200 Jahre Revolution in Lateinamerika

Von Daniel Sulzmann |
Spaniens Verhältnis zu seinen Ex-Kolonien ist geprägt von einer Mischung aus Wehmut und Stolz: Wehmut, weil die Zeiten, da das Land eine Weltmacht war, schon lange zurückliegen - Stolz, weil Spanien sich heute als Brückenkopf Europas in Lateinamerika sieht.
An der Plaza Colon mitten in Madrid weht eine riesige spanische Flagge. Daneben hat Kolumbus seinen Platz, auf einem 17 Meter hohen Denkmal schaut er nach Südwesten, während die Autos an ihm vorbeibrausen. Lateinamerika und das Loseisen der Kolonien, ja 200 Jahre Revolution, all das könnte man meinen, ist präsent im spanischen Alltag, doch weit gefehlt.

"Die" große Debatte findet nicht statt, weder in den Zeitungen, noch im Internet, noch auf der Straße. Die Beziehungen zwischen Spanien und Lateinamerika sind vielfältig, aber noch immer gibt es nicht wenige Spanier, die denken wie dieser junge Mann:

"Ich bin sehr stolz darauf, Spanier zu sein, aufgrund der Geschichte, weil wir immer irgendwie eine Weltmacht waren, und wegen allem."

Doch Weltmacht sind die Spanier schon lange nicht mehr. "el desastre" die Katastrophe von 1898 als Spanien im amerikanisch-spanischen Krieg Kuba verlor hatte endgültig gezeigt, dass die Zeit für den spanischen Kolonialismus in Lateinamerika abgelaufen war. Doch bis heute sind die Beziehungen eng.

Spanien ist der erste Ort, wenn Dissidenten aus Kuba ausreisen dürfen, Spanien hat durch seinen Außenminister Moratinos zu Beginn der Ratspräsidentschaft der EU im ersten Halbjahr 2010 verlauten lassen, dass ein Teil seines Programmes für die Führung der EU sei, die Beziehungen zu Lateinamerika zu verbessern.

Und auf ibero-amerikanischen Gipfeln kann es schon mal sein, dass der spanische König seine eigentlich immer präsente königliche Würde vergisst und den venezuelanischen Präsidenten und autoritären Volkstribun Hugo Chavez maßregelt, warum er jetzt nicht einfach mal den Mund halten könnte.

"Porque no te callas?" ist auch im spanischen Sprachgebrauch ziemlich unhöflich. Doch trotz der Auseinandersetzungen: Spanien ist und bleibt nicht nur ein großer Handelspartner für all die Länder, die schon 1494 im Vertrag von Tordesillas dem spanischen Weltreich zugesprochen wurden, Spanien bietet inzwischen auch Millionen Menschen aus Lateinamerika die Chance auf eine bessere Zukunft.

Der Ausländeranteil liegt in Spanien offiziell bei 12,6 Prozent der Bevölkerung und damit doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt, in Wahrheit sind es hoch hunderttausende Menschen mehr. Die meisten kommen aus Lateinamerika. Das hat zur Folge, dass im spanischen Fernsehen Nachrichten aus dieser Gegend der Welt einen hohen Stellenwert haben.

Eine Überschwemmung in irgendeinem Bundesstaat in Mexiko, ein Überfall von Drogendealern in Honduras, ein Verkehrsunfall in Argentinien, ein Attentat auf einen Gouverneur in Kolumbien, all diese Themen werden ganz weit vorne gebracht und besonders wenn Fidel Castro zugibt, dass das kubanische Modell nicht mehr funktioniert, dann schaltet das spanische Fernsehen live nach Havanna.

"Genau so ist, Guten Tag, die Worte Fidel Castros, die sagen, dass das cubanische Modell so nicht mehr funktioniert haben auch die Gerüchte über Zwist zwischen den beiden Castrobrüdern beendet ..."

Erzählt die spanische Reporterin die Neuigkeit aus Cuba. Und auch im kulturellen Bereich sind die Verflechtungen vielfältig: Viele spanische Verlage verkaufen Bücher aus Südamerika auf dem spanischen Markt und in Südamerika, die gemeinsame Sprache macht's möglich.

Und eines müssen sich die Spanier dann auch gefallen lassen. Beim Fußball haben sich die Ex-Kolonien längst emanzipiert: Gerade hat Argentinien den frisch gebackenen spanischen Fußballweltmeister bei einem Freundschaftsspiel mit 4:1 abgefertigt, da war von spanischer Überlegenheit nichts mehr zu spüren.