Kult um einen deutschen Staatsmann
Schon als Student machte Otto von Bismarck in Göttingen von sich reden. Später einte der Charismatiker das Deutsche Reich, war schon zu Lebzeiten eine Legende. Seine autoritäre Staatspolitik führte aber auch direkt in den Nationalsozialismus, so seine Kritiker.
"Wenn die gliederrasselnde Eisenbahnschlange, das Sinnbild des 19. Jahrhunderts, sich fauchend losreißt von dem Altmarkstädtchen Rathenow und gen Westen dampft der Elbe zu: da fliegen rechts und links grüne Wiesenflächen und ebene Kornfelder an dem Reisenden vorüber."
So steht es geschrieben, in einem Reiseführer aus dem Jahr 1899.
"Ein Gelände wie ein Billardtuch. Nichts Großes ringsum...
Nichts Großes? Sieh den kleinen Punkt, der sich zur Linken aus dämmernder Ferne abhebt! Siehe dort liegt der Geburtsort des größten Deutschen, Otto von Bismarcks Vaterhaus!"
"Nächster Halt: Schönhausen. Ausstieg in Fahrtrichtung links…"
So sagt es der Zugbegleiter, im Jahr 200 nach Bismarcks Geburt. Schönhausen an der Elbe liegt in Sachsen-Anhalt, 70 Kilometer stromab von Magdeburg. Ein Dorf hinterm Deich, mit romanischer Backsteinkirche. Gleich daneben ein kleines barockes Gebäude. Dort empfängt uns Konrad Breitenborn, Historiker und Präsident des Landesheimatbundes Sachsen-Anhalt.
"Wir befinden uns inzwischen im Seitenflügel des alten Geburtsschlosses Otto von Bismarcks. Er hat hier am 1. April 1815 gegen 13.00 Uhr das Licht der Welt erblickt, jahrzehntelang hat man Postkarten verkauft, wo immer drauf stand: Geburtsschloss Otto von Bismarcks, aber 1958 war es dann mit diesem Schloss vorbei, es war sehr auffällig, aber auch gab es politische Beeinflussungen, jedenfalls ist es Ende Juli 1958 leider im Wesentlichen gesprengt worden."
Hier in Schönhausen wird Bismarck am 1.April 1815 als Sohn eines ostelbischen Junkers geboren. Hier bekleidet er erstmals ein öffentliches Amt – das des Deichgrafen, von hier aus beginnt seine politische Laufbahn. Und hier schafft er selbst Raum für den Kult um seine Person.
Die Bismarcks hatten hier im Ort noch ein zweites Schloss, das sie 1830 erst mal verkauften, was dann aber 1885 zu Bismarcks 70. Geburtstag wieder erworben wurde. Und zwar wurde das deutsche Volk aufgefordert, eine Bismarckspende zu leisten und man dachte erst, er würde das für ne wohltätige Einrichtung verwenden, hat aber gar nicht daran gedacht, sondern er hat dieses Schönhausen 2 zurückgekauft, in Familienbesitz gebracht und dann ab 1891 genutzt als Museum.
Beliebter als Kaiser Wilhelm
Bismarck und die Deutschen: Wann genau die Verehrung für den Reichseiniger einsetzt, das lässt sich schwer datieren. Schon während der aktiven Zeit als Kanzler huldigt ihm das Volk – manchmal mehr als dem ersten Kaiser Wilhelm. Nach Bismarcks Entlassung durch Wilhelm den Zweiten im März 1890 nimmt die Verehrung kultische Züge an. Sie erreicht einen ersten Höhepunkt zum 80. Geburtstag 1895.
"Der 80. Geburtstag ja nicht hier in Schönhausen gefeiert, sondern in Friedrichsruh. Man muss sich also vorstellen, dass allein 35 Sonderzüge eingesetzt wurden, um erst einmal Bismarckfans nach Friedrichsruh zu bringen. Tausende von Studenten sind damals hingegangen, und er bekam säckeweise Post. Glückwunschkarten wurden vorgedruckt, da stand dann schon drauf: ´Unserem Altkanzler zum 80. Geburtstag` oder ´Es lebe die deutsche Eiche` oder in ähnlicher Form. Das waren alleine eine halbe Million, also über 500.000 Glückwunschkarten kamen, und sehr viele andere, auch von kleinen Leuten hergestellte, Präsente, die dann irgendwo untergebracht werden mussten. Es waren Unmengen!"
