Schwebebahn und Engels in Verbindung gebracht. Ich bin jetzt kein Kommunist, auch kein Linker, aber ich finde schon, er ist eine Attraktion und Wuppertal hat viel Zulauf."
"Ich finde das interessant, Engels jetzt dieses Jahr 200 Jahre zu feiern, Engels als Bürger von Wuppertal, in Wuppertal geboren, das finde ich schon eine spannende Geschichte. Er ist ein großartiger Philosoph gewesen."

Corona torpediert das Gedenkjahr

Monate später steht Grothe, der Geschäftsführer des Engels-Projektbüros, eben an gleicher Stelle. Er war damals bei der Feier dabei, spürte die Euphorie – und zuckt nun, rückblickend, mit den Achseln: "Und ja, dann kam Corona und dann mussten wir erst einmal alle Aktivitäten bremsen."
Christoph Grothe neben dem Friedrich-Engels-Denkmal in Wuppertal in einem Park.
Auf Engels eingestellt - aber Corona zwang ihn zum Umdenken: Christoph Grothe leitet das Projektbüro zum Friedrich-Engels-Jahr in Wuppertal.© Moritz Küpper / Deutschlandradio.de
Grothe erinnert sich noch genau: "Es kam so schleichend. Wir hatten noch einen großen Uni-Kongress, der hier noch stattgefunden hat, wo auch viele Besucherinnen und Teilnehmerinnen gekommen sind, aber die Chinesen fehlten da schon." Ein erstes Vorzeichen.
"Und dann im März wollten wir eigentlich auf die ITB und wollten da auch mal touristisch für das Engels-Jahr trommeln und die wurde dann kurzfristig abgesagt. Und da haben wir schon gemerkt: Oh, das wird vielleicht noch übel. Und unser nächster Höhepunkt des Engels-Jahres war die Eröffnung der Sonderausstellung, die da schon gar nicht mehr stattfinden konnte. Und innerhalb kürzester Zeit mussten wir dann von Vollgas voraus zu Full-Stop gehen."

Improvisation war gefragt

Es gab Online-Vorträge, digitale Diskussionen und virtuelle Lesungen. Beispielsweise vom Manifest der kommunistischen Partei. Eine Engels-Hotline war und ist geschaltet, bei der sich simulierte Gespräche mit Engels selbst führen lassen, und in den Sommermonaten konnten durchaus auch Spaziergänge im Freien stattfinden.
Dennoch: Grothe, damals recht neu in der Funktion, musste mit seinem Team improvisieren. "Auch dank der freien Szene, die an vielen Projekten beteiligt sind, die haben sehr schnell umgeswitcht und haben aus der Motivation raus zu sagen, wir wollen das jetzt aber irgendwie machen, digitale Formate entwickelt. Und auch die Kollegen von der Sonderausstellung haben sehr schnell einen beispielsweise ein YouTube-Video gemacht und haben einen ersten Einblick in die Ausstellung gegeben, die fast fertig aufgebaut war im Haus der Jugend."

Auch bei den Feiern im Schatten von Marx

Grothe läuft vom Opernhaus durch den Engels-Garten zum Engels-Haus. Auch inhaltlich passte dieser Einschnitt, irgendwie. Denn Friedrich Engels stand auch immer im Schatten von Karl Marx. Dessen Jubiläum – vor zwei Jahren – konnte in der Geburtsstadt Trier oder auch in Chemnitz, der einstigen Karl-Marx-Stadt, groß begangen werden.
"Jetzt, die Tage, ist im Observer von Tristram Hunt ein Aufsatz erschienen, worin es darum geht, dass Friedrich Engels die zweite Geige von Karl Marx sei. Und ja, so fühlt sich das an manchen Stellen auch an."
Grothe zuckt mit den Achseln: Ist halt so. Während in Bonn die Aktivitäten des Beethoven-Jahres zum 250. Geburtstag des Komponisten recht schnell und größtenteils ins kommende Jahr verschoben wurden, auch Schützenfeste sowie Karnevalsaktivitäten diesem Beispiel folgten, entschieden sich Grothe und seine Mitstreiter für einen anderen Weg, ließen viel digital stattfinden.
Doch nun, durch den erneuten Lockdown in dem Jubiläumsmonat November, hat auch das Engels2020-Team umgedacht: "Da sind die Überlegungen schon so, dass wir das Engels-Jahr auch verlängern wollen. Und zwar bis zum 28.11.2021. Mit einem Fokus aber auf das erste Halbjahr."
Er bleibt stehen: "Genau, das hier ist ja das Engels-Haus." Die Tür steht offen. "Da ist auch alles so auf dem Weg zur Punktlandung."

Eine Engels-Maske für 14 Euro

Ursprünglich sollte das denkmalgeschützte Haus des Großvaters von Friedrich Engels nach umfangreicher Bauforschung, denkmalgerechter Sanierung, Restaurierung und funktionaler Ertüchtigung Ende November eröffnet werden. Dort wird künftig die neue Dauerausstellung zu Friedrich Engels und der Unternehmerfamilie Engels präsentiert und ihre spätbarocke großbürgerliche Lebensweise gezeigt.
"Das haben wir jetzt verschoben, auf Anfang nächsten Jahres, weil wir da auch eine Enthüllungsaktion vorhatten. Wir wollen das Engels-Haus verhüllen, mit einem zehn Mal 16 Meter großem Banner, auf dem 200 Porträts von Wuppertalerinnen und Wuppertalern, die alle Friedrich Engels zum Geburtstag gratulieren. Das werden wir am 28.11. schon einmal online schalten."
Der Weg, der eben bleibt. Ansonsten ist alles zu, wie eben auch ein Container für das Engels-Jahr, der am Ende der Straße steht. Eine Mitarbeiterin schließt auf. Hier gibt es ein paar Ausstellungsstücke, Info-Material – und eine Corona-Maske mit Engels-Aufdruck:
"Die waren erst nur für die Aufsicht – und dann war die Nachfrage aber so hoch, dass man auch diesen Mundschutz haben möchte. Und dann wurde der erst verkauft. Das ist wirklich erst aus Interesse des Publikums entstanden."

Highlight: Eröffnung des Engels-Hauses

Die Engels-Maske für 14 Euro. Doch, was bleibt wirklich? Stolz, den Umständen getrotzt zu haben? Oder doch eher Trauer, eine Art Corona-Blues?
"Ich glaube schon eher der Stolz darauf, dass wir es trotzdem geschafft haben, das als Stadtthema etabliert zu haben. Dass wir die Stadtgesellschaft bewegt haben und dass wir am Ende doch – zwar ein anderes, aber auch ein schönes Engels-Jahr hatten, das ja noch nicht vorbei ist. Zwei Highlights, die Abendveranstaltung und die Eröffnung des Engels-Hauses stehen noch aus. Und darauf freuen wir uns."
Wann auch immer das sein wird.
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