2000 Jahre Varusschlacht

Reinhard Wolters im Gespräch mit Hanns Ostermann |
Ein verstärktes Interesse für die Archäologie in Deutschland und die Geschichte der Germanen erwartet der Tübinger Professor Reinhard Wolters angesichts des 2000. Jubliäums zur Varusschlacht im kommenden Jahr. Der Mythos um die Schlacht zeige aber auch, wie sich spätere Generationen immer wieder ein neues und anderes Bild von Arminius, oder Hermann dem Cherusker, gemacht hätten, das sich von der historischen Person immer weiter entfernt habe.
Hanns Ostermann: Im kommenden Jahr wird eines Mannes gedacht, der wie kaum ein anderer das Nationalbewusstsein der Deutschen beflügelt hat. Hermann der Cherusker, der eigentlich Arminius hieß, betrat vor 2000 Jahren die Bühne der deutschen Geschichte. In vier Tagen schlug er die Römer. Als die Schlacht im Teutoburger Wald oder als Varusschlacht ging sie in die Geschichtsbücher ein.

Wie war es möglich, dass damals die römischen Legionen in die Falle tappen konnten, und wie erklärt sich der Mythos um diese Kämpfe? Darüber möchte ich mit Professor Reinhard Wolters von der Universität Tübingen sprechen. Guten Morgen, Herr Wolters.

Reinhard Wolters: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Wie hat man sich den jungen Arminius vorzustellen, der einerseits doch das Vertrauen der Römer besessen haben muss und der es andererseits schaffte, ein paar der germanischen Stämme hinter sich zu bringen?

Wolters: Über Arminius wissen wir gar nicht so viel. Er war ungefähr 25 oder 27 Jahre alt, als er sich entschloss, das Heer des Varus zu überfallen, und er selbst war ein hoher germanischer Würdenträger, nämlich ein Fürstensohn bei den Cheruskern, gleichzeitig aber, wie Sie gesagt haben, engstens verbandelt mit den Römern und ein Profiteur der römischen Ordnung.

Ostermann: Ein Profiteur inwiefern?

Wolters: Er führte cheruskische Hilfstruppen als Verbündete des römischen Heeres, und dafür wurde er hoch ausgezeichnet. Er besaß das römische Bürgerrecht, hieß also wohl Gaius Julius Arminius, und bekam selbst den Rang eines römischen Ritters. Das waren ganz außerordentliche Belohnungen.

Ostermann: Nun waren die Römer - ihre Zahl wird auf 18.000 geschätzt - doch militärisch überlegen. Weshalb tappten sie in die Falle? Welchen Schachzug wählte Arminius oder Hermann der Cherusker?

Wolters: Es war vor allen Dingen der plötzliche und völlig unerwartete Überfall. Die römischen Truppen zogen durch schwieriges Gelände, und als Arminius mit seinen Truppen sich den Römern näherte, durfte der römische Befehlshaber Varus davon ausgehen, dass ihm noch Verbündete zugeführt wurden. Bis zum ersten Speerwurf war es für ihn nicht zu erkennen, dass die Germanen nun über ihn herfallen würden. Es war also der Überraschungseffekt und die Hinterlist.

Ostermann: Wie lässt sich eigentlich eine solche Schlacht vor 2000 Jahren rekonstruieren? Wo hat sie überhaupt stattgefunden?

Wolters: Eine Schlacht war es nicht, sondern es war ein mehrtägiges Gefecht über die römischen Legionen, die in schwierigem Gelände immer weiterzogen. Das hat vier Tage gedauert und die Germanen haben nadelstichartig ihre Angriffe vorgetragen und waren dann nie wieder zurückgekommen. Nach und nach waren die römischen Truppen geschwächt und am Ende wurden die verbliebenen Reste umzingelt und niedergemacht.

Wo das ganze stattgefunden hat, lässt sich nicht so genau sagen. Es wird im Bereich der deutschen Mittelgebirge gewesen sein. Die präziseste Angabe von antiken Schriftstellern lautet: Es war nicht weit entfernt vom Oberlauf der Ems und dem Oberlauf der Lippe. Darum hat man später den sogenannten Osning in Teutoburger Wald umbenannt, nämlich als jener Wald, in dem der Überfall auf die Legion des Varus sich ereignet haben soll.

Ostermann: Wenn Sie zu solchen Angaben und Annahmen kommen, welcher Quellen können Sie sich da überhaupt bedienen?

Wolters: Es sind immer die römischen Schriftsteller, die wir haben. Die Germanen haben keine Überlieferungen hinterlassen, weder mündlich noch schriftlich. Aber die römischen Autoren schreiben sehr zeitnah, unter anderem etwa Willius Paterculus, von dem wir wissen, der hat auch Arminius persönlich gekannt.