"Jubelnd grüßt dich, greiser Recke,
heut Alldeutschland, Jung und Alt,
Dass es Nachnaturen schrecke,
Braust das Lied mit Sturmgewalt.
Achtzig Jahre sind verflossen,
Achtzig Jahr in edlem Streit,
Seit du unserem Stamm entsprossen,
Held und Heros neuer Zeit!"
heut Alldeutschland, Jung und Alt,
Dass es Nachnaturen schrecke,
Braust das Lied mit Sturmgewalt.
Achtzig Jahre sind verflossen,
Achtzig Jahr in edlem Streit,
Seit du unserem Stamm entsprossen,
Held und Heros neuer Zeit!"
"So, die Unterlagen auf den Tisch, oder? / Auf den Tisch wird wohl das Beste sein."
Wer in Göttingen, am Studienort Bismarcks, nach authentischen Spuren sucht, der muss in die Tiefe gehen. Im Keller der Deutschen Bank breitet Martin Gollasch den Inhalt eines Schließfaches auf der Tischplatte aus.
"Wir wissen nicht, wo Bismarck die Unterlagen eigentlich selbst her hatte, ja, er hat sie, glaube ich, nicht mitgenommen, als er aus Göttingen wegging, er muss sie also von einer Familie zugespielt bekommen haben, die also Bezüge zu einem anderen Corps-Bruder hatte."
Martin Gollasch hat in Göttingen Jura studiert – in den 1970er-Jahren und ist bis heute aktiv im Studenten-Corps Hannovera. Der ganze Stolz der schlagenden Verbindung: Ab 1832 war Otto von Bismarck hier Mitglied.
"…viele Leute haben das, glaub ich, noch nicht gesehen…"
In der Metallkassette finden sich Scherenschnitte von Bismarcks Mitstudenten, eine rote Corps-Mütze aus Bismarcks Zeit, handgeschriebene Paukbücher, in denen auch vermerkt ist, wie oft und mit wem Bismarck sich geschlagen hat. Und dann rollen noch drei zerknautschte Zigarren aus der Kassette.
"Zu diesem 80. Geburtstag von ihm, der in Friedrichsruh mit einem Empfang, der Studenten passierte, hat Bismarck sich auf die Terrasse im ersten Stock seines Hauses gestellt und hat die unten aufmarschierten Studenten gesehen."
Gunnar Herny Caddick ist Archivar des Corps Hannovera.
"Hat denn auch den Senior der Hannoveraner, der da war, an der roten Mütze natürlich erkannt, das war ein Herr Ernst Brande, später Jurist in Osnabrück, und hat den durch einen Adjutanten heraufbestellt, er möge doch zum Frühstück kommen. Und nach dem Frühstück hat‘s ne Zigarre gegeben. Und Brande muss irgendwie seine Mütze über die dort ausliegenden Bismarck´schen Zigarren geschmissen haben und hat dieses eben als Erinnerung mitgebracht."
