Der Self-Made-Kaiser
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Am 5. Mai 1821 starb Napoleon. Als Diktator und Modernisierer sei er eine ambivalente Figur, sagt David Chanteranne vom Napoleonmuseum in Brienne-le-Château. Hier besuchte Napoleon die Militärschule, und hier schlug er seine erste, noch unblutige Schlacht.
David Chanteranne steht vor einem großen Glaskasten. Ein brauner Dreispitz ist darin ausgestellt. Von fünf dieser Hüte in ganz Frankreich sei man sicher, dass Napoleon sie getragen habe, erzählt der Historiker:
"Die Mode damals war, diesen Hut nach vorne gerichtet zu tragen – in Marschrichtung. Napoleon hat ihn parallel zu den Schultern getragen. Das ist sein Markenzeichen geworden, und er wurde so etwas wie eine Werbefigur. Wenn Sie einen Dreispitz so tragen und die Hand in die Weste stecken, werden Sie als Napoleon wiedererkannt."
Bildtafeln erklären auf Französisch, Englisch und Deutsch, wie die Konstruktion dieser Figur Teil von Napoleons Propaganda wurde. In zahlreichen Gemälden und Legenden wurde der umstrittene Feldherr verherrlicht.
"Man kann Napoleon nicht verehren"
Die Forschung über die historische Figur ende nie, sagt Chanteranne. Aber:
"Man kann Napoleon nicht verehren. Er hatte eine autoritäre Seite. Auch wenn man bedenken muss, dass es direkt nach der Französischen Revolution war. Die Ordnung herzustellen, das passiert manchmal mit harten Entscheidungen. Aber Napoleon war auch ein schwieriger Charakter. Zum Beispiel einen Krieg in Spanien oder in Russland anzufangen – dazu gab es keinerlei Verpflichtung. Das war nur der persönliche Ehrgeiz."
Ein Stratege schon bei Schneeballschlachten
Und der zeigte sich schon als Kind an der Militärschule im kleinen Brienne-le-Château, deren Gebäude heute das Museum beherbergen. Napoleon kam als Neunjähriger aus Korsika und blieb fünf Jahre, erzählt Chanteranne.
"Als er auf der Militärschule angekommen ist, hat er noch einen starken korsischen Akzent und dunkle, sonnengebräunte Haut. Seine Kameraden machen sich über ihn lustig. Er ist ein bisschen ein Außenseiter. Er liest viel und arbeitet hart, um einer der besten Schüler zu werden. Aber es gibt eine Episode: Im Winter, als man eine Schneeballschlacht organisiert, beobachtet Napoleon, was passiert, und gibt Ratschläge. Er sagt den Schülern, die dabei sind zu verlieren: Ihr müsst das anders machen, den Gegner frontal angreifen, dann an der Flanke. Und so gewinnen sie. Der junge Napoleon Bonaparte hat also seine ersten Siegeslorbeeren hier in Brienne bekommen."
Ein Bild im Museum hält die Schneeballschlacht fest. Auf dem Holzboden der Ausstellungsräume steht in großen weißen Buchstaben Brienne, Paris oder Berlin. Weiße Pfeile zeichnen den Weg Napoleons durch Europa nach. Handy-Codes an den Bildern, Statuen und Karten führen zu Erklärvideos über das das Leben des französischen Kaisers.
Die Besucherzahlen haben sich verdreifacht
Seit 2016 verwaltet Chanteranne das kleine Museum in der Provinz und hat mitgeholfen, es zu renovieren. Zweimal im Monat kommt er aus Paris hierher. Auch jetzt, während der Pandemie, in der das Museum vorübergehend schließen musste und seine Stücke nur online zeigen kann.
Fast beiläufig erzählt der Napoleon-Experte, dass es ihm und seinem Team gelungen ist, die Besucherzahlen in den letzten Jahren zu verdreifachen. 10.000 kamen vor der Pandemie jährlich nach Brienne, das selbst nur 2700 Einwohner zählt.
Napoleons faszinierender Aufstieg
David Chanteranne glaubt, es sei Napoleons Image des "Self-Made Man" – wie er es nennt – das bis heute die Menschen fasziniere. Auch ihn.
"Was mich vor allem an ihm fesselt, ist seine persönliche Laufbahn, sein außergewöhnliches Schicksal. Er verlässt Korsika mit fast nichts. Er ist nur ein Kind unter anderen. Sicher, seine Familie hatte einen guten Stand zu der Zeit. Aber er braucht ein Stipendium für die Schule hier in Brienne. Seine wirtschaftliche Lage ist also nicht so gut. In der damaligen Zeit hätte er es maximal bis zum Oberst eines Regiments bringen können, aber er wird stattdessen General, dann Konsul und dann Kaiser!"
Die Familie bleibt verschont
Mehr als 20 Bücher hat Chanteranne über Napoleon veröffentlicht. Er ist Chefredakteur mehrere Zeitschriften über die historische Figur. Sie war bereits als Kind für ihn ein Thema: "Ich komme aus dem Thermal-Ort Plombier le Bain in den Vogesen. Dorthin kam Napoléons Ehefrau, Joséphine, regelmäßig zur Kur."
In Chanterannes Familie wurde viel über Geschichte gesprochen. Dennoch trennt der Wissenschaftler heute zwischen Beruflichem und Privaten. Der Vater von vier Kindern sagt, bei ihm zuhause würden weder Napoleon-Bilder an der Wand hängen noch höre seine Familie täglich von Napoleon.
Bei seiner Arbeit wiederum sind Chanteranne alle Seiten des Kaisers, Diktators und gleichzeitigen Reformers wichtig. Eine Abteilung des Museums widmet sich den Errungenschaften, mit denen Napoleon zum Teil ganz Europa geprägt hat, wie das Zivilgesetzbuch, das Kataster-System oder das Abitur.
Napoleon war ein Impf-Vordenker
Was Napoleon generell zur heutigen Situation in Europa sagen würde? Es sei schwierig, das aus der Geschichte abzuleiten, sagt Chanteranne. Aber Napoléon sei schon damals für ein vereintes Europa gewesen:
"Und was die Pandemie heute angeht: Napoleon hat sehr an die Wissenschaft geglaubt. Um das zu beweisen, hat er sich gegen die Pocken impfen lassen. Sein Sohn wurde auch von Anfang an geimpft. Er war überzeugt vom Fortschritt der Medizin und ist so schließlich zum Vorbild für die heutige Entwicklung geworden."