Ostermann: Und dann gibt es immer wieder ganz spannende Funde wie jetzt auch zuletzt. Das heißt, es gibt auch durchaus Gegenstände, die auf die damalige Schlacht hinweisen?

Wolters: Ja. Es gibt den Fundort von Kalkriese, der im Verdacht steht, die Örtlichkeit der Varusschlacht zu sein. Ein Problem ist, dass trotz 15-jähriger Forschung der Fundplatz von Kalkriese sehr eng begrenzt bleibt und wir dieses große Szenario über drei, vier Tage dort noch nicht nachweisen können. Der Platz ist sicherlich ein Kampfplatz zwischen Römern und Germanen in dieser Zeit - aber ob es gerade diese große Schlacht war, das ist noch die Frage und wird vielleicht nie zu beweisen sein.

Ostermann: Sie tappen da also nach wie vor im Dunkeln. Aber eins können Sie doch wahrscheinlich sagen: Was hat diese Schlacht langfristig bewirkt? Worin besteht, wenn man so will, ihr Erfolg?

Wolters: Langfristig war der Überfall auf die Legion des Varus der Auftakt, dass sich die Römer dann mehrere Jahre später doch entschlossen hatten, im Gebiet rechts des Rheins nicht mehr ihre Herrschaft wieder zu errichten. Es hat aber zunächst ein massiver Versuch eingesetzt, das Gebiet bis zur Elbe doch noch zu erobern, und hier hat sich eigentlich in den Jahren bis 16 nach Christus das große Geschick des Arminius gezeigt. Jetzt hat er auch offenen Auges in offener Feldschlacht sich gegen die Römer behaupten können. Und das war sicherlich viel wichtiger, dass die Römer ihre Pläne aufgegeben haben, das Gebiet bis zur Elbe wieder zu erobern.

Ostermann: Interessant ist ja, Herr Professor Wolters, dass Hermann der Cherusker über Jahrhunderte hinweg ziemlich unbeachtet blieb, über fast 1500 Jahre hinweg, und dann wurde er wieder entdeckt. Woran lag das?

Wolters: Das ist ein bisschen das, was wir allgemein als dunkles Mittelalter beschreiben. Von der Spätantike bis in die frühe Neuzeit zwischen 500 und 1500 grob war die antike Vergangenheit wenig beachtet worden. Und als dann im 15. und 16. Jahrhundert die alten Schriften wieder gefunden worden sind, aus den Klosterbibliotheken wieder entdeckt worden sind, da bekam man präzisere Kenntnis von dem Untergang des Varusheeres. Und man bekam dann auch um 1520 mit der Schrift des Velleius Paterculus erstmals den Namen des Arminius wieder und etwas detailliertere Beschreibungen zu den Vorgängen selbst. Also es war das allgemeine Wiedererwachen an die Antike.

Ostermann: Und als was wurde - ich sage immer Hermann der Cherusker; Sie sprechen von Arminius, aber wir meinen den gleichen - als was wurde er da gefeiert?

Wolters: Arminius wurde als eine Identität stiftende Figur für die damaligen Deutschen gefeiert. Man versuchte, sich in einem mittelpunktslosen Reich eine geistige und örtliche Heimat zu geben. Und jetzt knüpften die Deutschen des 15. Jahrhunderts völlig unhistorisch an Arminius an und sahen dort ihren Ursprung, gewissermaßen ihren Gründungsmythos.

Ostermann: Zurecht?

Wolters: Nein. Es ist zwar in demselben geografischen Gebiet, in dem dann die Deutschen, die damaligen Germanen lebten, aber eine Kontinuität von den Germanen zu den Deutschen lässt sich nicht feststellen.

Ostermann: Nun wird im kommenden Jahr der Varusschlacht gedacht. Welche Hoffnungen verbinden Sie mit den zahlreichen Feierlichkeiten?

Wolters: Sicherlich wird die Archäologie in Deutschland wieder etwas aufmerksamer betrachtet werden. Es wird ein Interesse für die Geschichte der Germanen geben. Aber vielleicht besteht auch noch die Chance, dass man am Beispiel des Arminius sieht, wie Geschichte gemacht wird - wie nämlich spätere Generationen ihr immer wieder neues und anderes Bild von dem Cherusker gebildet haben, das sich dann nach und nach von dem historischen Arminius immer weiter entfernte.

Ostermann: Herr Professor Wolters, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Wolters: Ja. Ich danke Ihnen!