Wenige Schritte von der Bankfiliale entfernt liegt die Fußgängerzone Göttingens. Schon, als Bismarck hier studierte, war das die Flaniermeile. Und für Eingeweihte bis heute einer der Orte, an denen der Bismarck-Kult lebt:
"Und an dieser Stelle, wo jetzt Hugendubel steht, war viele Jahrzehnte die Göttinger Universitätsbücherei Deuerlich. Für jeden alten Studenten die Adresse, weil man da am besten mit dem akademischen Schrifttum vertraut und beliefert wurde. Und an dieser Ecke ist Bismarck in seinem ersten Semester einer Anzahl von Hannoveranern begegnet, die hier standen und Anstoß nahmen, dass er eben in einem unmodernen, langen Gehrock, der nicht mehr dem neuesten Zeitgefühl entsprach, auftrat. Sie lachten fürchterlich. Er drehte sich zu ihnen um und sagte: Meine Herren, sie sind alle dumme Jungen! Und das war die Aufforderung, dass er sie alle zum Duell forderte, für einen 17-Jährigen schon eine beträchtliche Leistung, sich so etwas aufzubürden. Indes haben die Verhandlungen, die dann erfolgten, über Austragung dieser Duelle, wo, wann und mit welchen Unparteiischen und Sekundanten, dazu geführt, dass man Gefallen fand an diesem jungen Menschen aus der Altmark. Und dass er die Hannoveraner auch gar nicht so sehr als Duellgegner ansah. Kurzum: man hat diese ganzen Duelle aufgegeben und er ist in die Hannovera eingetreten. Hier war also der Anfang von Bismarcks korpsstudentischer Zeit, wenn man so will."
Anfang einer Diplomatenkarriere
Und der Anfang einer Diplomatenkarriere. Bismarck wird später viele seiner politischen Erfolge erringen, indem er Stärke zeigt, provoziert, konfrontiert – und anschließend charmant und verbindlich Beziehungen knüpft. Die Geschichte vom Eintritt in das Corps Hannovera ist nur eine von unzähligen Bismarck-Anekdoten, die Ende des 19. Jahrhunderts in der deutschen akademischen Jugend kursieren. Die Bismarck-Verehrung nimmt schon zu Lebzeiten mitunter bizarre Züge an. Die Firma Liebig vertreibt ihren Fleischextrakt mit Sammelbildern, die Szenen aus Bismarcks Leben zeigen. Es gibt Bierseidel in Form eines Bismarck-Kopfes – der Deckel hat die Form einer Pickelhaube. Postkarten, Sammelteller, Spucknäpfe – nichts, was nicht würdig wäre, in überbordender Symbolik Bismarck zu huldigen. Besonders beliebt: die Darstellung als Schmied des Reiches – "Der mit Eisen und Blut / aus Hader und Glut / Geschmiedet des Reiches Krone".
"Was eben auch zum Kult gehört, ist, dass dem Bismarck Präsente gemacht wurden, das sind Bierfassdeckel."
Konrad Breitenborn ist Historiker bei der Stiftung Dome und Schlösser in Sachsen-Anhalt, die 1998 in Schönhausen an der Elbe das Bismarck-Museum wieder einrichtete. Eines der Exponate ist ein Relief, geschnitzt in den eichenen Deckel eines Bierfasses. Es zeigt Bismarck mit Lederschürze:
"Also es ist nicht nur der Schmied, sondern hier ist es der Böttcher, der die unterschiedlichen deutschen Staaten – hier die Holzteile sind ja denn beschriftet mit Baden, Bayern usw. – und die brachte er zusammen. Er zieht also das Bierfass zusammen."
Konrad Breitenborn weiß, dass Bismarck den Kult um seine Person durchaus zu schätzen und zu nutzen wusste und davon profitierte:
"Er bekam ja auch solche Fässer nicht etwa leer, sondern Brauereien ließen sich schon was kosten. Also der wäre auch heute wegen solcher Dinge auch pausenlos in der BILD-Zeitung, der Bismarck. Denn die schickten ihm Bierfässer, die schickten ihm Würste. Vor allem für seine Reichshunde ganze Colliers von Würsten und – ich war ja in Friedrichsruh, habe dort im Archiv gearbeitet. Wenn da so Nachfragen kamen: ´Dürfen wir dem Reichskanzler wieder ein Fass Bier schicken oder Würste oder dergleichen?`, dann hat er – hat ja mit Bleistift seine Randnotizen gemacht – dann hat er meistens einfach ´Ja` rangeschrieben an den Rand. Würde sich ja heute kaum ein Politiker trauen, ja, wenn man fragt, darf ich ihnen wieder paar Fässer Bier dieses Jahr schicken? Und man schreibt Ja! dran, hätte man ja schon Angst. Manche sind so blöd und sagen es auf den Anrufbeantworter, ja. Aber das ist ne andre Sache."
"Lass nicht den Bismarck sterben in dir!
Gib es nicht her, das errungne Panier!
Lass in Vergessens Erbärmlichkeit
nicht versinken die heilige Zeit!"
Gib es nicht her, das errungne Panier!
Lass in Vergessens Erbärmlichkeit
nicht versinken die heilige Zeit!"
Nach Bismarcks Tod
Am 30.Juli 1898 stirbt Otto von Bismarck auf seinem Landsitz Friedrichsruh im Sachsenwald bei Hamburg. Ernst von Wildenbruch schreibt das Trauergedicht zur Totenfeier:
"Wolle dich selber, deutsches Land!
Wolle dich selbst! Zwinge die Not!
Bismarck war tot, ist nicht mehr tot.
Kommt und ist da,
Allgegenwärtig und nah,
Deutschland, dein Bismarck, er lebt!"
Wolle dich selbst! Zwinge die Not!
Bismarck war tot, ist nicht mehr tot.
Kommt und ist da,
Allgegenwärtig und nah,
Deutschland, dein Bismarck, er lebt!"
Es ist vor allem die akademische Jugend, die den Bismarck-Kult entfacht. Genau ein Jahr nach dem Tod des Alt-Kanzlers richtet die Studentenschaft einen Aufruf an das deutsche Volk:
"Wie vor Zeiten die alten Sachsen und Normannen über den Leibern ihrer gefallenen Recken schmucklose Felsensäulen auftürmten, deren Spitzen Feuerfanale trugen, so wollen wir unserem Bismarck zu Ehren auf allen Höhen unserer Heimat, gewaltige granitene Feuerträger errichten…"
Auf allen Höhen unserer Heimat! Unter dem macht es die Deutsche Studentenschaft damals nicht. Und hat Erfolg mit ihrem Spendenaufruf, der perfekt in die Zeit des überschäumenden Patriotismus passt.
"Allein das Modell Götterdämmerung ist 47 Mal im damaligen Deutschen Reich gebaut worden, und ich glaube, es sind über 270 Türme damals gebaut worden, also ein richtiger Denkmalboom."
Peter Froebel ist Architekt und Vorsitzender des Vereins "Bismarckturm Dresden e.V.". Die Bismarcksäule auf der Räcknitzhöhe, die Dresdner Studenten zwischen 1904 und 1906 mit Spenden von Industriellen und Gewerbetreibenden bauen ließen, ist mit 23 Metern Höhe eine der größten.
"Er ist wie eine große Fackel gebaut worden, eben wegen der Flammensäule und hat außen vier Dreiviertel-Säulen, das sollen die deutschen Stämme sein, die oben diese Feuerschale tragen. Wir haben ganz viele Bismarckzitate an der Außenfassade."
Ein Sandsteinrelief: der deutsche Adler im Kampf mit der Schlange der Zwietracht. Bismarck, der Reichseiniger. Die ganze Einheitssymbolik erschließt sich allerdings erst, wenn man alle einzelnen Säulen wiederum als Einheit betrachtet. Der Architekt Wilhelm Kreis hatte seinen Entwurf ja "Götterdämmerung" genannt.
"Man wollte auf allen Höhen eine Flammensäule errichten, und man wollte an bestimmten Gedenktagen, Bismarcks Geburtstag, Sterbetag, Reichseinigungstag, dass man dort überall ein Feuer entfacht, und dass zur damaligen Zeit eben ein Gemeinschaftsgefühl dadurch entstanden wäre."
Was für eine Vorstellung: Vom Erzgebirge bis in den Teutoburger Wald eine Kette von riesigen Fackeln, die alle gleichzeitig entzündet werden. Wer den "Herrn der Ringe" im Kino gesehen hat, dürfte das überwältigende Bild ungefähr vor Augen haben. Allerdings haperte es in der Realität mit den Spezialeffekten.
"Man wollte ursprünglich ne acht Meter hohe Flammensäule haben. Die hatten das Problem, dass beim ersten Befeuern mit Öl die Feuerschale gesprungen war, so dass man dann Holz, Stroh und wieder Öl probiert hat. Und da hat die Presse rausgebracht, dass dieser Turm keine Feuersäule ist, sondern eine Rauchsäule. Tja, also das ist mit den Flammensäulen bisschen problematisch. Das hat nicht ganz so funktioniert, wie sich das die Leute vorgestellt haben."
"Ich weiß nicht, ob sie mich erkennen -
ich bin die Frau Germania. (…)
Bin kaum zweiundvierzig Jahre
und ich krieg' bald graue Haare -
habe Runzeln schon - oh Schreck! -
Und die Taille, die ist weg."
ich bin die Frau Germania. (…)
Bin kaum zweiundvierzig Jahre
und ich krieg' bald graue Haare -
habe Runzeln schon - oh Schreck! -
Und die Taille, die ist weg."
Eine Schellack-Platte von 1912. Stellvertretend für viele im Kaiserreich schwelgt Otto Reutter in Bismarck-Nostalgie. Als Frau Germania, die voll Wehmut ihrem ersten Gatten – sprich: dem Eisernen Kanzler, nachtrauert.
"Ja, als der Erste mich geseh'n -
da war ich jung, da war ich schön -
und er so männlich und so stark -
zwar etwas bissig, doch voll Mark.
Hab' oft an ihn gedacht
bei Tag und auch bei Nacht -
da fällt mir immer wieder leider stets mein Erster ein --
den hab' ich echt geliebt – den schloss ich in mein Herze ein.
Der hat mich groß gemacht, - denn früher war ich schwach und klein.
Mein Schwert, mein Schild und mein Fortune -
ja, selbst die Krone ist von ihm."
da war ich jung, da war ich schön -
und er so männlich und so stark -
zwar etwas bissig, doch voll Mark.
Hab' oft an ihn gedacht
bei Tag und auch bei Nacht -
da fällt mir immer wieder leider stets mein Erster ein --
den hab' ich echt geliebt – den schloss ich in mein Herze ein.
Der hat mich groß gemacht, - denn früher war ich schwach und klein.
Mein Schwert, mein Schild und mein Fortune -
ja, selbst die Krone ist von ihm."
Bismarck-Kult für die Kriegspropaganda
Ansprache des Kaisers (August 1914/Nachaufnahme)
"Es muss denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf! Zu den Waffen!"
1914 beginnt der Erste Weltkrieg. Ob Bismarck ein solches Zwei-Fronten-Kriegsabenteuer riskiert hätte? Aber inzwischen starrt er von den vaterländischen Denkmälern herab machtvoll und grimmig in die deutschen Lande und steht als nationaler Mythos Pate bei der Mobilisierung für den Krieg. In den ersten Stunden des Krieges werden am Berliner Bismarck-Denkmal vor dem Reichstag bei einem Gottesdienst Waffen gesegnet, die Mobilmachung wird als "Bismarcks Erwachen" gefeiert.
"Nun tummle Germania dich stolz auf dem Pferd,
Darauf dich dein Bismarck geschwungen,
Auf dem Haupte den Helm, in der Rechten das Schwert
Und den Geist und den Mut unbezwungen,
so sprenge durch Wetter und Stürme dahin,
Du walkürenverschwisterte Reiterin."
Darauf dich dein Bismarck geschwungen,
Auf dem Haupte den Helm, in der Rechten das Schwert
Und den Geist und den Mut unbezwungen,
so sprenge durch Wetter und Stürme dahin,
Du walkürenverschwisterte Reiterin."
Im Bismarck-Museum Schönhausen zeugen viele Exponate davon, wie sich der Bismarck-Kult für die Kriegspropaganda verwenden ließ. Eine Postkarte zeigt Bismarck in der feldgrauen Uniform der Rekruten, daneben ein Wotan mit blutigem Schwert und ein Schlachtfeld, auf dem unverkennbar der "Furor Teutonicus" den Sieg davon trägt.
"Und bei diesen ganzen Gegenständen finden sie eben sehr oft auch den Spruch: ´Wir deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf dieser Welt.` Der nachher im Ersten Weltkrieg die populärste Kriegsparole wurde. Eine Bemerkung Bismarcks von 1888, die er in einer Reichstagsrede aussprach. Die aber an und für sich noch einen zweiten Satz hatte. ´Und es ist schon so, dass wir den Frieden über alles lieben.` Das kam hinterher und den zweiten Satz hatte man dann vergessen. Aber der erste wurde dann immer wieder zitiert."
Konrad Breitenborn kennt als Bismarck-Forscher die vielen kleinen Details, die manchmal mehr sagen als dicke Bücher. Zum Beispiel, dass Bismarck noch auf dem Sterbebett über Wilhelm den Zweiten sagte, er "wird immer ein dummer Junge bleiben". Oder die Bemerkung Bismarcks über seinen eigenen Ausspruch "Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt". Als ihm das Echo auf sein geflügeltes Wort gar zu unheimlich wurde, soll er einmal im Plattdeutsch seiner Heimat geseufzt haben: "Hätt’ ich dat Wort man nicht seggt."
"Mehr Veränderung als alle Wirtschaftsgesetze erzeugt in der Welt das Beispiel eines großen Mannes",
…schreibt Heinrich Mann in seinem Roman "Der Untertan".
"Und wehe, wenn es ein falsch verstandenes Beispiel war! Dann kann es geschehen, dass über das Land sich ein neuer Typus verbreitet, der in Härte und Unterdrückung den Sinn des Lebens selbst sieht. Der sich übt eisern zu scheinen, weil in seiner Vorstellung Bismarck es war!"
Heinrich Mann hatte "Der Untertan" kurz vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben, erst nach dem Krieg konnte das Buch in Deutschland erscheinen. Die Parodie auf die unterwürfige Autoritätsgläubigkeit deutscher Männer löste heftige Kontroversen aus, traf sie doch den Kern einer Debatte um das Wesen der Deutschen und die ihnen angemessene Staatsform. In der Weimarer Republik zeigte sich: Durch Bismarcks Reichseinigung von oben fehlte es an dem, was wir heute Zivilgesellschaft nennen, fehlte es an selbstbewussten Republikanern, an echten Demokraten, an freien Geistern, die an liberale Werte glauben statt Obrigkeiten zu folgen:
Der Bismarck-Kult in national-konservativen Kreisen
"Die Konsolidierung der Demokratie in Deutschland kann nur auf den Trümmern des Bismarckkultes gelingen."
Schrieb der liberale Jurist Hermann Kantorowicz 1921. Doch der Bismarck-Kult ging weiter – nun gekoppelt an extreme national-konservative Kreise. Wolfgang Kapp zum Beispiel bezeichnete seinen Putsch von 1920 als "letzten Versuch des altpreußischen Beamtenstaates. Er hätte, wenn er geglückt wäre, mit einem Ruck die Herrschaft der Journalisten, Gewerkschafter und das jüdische Regiment abschütteln können". Kapp war in einem bestimmten Sinne Bismarck-Nachfolger: – Auch er war als Student in Göttingen Mitglied des Corps Hannovera geworden:
"Aus Anlass der 100. Wiederkehr des Tages, an dem der Alt-Reichskanzler in Göttingen als Student der Georg-August-Universität immatrikuliert worden ist, hat die Göttinger Stadtverwaltung dieses Haus als Erinnerungsstätte eingerichtet und dem öffentlichen Verkehr übergeben."
Aus einer Sendung der Reichs-Rundfunkgesellschaft 1932, die auch eine Führung durch das Bismarck-Haus enthielt.
"Über dem Sofa sehen Sie Schläger und Mütze des Corps Hannovera. (…) Und dort den Schattenriss von Bismarck selbst. Links davon das Deutsche Haus, wo er als Student Mensuren geschlagen hat."
Was 1932 noch harmlos und touristisch klingt, bekommt ein Jahr später einen anderen Charakter.
"Am Bismarckturm in den Müggelbergen bei Berlin fand am 1. April die Feier der nationalen Verbände statt. Reichsminister Dr. Goebbels hielt die Gedenkrede."
Ein Wochenschaubericht kurz nach der Machtübergabe an die NSDAP:
"Meine Kameraden! Ist es nicht ein wunderbares Zeichen deutscher Wiederbesinnung, dass sich die Jugend um dieses Ehrenmal eines großen Toten versammelt, um ihm und seinem historischen Vermächtnis ihre Huldigung zu Füßen zu legen? Heil, Heil, Heil!"
In der Ausstellung in Schönhausen hängt eine Propagandapostkarte der Nazis. Sie zeigt als Ahnenreihe die Porträts von Friedrich dem Großen, Bismarck, Hindenburg und Hitler.
"Was der König eroberte, der Fürst formte, der Feldmarschall verteidigte, rettete und einigte der Soldat."
Zwölf Jahre später sind es die letzten versprengten Truppen von Hitlers Armee Wenck, die im Bismarck-Schloss Schönhausen Quartier beziehen. Soldaten, Volkssturmleute, Hitlerjungen. Sie sollen den vor der Roten Armee Fliehenden einen Weg bahnen – über die Elbe in amerikanische Gefangenschaft. Am 7.Mai 1945 nehmen Sowjetsoldaten Schönhausen ein.
Bismarck in der DDR
"Wir verhehlen nicht, dass wir unter den heutigen geschichtlichen Bedingungen und unter Berücksichtigung der Lehren zweier Weltkriege bestimmte Grundelemente der späten Bismarck´schen Außenpolitik zu Elementen unserer eigenen Außenpolitik gemacht haben."
SED-Chef Walter Ulbricht im Jahr 1965.
"Wir sind der Überzeugung, dass die nationale Wiedervereinigung und ein friedliches und glückliches Leben des deutschen Volkes nur möglich sind, wenn gute Beziehungen mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern und ebenfalls auch gute Beziehungen zu den anderen europäischen Ländern, insbesondere zu Frankreich bestehen."
"Das muss man tatsächlich über diese 40 Jahre DDR ein bisschen differenziert betrachten: In den 50er-Jahren war er sozusagen der Reaktionär schlechthin, da wurden die Straßen umbenannt, da sind die Bismarckdenkmäler demontiert worden, da hat man von Bismarck nicht viel wissen wollen. Nachher in den 60er-Jahren wurde er immer so als bedingt fortschrittlich angesehen, nämlich unter dem Aspekt, dass er das Deutsche Reich geschaffen hat und damit ein wesentlich einheitliches Wirtschaftssystem, dass Zölle weggegangen sind und vieles mehr, und dass er dem Bürgertum bessere Chancen geschaffen hat, Wirtschaft zu betreiben."
Konrad Breitenborn erinnert sich noch, wie im Geschichtsunterricht der DDR selbst Bismarcks Deutsch-Französischer Krieg unterteilt wurde: In einen gerechten Krieg bis zum Sieg von Sedan und einen ungerechten mit der Niederschlagung der Pariser Commune.
"Man hat versucht, ihn in das Geschichtsbild einzubauen. Hier in Schönhausen ist es so gewesen, dass Bismarck – das Schloss ist gesprengt worden – man hat im Grunde die Erinnerung an ihn getilgt."
Nur ein Teil vom Seitenflügel blieb stehen, weil dort Arbeiter wohnten. Heute ist dort das Bismarck-Museum untergebracht
"Ich erinnere mich mit einem großen Schmunzeln an einen Besuch so `87 in Schönhausen. Da am Gemeindebüro stellte ich plötzlich fest, da hängt doch draußen Bismarcks Wappen. Und drunter war noch ein Schild: Platz der vorbildlichen Ordnung und Sicherheit. Und denn hab ich nachher drin gefragt und als Ortswappen war dann plötzlich – welch Ironie der Geschichte – das Bismarck‘sche Familienwappen dort angebracht worden, weil ein Jahr vorher hat man gesagt, also die Dörfer müssen wieder ne höhere Identität haben, müssen Heimatbewusstsein entwickeln etc. – Jetzt müsst ihr euch alle ein Wappen suchen. Und dann haben die Dörfer oft gedacht: Ehe wir uns jetzt was suchen, was sollen wir die Wappen neu malen, da nehmen wir doch gleich das alte Bismarck‘sche Wappen."
Bismarck in der Bundesrepublik
Auch in der Nachkriegs-Bundesrepublik tat man sich schwer mit der Bewertung des Reichsgründers. Der Mythos Bismarck – durch die Nationalsozialisten diskreditiert – taugte nicht für den demokratischen Neuanfang. Historiker wie Robert Saitschik warfen dem eisernen Kanzler vor, er habe eine militaristische Tradition und einen Führerkult begründet, die direkt ins Dritte Reich geführt hätten. Im Jahr der Deutschen Einheit 1990 gab es im Berliner Gropius-Bau eine große Bismarck-Ausstellung, die den Kanzler als eine Zentralgestalt der europäischen Politik darstellte, als Weltmann. Ganz zu Recht, wie Martin Gollasch findet, der Corpsbruder vom Corps Hannovera in Göttingen. Als Beweis führt er das einzige vorhandene Tondokument an, das Bismarcks Stimme konserviert. Es wurde erst 2011 entdeckt:
"Und auf der Wachswalze, als ganz alter Mann, kommt gaudeamus igitur, gut, das ist die internationale akademische Hymne, aber dann kommt in good old colony times, und dann kommt auch noch die Marseillaise, ja, dann, Franzosenhasser wie er dann dargestellt wird, ja der, warum bringt er jetzt die Marseillaise, ja, aber, Französisch, und er, es hat sich eingeprägt, und das kommt zum gut Teil, diese Wachsmatrize ist die direkte Anknüpfung an die Göttinger Zeiten hier."
Die Nachfolger im Corps Hannovera pflegen nicht so sehr das Bild des Haudraufs und Raufboldes, der Bismarck ohne Zweifel in seiner Studentenzeit war, sie heben ab auf die soft skills, die er sich in Göttingen angeeignet habe, auf sein gutes Englisch und sein diplomatisches Geschick. Und auch an anderer Stelle pflegen andere Nachfolger ein Bismarck-Bild, das in die heutige Zeit passt.
"Es gibt eine ganz interessant Sache, wir haben in unserem Restaurant den Bismarck-Hering auch auf der Speisekarte."
Georg von Bismarck ist Urgroßneffe des Reichskanzlers in vierter Generation. Der 1933 geborene betreibt seit 20 Jahren in Thüringen den Gutshof von Bismarck mit Bio-Landwirtschaft, mit Ferienwohnungen und Gastronomie.
"Am Anfang kamen manchmal so Spötter her und fragten: Habt Ihr denn auch Bismarck-Hering – haha. Und das war unser Anlass zu gucken und zu sagen, na warte, wir werden Euch mal einen richtigen Bismarck-Hering zeigen. Wir sind froh, dass wir den Bismarck-Hering auf der Speisekarte haben."
Saurer Hering mit Bratkartoffeln und süßem Mango-Dipp. Der Name Bismarck als Marke für ein Produkt.
"Es gibt einen Vorgänger in diesem Geschäft. Der hat ja eine schöne Geschichte, die auch nachgewiesen ist, die echt ist. Er hatte nämlich dem Reichskanzler Otto von Bismarck ein Fässchen Bismarckhering überreicht. Das hat dem Reichskanzler so gut geschmeckt, dass er nochmal nachgeordert hat. Und da hat der Fischhändler diesen überbracht und hat eine Bitte geäußert: er möchte bitte diesen Hering nach ihm, Otto von Bismarck, nennen. Und das hat der Reichskanzler ihm gestattet und da gibt es ein Dokument, was leider im Bombenkrieg verbrannt ist, was aber vorhanden war. Und diese Geschichte stimmt trotzdem, wo der Reichskanzler Otto von Bismarck diesem Fischhändler gestattet hat, ihm seinen Namen zu geben und diesen echten Bismarckhering. Und das ist der Knüller, den wir hier auf unserer Speiskarte haben. Das ist richtig schön."
Für die Vermarktung seiner Person hatte der alte Bismarck immer schon ein gutes Gespür.